Für die meisten Leipziger spielen Religion und Glaube im Alltag keine bestimmende Rolle. Katholikentag, Reformationsjubiläum und die jüngsten Debatten um den Islam sorgen jedoch dafür, dass Glaube zum öffentlichen Thema wird. Das ist Grund genug, in Leipzig jene aufzusuchen, die an Gott oder etwas Göttliches glauben, und die Frage zu stellen: "Was glauben die denn?" - eine Reihe zum vielfältigen religiösen Leben in Leipzig.
Der französische Philosoph André Comte-Sponville schrieb “Einer meiner prinzipiellen Gründe, nicht an Gott zu glauben, ist, dass ich keine entsprechenden Erfahrungen habe.” Ein Blick in das statistische Jahrbuch lässt vermuten, dass die Leipziger diesem Satz wohl mehrheitlich zustimmen würden. Vielleicht ist es auch der Mehrheit egal. Es gibt Wichtigeres im Alltag.
Doch die auch medial oft zugespitzt dargestellten Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate und die daraufhin zu beobachtenden Reaktionen in der Bevölkerung zeigen, wie wenig die Menschen über “die Anderen” informiert sind, Debatten um den Islam sorgen dafür, dass politisch notwendige Diskussionen (zum Beispiel zum Asylrecht) plötzlich eine andere Richtung bekommen und sich gegen Menschen einer anderen Religion wenden. Auch hier sind oft Ängste im Spiel – auf beiden Seiten. Für uns Grund genug, ein Blick auf das religiöse Leben in Leipzig zu werfen, über Symbole, Orte, Grundtexte, Vorbilder sowie regionale und internationale Strukturen zu berichten, in welche die Gemeinschaften eingebunden sind. Gemeinsam ist ihnen eigentlich nur die These, dass hinter all dem, was wir erleben, mehr steckt als ein Spiel von Molekülen am Rande des Nichts.
Was ist wirklich?
Vier Köpfe in vier Farben sind zu sehen, wo in Wirklichkeit nur ein Kopf ist. Eine Illusion, die natürlich erklärbar ist. Meine Sinne werden getäuscht. Große Künstler nutzen Täuschungen und Illusionen, um besondere Effekte zu erzeugen. Selbst wenn man weiß, dass es eine Täuschung ist, bleibt die Wirkung bestehen.
Und wie ist das nun mit Gott? Wenn wir Menschen uns so leicht in die Irre führen lassen? Können wir Menschen vertrauen, die behaupten, sie hätten Gott erfahren?
Gott ist eine Phantasie des Menschen. Davon sind nicht wenige überzeugt. Faktisch bricht das Leben im Osten Deutschland auch ohne Gottesglauben nicht in sich zusammen. Oder liegt das am Gebet der Gläubigen?
Die Existenz Gottes hängt allerdings auch nicht davon ab, ob Menschen daran glauben. Gottes Existenz vermuten bedeutet, davon ausgehen, dass diese Welt einen tieferen Sinn hat, dass hinter der toten Materie ein Bewusstsein steht. Die Glaubenden zeigen sich überzeugt, dass dieses personale Bewusstsein der Welt vorausgeht und immer noch da sein wird, wenn die letzte Sonne im Weltall verglüht.
Kritik am monotheistischen Gottesbild
Die großen abrahamitischen Religionen (Christentum, Islam, Judentum) behaupten, dieses personale Bewusstsein habe in die Welt eingegriffen. Über Bücher, über Menschen, aus christlicher Sicht sogar persönlich … so richtig überzeugt dies die Kritiker des Glaubens nicht:
“Keiner wird mich von der Vorstellung abbringen, dass Gott, so es ihn denn gäbe, sichtbarer, fühlbarer wäre. Es müsste doch reichen, Augen und Seele aufzutun. Ich versuche es. Und je besser es mir gelingt, desto mehr sehe ich die Welt, und desto mehr liebe ich die Menschen”, schreibt Comte-Sponville weiter.
Mystiker behaupten, einen direkten Draht zu Gott zu haben. Meist ziehen sie sich in die Einsamkeit zurück. Wer sich in Leipzig mit den Religionen auseinandersetzen möchte, sollte also offline gehen. Alle großen Religionsgründer zogen sich in die Einsamkeit zurück, bevor sie öffentlich wirkten. Die offiziellen Vertreter der Religionen sehen Mystik ja immer mit Skepsis. Denn wie soll Wahrheit von Illusion unterschieden werden? Christentum, Judentum und Islam behelfen sich da, indem sie die Wahrnehmung mit ihren Heiligen Schriften vergleichen. Leider führt auch dies zu Diskussionen, Streit und Gewaltausbrüchen.
Gewalt wird mit Gott begründet. Hat Gott etwas mit Gewalt zu tun?
“Du sollst nicht töten. Es ist notwendig, unverzichtbar, aber du musst zugeben, dass wir vor einem großen Widerspruch stehen. In der Geschichte ist mehr in deinem Namen gemordet worden als in dem der übrigen Götter. […] Aber es gibt noch andere Probleme. Du sagst: Du sollst nicht töten, aber du tötest uns alle”, schreibt der spanische Philosoph Fernando Savater in seinem Brief an Gott und spielt damit nicht allein auf die Sterblichkeit des Menschen an.
Es gibt die Gewalt jener, die ihre Verbrechen mit den Schriften der Religionen rechtfertigen, und es gibt jene, die überzeugt sind, dass eine angemessene Deutung der heiligen Schriften jeder Gewalt entgegensteht. Legitimiert der Glaube wegen seiner unhinterfragbaren Transzendenz jeden Unsinn, jede Grausamkeit, jede Brutalität oder verhindert Religion das Abgleiten in noch mehr Gewalt? Gewalt ist Teil der Menschheitsgeschichte und damit auch Teil der Heiligen Schriften.
Aber es ist nicht das letzte Wort: “Ich will mit eigenen Augen sehen, wie die Hirschkuh sich neben den Löwen legt, wie der Ermordete aufersteht und seinen Mörder umarmt. Ich will dabeisein, wenn alle plötzlich erkennen, warum alles so gewesen ist. Auf diesem Wunsch beruhen alle Religionen auf der Erde, und ich bin gläubig”, schreibt Dostojewski. Diese Vorstellung ist natürlich noch sehr dem monotheistischen Denken verhaftet.
Die Welt ist ein Tanz von Beziehungen
In Leipzig gibt es noch andere Gottesvorstellungen. Auch diese Begegnungen sind spannend. Nach hinduistischer Vorstellung ist das Leben ein Rad. Es ist ein ewiger Kreislauf, der kein Ende findet, solange man wiedergeboren wird. Erlösung ist dann, aufzuhören, zu wünschen und zu begehren, sich an die trügerischen Dinge zu klammern, und zu begreifen, dass wir nicht vom Absoluten getrennt existieren. Die Unterteilung der Natur in getrennte Objekte ist danach unbegründet. Alles ist in Bewegung, unaufhörlich, ein endloser Tanz von Geweben und Beziehungen. Das Göttliche ist kein Herrschafts-, sondern ein Beziehungsbegriff. Womit wir wieder bei den Mystikern sind, die es in allen Religionen gibt und die sich in den Grundgedanken oft recht nahe sind.
Die Brücke über den trennenden Graben ?
Gibt es in der Vielfalt der Deutungen menschlicher Existenz eine gemeinsame Mitte? André Comte-Sponville sieht die Brücke im klassischen Beziehungsbegriff, der durch Kino und Romane so verkitscht ist, dass man fast nicht wagt ihn niederzuschreiben:
“Ich finde nur das, was Thomas von Aquin, wie vor ihm schon Augustinus und Paulus, formuliert hat, so berührend und erhellend: dass die Liebe das Größte ist, ja göttlicher und gleichzeitig menschlicher als Glaube und Hoffnung. Kurz, ich möchte das Trennende zwischen jenen, die an den Himmel glauben, wie Aragon sagte, und jenen, die es nicht tun, gar nicht aufheben. Ich will nur versuchen, zwischen ihnen einen Berührungs- oder Überschneidungspunkt zu finden, zu begreifen, was sie einander näher bringen könnte, worin sie sich begegnen und manchmal vielleicht sogar kommunizieren könnten.”
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Was es zum Glauben zu sagen gibt:
https://www.youtube.com/watch?v=UJvAiQHDsbc&spfreload=10