Noch bis Ostern feiern Christen die vierzigtägige vorösterliche Bußzeit. Eigentlich sind es 46 Tage, doch die Sonntage zählen nicht mit. Fasten kommt in vielen Religionen vor. Besonders bekannt ist der islamische Ramadan. 2015 ist der vom 18. Juni bis 17. Juli. Doch auch ohne religiöse Vorstellung ist der Begriff für viele davon geprägt, dass Menschen auf etwas verzichten, was ihnen - sonst - wertvoll ist. Wozu aber soll es gut sein, sich selbst zu quälen ?
Religiöse Menschen kennen Zeiten des Verzichts. Nein, jeder kennt solche Zeiten. Meistens nötigt uns das Leben dazu, loszulassen. Ob es uns passt oder nicht. In Leipzig verzichten derzeit viele auf den ganz gewöhnlichen Alltag. Sie sind krank. Die Grippe macht sich nicht nur in Schulen bemerkbar. Andere verzichten auf ihren Schlaf, weil das Baby gewickelt werden muss. Andere denken, sie würden das in Kauf nehmen, wenn sie ein Kind hätten. Um dann viel Geld loszulassen auf der langen Suche nach Wegen zum leiblichen Kind.
Für 40 Tage verzichten jetzt vor Ostern viele Menschen bewusst auf Dinge, die sie haben und die ihnen eigentlich wichtig sind. Wurst und Fleisch werden durch vegetarische Gerichte ersetzt, Kaffee durch schwarzen Tee und Wein durch Traubensaft. Mancher entdeckt, dass er dies nach Ostern so beibehalten möchte. Mancher macht sich in den sozialen Netzwerken rar und schreibt mal wieder einen klassischen Brief. Statt per Smartphone eine Nachricht zu schicken, wird zum Telefon gegriffen, um mal einen Termin zum Kaffeetrinken zu vereinbaren. Das Auto bleibt stehen, stattdessen wird das Fahrrad neu entdeckt. Manches große Vorhaben wird aber auch wieder eingestampft. Was bleibt, ist Frustration.
Die Theologen behaupten, man komme Gott näher, wenn man verzichtet. Ehelos lebende Priester sehen oft in ihrem Verzicht auf Frau und Familie ein Zeichen innerer Freiheit. Viele Singles würden dies unterschreiben. Verheiratete dagegen verweisen darauf, dass Offenheit für Gott und Beziehungsstatus eher nichts miteinander zu tun haben. Ordensgemeinschaften machen deutlich, dass Ehelosigkeit nicht mit Beziehungslosigkeit verwechselt werden sollte. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist, erfahren wir im ersten Buch der Bibel. Deshalb war ja auch der Single Jesus nicht allein unterwegs, sondern mit einer bunten Schar von Männern und Frauen. Nur ab und an zog er sich aus der Menge zurück. Am Beginn seiner Aktivität auch in die Wüste, für 40 Tage.
Dort verzichtet er dann nicht nur auf leckere Speisen und Getränke. Er verzichtet auch auf die klassischen drei Mittel der Weltgeschichte, um die Menschen für sich zu begeistern und zu führen: das Wunder, das Geheimnis und die Macht. Stattdessen hat er es mit Liebe und Vorbild versucht, was ihn schließlich ans Kreuz brachte. Nicht nur Dostojewsky hat den Verdacht, dass die Kirche in ihrer Geschichte häufig bei dieser Bibelstelle nicht so genau hingeguckt hat.
Dabei gibt es noch einen recht deutlichen Text, der Jesaja zugeschrieben wird. Da wird eine rein äußerliche Fastenpraxis kritisiert, um dann eine neue Perspektive einzubringen. Fasten bedeutet demnach:
„Die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen.“ (Jes 58,6-7)
In dieser Sicht geht es also beim Fasten darum, alte Gewohnheiten und Vorstellungen loszulassen, um sich und die Umwelt neu zu entdecken. Geändert werden sollen Missstände unter den Menschen, aber auch im eigenen Leben. Unter welchem Joch lebe ich, welche Fesseln trage ich, welche konkrete Not in meiner Umgebung kann ich tatkräftig lindern?
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