"Der 'typische' PEGIDA-Demonstrant entstammt der Mittelschicht, ist gut ausgebildet, berufstätig, verfügt über ein für sächsische Verhältnisse leicht überdurchschnittliches Nettoeinkommen, ist 48 Jahre alt, männlich, gehört keiner Konfession an, weist keine Parteiverbundenheit auf und stammt aus Dresden oder Sachsen". So klang das, als am Mittwoch, 14. Januar, in Dresden eine Studie der TU Dresden vorgestellt wurde.
Erstellt hat sie ein Team um den Politikwissenschaftler Prof. Dr. Hans Vorländer von der TU Dresden. Damit wurde erstmals die Zusammensetzung der PEGIDA-Demonstrationen in Dresden empirisch untersucht. Es wurden rund 400 Teilnehmer nach soziodemographischen Merkmalen und ihrer Motivation zur Teilnahme befragt. Die Befragungen wurden am 22. Dezember, 5. Januar und 12. Januar durchgeführt. Wichtige Einschränkung: Rund 65 Prozent der ursprünglich angesprochenen Teilnehmer lehnten eine Befragung ab. Das schränkt die Repräsentativität der Aussagen in gewisser Weise ein.
Die Thesen, die die Arbeitsgruppe aus der Befragung filtert, sind:
1. Der Protest wird keineswegs von Rentnern und Arbeitslosen getragen – 70 Prozent der befragten Demonstrationsteilnehmer stehen im Beruf.
2. Die befragten Teilnehmer der Demonstrationen gegen die “Islamisierung des Abendlandes” sind nur zu knapp einem Viertel durch “Islam, Islamismus oder Islamisierung” motiviert.
3. Das Hauptmotiv für die Teilnahme an PEGIDA-Demonstrationen ist eine generelle “Unzufriedenheit mit der Politik”. An zweiter Stelle wird die Kritik an Medien und Öffentlichkeit genannt; an dritter Stelle folgen grundlegende Ressentiments gegenüber Zuwanderern und Asylbewerbern, dabei sind Vorbehalte gegen Muslime bzw. den Islam besonders ausgeprägt.
4. In den Befragungen kommt die Wahrnehmung einer tiefen Kluft zum Ausdruck: zwischen den Massenmedien, der veröffentlichten Meinung und der etablierten Politik auf der einen Seite und den Problemen des Bürgers und dem “Willen des Volkes” auf der anderen Seite.
Was natürlich die Frage aufwirft, warum all diese Leute trotzdem zu einer Demonstration gehen, die sich ganz offiziell “gegen die Islamisierung des Abendlandes” richtet.
Und wie ist das mit der Aussage: “Hauptmotiv für die Teilnahme an PEGIDA-Demonstrationen ist eine generelle ‘Unzufriedenheit mit der Politik'”? Immerhin ein Punkt, den die Arbeitsgruppe noch detaillierter nachfragte. Und da ändert sich einiges, denn hier taucht das Unbehagen mit Zuwanderung und Asylpolitik in anderer Form wieder auf.
Von den 54 Prozent der Befragten, die bei der ersten Frage die “Unzufriedenheit mit der Politik” nannten, nannten nun 14 Prozent ihre “Unzufriedenheit mit der Zuwanderungs- und Integrationspolitik und 20 Prozent die Unzufriedenheit mit der Asylpolitik. Immerhin ein Themenfeld, hinter dem sich die ganz eigene sächsische und Dresdner Politik abbildet. Während in Leipzig – auch auf Druck der Zivilgesellschaft – die zuständige Verwaltung schon den Dialog mit den Bürgern in den Stadtteilen suchte (Wahren und Schönefeld z.B.), verweigerte die Dresdner Politik augenscheinlich lange Zeit den notwendigen Diskurs. Und ignorierte auch die Tatsache, dass solche Veränderungen im direkten Wohnumfeld der Bürger auch eine direkte, klare und transparente Kommunikation und in der Regel auch eine bessere Information brauchen.
Es sind nicht die Asylsuchenden, die wachsende Verunsicherung verbreiten, sondern die stummen Räume, die eine abgehobene Verwaltung durch ihr Schweigen zum eigenen Verwaltungshandeln erzeugt.
Die Umfragen des Leipziger Büros Hitschfeld zum wachsenden Wunsch der Bürger nach Partizipation sind ja nun Legion und bekannt. Und dieser Wunsch gilt nicht nur für Großprojekte wie Stromtrassen oder Bahnhöfe. Das gilt auch für kleine und mittlere Projekte im Lebensumfeld der Menschen. Wer Stadträume nur als Verwaltungsräume betrachtet, der hat gar nichts begriffen.
Das spiegelt sich auch in einem mittlerweile recht großen Unbehagen an der gehandhabten Politik selbst. Ein Thema, das neben dem Unbehagen an Asyl- und Integrationspolitik ebenfalls extra abgefragt wurde bei den PEGIDA-Demonstranten, die die Unzufriedenheit mit der Politik artikulierte.
15 Prozent von ihnen bekundeten eine “allgemeine Unzufriedenheit mit Politik”, 18 Prozent eine Unzufriedenheit mit dem politischen System der Bundesrepublik und 23 Prozent bemängelten die erlebte Distanz zwischen Volk und Politikern.
Da versucht sich also eine Menge mehr zu artikulieren, als die von den Veranstaltern auf die Bühne gehobene “Überfremdung”, “Islamisierung” oder wie immer man das nennen will. Hinter der Verunsicherung wird das Gefühl sichtbar, in einer Gesellschaft zu leben, an der man selbst als gut bezahlter Angestellter der Mittelklasse kaum noch Teil und Einfluss hat.
Das wird sogar noch konkreter. Denn die Befrager haben sich auch nach der Nähe zu Parteien erkundigt. Man hätte ja eigentlich erwartet, dass AfD und NPD ganz vorn stehen mit ihren Programmen der Ausgrenzung und Abschottung. Aber es taucht wieder eine Gruppe ganz an der Spitze auf, die bei den üblichen Wahlen zumindest den gewählten Parteivertretern selten Bauchschmerzen macht: die Nichtwähler.
62 Prozent der Befragten fühlen sich keiner Partei verbunden. Was zumindest nahe legt, dass sie auch nicht zu Wahlen gehen und damit auch weder die Zusammensetzung der Parlamente und auch nicht die Themengewichtung der Politik beeinflussen. Das sollte vielleicht für die Mannschaft um Prof. Dr. Hans Vorländer das eigentliche Forschungsthema der nächsten Jahre werden. Denn was passiert mit einer Gesellschaft, an der der größte Teil der Wähler keinen Anteil mehr nimmt?
Und: Was liegt dieser Abstinenz zugrunde? Sprechen sich da auf den Straßen von Dresden und Leipzig die Überforderungen der modernen Gesellschaft aus?
Sagen kann das nach dieser Umfrage noch niemand, denn genau das wurde ja nicht abgefragt. Unzufriedensein ist ja kein wirklich greifbarer Grund, sich an politischen und demokratischen Entscheidungsprozessen nicht (mehr) zu beteiligen. Es ist ja nicht so, dass die Parteien Zäune um ihre Mitgliederversammlungen bauen und nur geladenes Publikum einlassen. Einige starten schon seit Jahren mit offenen Bewerberlisten und versuchen die gesellschaftlichen Stimmen so breit wie möglich einzubinden in ihre Programme, Wahllisten und Parlamentsanträge.
Eine mögliche Antwort könnte sein: Die meisten Bewohner des schönen Sachsens erfahren nichts davon, weil es in den Medien, die sie nutzen, nicht vorkommt.
Wobei auch hier die Frage offen bleibt: Welche Medien konsumieren sie eigentlich? Denn irgendwelche Informationen über die Welt bekommen sie ja. Aber von wem, wenn sie die “Lügenpresse” nicht lesen?
Wichtige Ergänzung: Nicht nur die “Angst vor der Islamisierung” spielt bei PEGIDA augenscheinlich nicht die Hauptrolle, auch die Kritik an den Medien nicht – trotz all der Schilder “Lügenpresse”.
Zur Ablehnung des Antrags …
Mehr als 11.500 gesammelte Unterschriften übergeben: “Winterabschiebestopp statt warmer Worte!”
Über 11.500 Unterschriften …
Leipzig sammelt sich …
Legida & Pegida: Leipziger Religionswissenschaftler zum Positionspapier
Das Religionswissenschaftliche Institut …
Nur 20 Prozent der befragten PEGIDA-Anhänger nannten “Kritik an Medien und Öffentlichkeit” als Grund für ihre Teilnahme. Und auch das wurde dann bei Nachfrage etwas differenzierter.
46 Prozent von diesen Befragten nannten “Unzufriedenheit mit der Berichterstattung” als Grund – insbesondere eine einseitige Berichterstattung betreffend. 39 Prozent meinten, PEGIDA werde diffamiert.
Natürlich kann man aus so einer Befragung nicht herauslesen, was nicht gefragt wurde.
Denn da nicht benannt ist, welche Medien gemeint sind, kann man auch über die Art der als einseitig empfundenen Berichterstattung nichts sagen. Denn “die Medien” gibt es nicht. Das wird auch bei den Dresdner PEGIDA-Teilnehmern so sein. Sie alle haben die Wahl, sich aus unterschiedlichen Quellen zu informieren … Klammer auf …. Fragezeichen: Haben sie?
Antwort: Nein.
Haben sie auch in Dresden nicht. Denn auch wenn man einmal die Berichterstattung über PEGIDA ausklammert, bietet die heutige Medienlandschaft in Sachsen kein sehr vielfältiges Bild. Die Verbreitungsgebiete der Tageszeitungen sind klar definiert, in ihrem Gebiet haben sie das Meinungsmonopol, da und dort ergänzt um die nicht wirklich viel andere Berichterstattung der Boulevardmedien, der Lokalradios und TV-Sender. Und auch der MDR ist nicht gerade dafür bekannt, dass er über die Politik in den drei Bundesländern, die zu seinem Sendegebiet gehören, wirklich umfassend, tiefgründig und kritisch berichtet.
Warum das so ist, steht ja auch nicht jeden Tag in der Zeitung. Dass es so ist, wissen die Sachsen seit 24 Jahren. Und dass es nicht gut ist, wissen die Tageszeitungen von ihren Abonnentenzahlen und die Rundfunkanstalt von ihrer Zuschaueranalyse. Was auch ein Grund dafür sein könnte, dass Rentner etwas unterdurchschnittlich bei PEGIDA auftauchen (18 Prozent). Deutlich stärker vertreten sind Arbeiter/Angestellte (47 Prozent) und Selbstständige (20 Prozent). Und das dürfte schon zu denken geben, denn dann sind es auch vorrangig ihre Probleme, die sie von Politik und Medien schlecht vertreten und behandelt sehen.
Welche das sein könnten, wurde auch nicht abgefragt.
In gewisser Weise ist die Studie so eine Art früher Vogel, eine Schwalbe oder ein vorsichtiger Anfang, vielleicht herauszubekommen, was da eigentlich nach Artikulation sucht und warum so viele Menschen das Gefühl haben, mitten in einer demokratischen Gesellschaft kein Gehör mehr zu finden und keinen Einfluss mehr auf die Entwicklung zu haben.
Antworten: Erst mal noch keine.
Aber Manches in der Umfrage deutet darauf hin, dass sich Politik und Medien ändern müssen, dass es einen großen Bedarf an mehr Kommunikation, Transparenz und Problemakzeptanz gibt.
Und zwar gerade in Sachsen.
Die Pressemitteilung der TU Dresden:
http://tu-dresden.de/aktuelles/news/pegida_pk
Die Präsentation der Zahlen als PDF zum download.
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