Manchmal muss auch unsereins Abschied nehmen von treuen Kollegen, von denen man die ganze Zeit dachte, sie sind einfach da. Wie gute Geister. Die stillen Seelen, die von einem nichts anderes wollen, als ein paar gute Worte, einen mitleidenden Blick und ab und zu einen Zipfel Bratwurst.

Dann sind sie glücklich, lassen sich das Fell kraulen und machen zufrieden Miau. Oder Mmhfff. Sie wollen ja nicht aufdringlich sein. Nur ihre Arbeit machen, zu der sie geschaffen wurden vom großen Schamanen im Himmel: Atmosphäre erzeugen. Das wuffige Schnaufen im Hintergrund, das man nicht mitschreiben muss, das aber in jeder Zeile steckt, die wir hinausschicken in die Welt.

So dass jeder Leser das Gefühl hat, er darf bei uns direkt mit am Schreibtisch sitzen und uns über die Schulter schauen beim Schreiben, Kaffeetrinken, Tastaturbekleckern, Naseputzen, blindlings zum Teller mit der leckeren Bratwuuuuu….

“Wo ist die ….”

Sie wissen schon: Diese schönen Schreckmomente, in denen man gewahr wird, dass der Teller mit der Wurst nun ein Teller ohne Wurst ist.

Dafür ist die Seele des Hauses glücklich und schaut mit fröhlichen Augen herauf zum Herrn aller Bratwürste: “Noch eins?”

Kann man ihn schelten?

Konnten wir ihn schelten?

Wir konnten.

Und wir bedauern es nicht, auch wenn er am Ende noch immer so fröhlich dreinschaute, obwohl er manche der vom Himmel gefallenen Bratwürste nicht mehr so gut vertrug. Und das Treppensteigen auch nicht, wohl Zeichen dafür, dass die armen Knochen nicht mehr die jüngsten waren. Dabei hat er uns durch seine Freude an ausgiebigen Spaziergängen immer das nötige Quäntchen Sauerstoff verschafft, das wir selbst zum Munterbleiben brauchten. Und das notwendige Abenteuer, ohne das ein Tag in Leipzig nicht vollkommen ist.

“Ist das Ihrer, Kollege? Lassen Sie den immer ohne Leine …”

“Aber der tut doch keinem was, Herr Wachtmeister. Der sieht Sie nicht mal mehr ..”

“Nicht angeleint, ist nicht angeleint. Das gibt eine ordnungsgemäße Strafgebühr, wenn Sie ihn nicht sofort …”

Wir hätten ihn Geist nennen können. Witz oder Esprit. Dann hätten wir unsere Überschriften gehabt, ohne erst nach Dresden fahren zu müssen: WACHTMEISTER MÜLLER BEFIEHLT, DASS WIR UNSEREN WITZ AN DIE LEINE NEHMEN SOLLEN.

Oder: STRAFE SOLL SEIN: LOSER WITZ KOSTET 400 EURO.
Aber natürlich hieß er nicht Witz, auch wenn er ein Teil unserer tröstendsten Stunden war, wenn uns der Schädel dröhnte und unsere eifrigsten Leser “Noch mehr” forderten. So sind sie. Immer noch ein Zipfel. Bitte. Ist so lecker. Guck mal weg.

Und schwups ist der so schön zubereitete Bratwurstteller leer.

Wie er wirklich hieß, hat er nicht verraten. Es hing auch kein Zettel an seinem Halsband, als er damals – noch ganz jung und verspielt und unverdorben – am Kaufhaus hockte. Am ersten Tag noch geduldig und fröhlich, am zweiten Tag, als wir ihn da angeleint sahen, schon sichtlich kleinlaut, weil ihn der, der ihn da angebunden hatte, nicht wieder abholen wollte. Menschen sind so. Manche. Aus den Augen, aus dem Sinn.

So kam er zu uns. Damals noch in katziger Begleitung. Wer erinnert sich nicht? Hund und Katz. Wenn schon, denn schon. Wer nicht beide Seelen hat in seinem Arbeitszimmer, der hat keine.

Vielleicht hat er dem Kater seinen richtigen Namen verraten. In seiner Sprache, von der wir ja immer nur die Ausrufezeichen verstehen. Manchmal auch die Fragezeichen. Gehört hat er auch auf all die anderen Namen, die wir ihm gaben. Das hat ihm der Kater beigebracht: “Wenn du fressen willst, musst du mauzen.”

Hat er also gemauzt. So gut er konnte: Mpphhffff. Meistens.

“Wenn sie nicht hören, musst du auf den Tisch springen, und dir deine Portion schnappen. Das steht dir zu. Du bist eine Katze.”

Wahrscheinlich hat er manchmal gedacht: Eigentlich bin ich was anderes. Mir ist eher so wuffig, wenn du weißt, was ich meine. Aber gelernt hat er: Wer auf den Tisch springt, bekommt seine Portion.

“Wenn sie dich nicht erwischen sollen, musst du wetzen und auf den Schrank springen”, hat ihm der Kater noch beigebracht.

Hat er auch gelernt. Das Wetzen. Auf den Schrank hat er’s aber nie geschafft. Saß nur immer davor, hat mit dem Schwanz gewedelt und gemauzt: Mpphfff??

Er ist immer ein guter Kater geblieben, auch als sein großer Lehrer, der Kater, nicht mehr da war.

Als Kollege Wachtmeister ihn arretieren wollte, weil er ohne Leine unterwegs war, hat er ihm ein bisschen schmeicheln wollen, wie das Katzen so machen: Um die Beine streichen und schnurren: Mrrrr???

“Wenn sie das Tier nicht sofort festhalten!!!”

Herr Wachtmeister wurde nicht nur laut, sondern blass. Manche Menschen haben Angst vor Katzen. Sie geben es nur lieber nicht zu.

Die Schlagzeile hätte auch lauten können: VON WITZ GESCHMEICHELT: POLIZIST RASTET AUS!

Beinah zumindest.

Aber er hieß ja nicht Witz. Er hieß: Komm her! Fresschen, Fresschen! Gassi? Braver. Guter. Und: Du Mistkerl!

Aber gram sein konnten wir ihm nicht. Wenn wir uns über der Tastatur ärgerten, weil uns einfach nichts mehr einfiel zur jüngsten menschlichen Dummheit, wenn uns die Pointen ausgingen und die Worte über den so gänzlich humorlosen Teil der Menschheit, dann war er da, hat geschnurrt und uns seine kalte Nase in die Hand gedrückt: Mphffff!

Man sah ihm nicht an, dass er sich für unser Wohlergehen aufgeopfert hat. Na gut, gehumpelt hat er, die Treppen kam er nur noch mit Schnaufen rauf. Und wenn er sich zum Nickerchen fallen ließ, hat die Bude gewackelt.

Aber wenn wir ein paar treffende Sätze brauchten, um der Humorlosigkeit der Zweibeiner eine fassbare Nuance zu geben, war er da.

“Soll ich jetzt schreiben: ‘Diese bierbäuchigen Wieder-nix-Versteher’?”

Miep.

“Warum nicht?”

Mppphfff …

“Und was wäre mit ‘Bleichgesichter mit Hang zur Weltanödung’?”

Miep miep.

“Oder ‘Ofenhocker mit Motivationsproblem und Eierscheckenmentalität’?”

Mmmmmmphff …

“Also heute lieber nicht?”

Mphff.

Und so wurden sie, liebe Leser, von vielen, sehr vielen sehr bissigen Pointen verschont, ging es etwas gelassener und fürsorglicher zu an einigen Stellen, an denen uns sehr danach war, mal richtig charlie zu werden. Manchmal tut das gut. Auch uns. Es schont das Herz. Man muss am nächsten Morgen nicht so früh aus dem Bett, um die wütenden Anrufe abzunehmen und wir mussten den Leuten, die die Pointe nicht verstanden hatten, nicht alles noch einmal erklären.

Fehlen die Pointen heute?

Sicher nicht.

Dafür fehlt er uns nun. Am Wochenende wollte er nicht mehr. Wir dachten, es ist wieder sein Rheuma, sein Ischias oder die Gelenkarthose. Aber der Arzt hat gesagt, es war wohl das Herz. Und dass er sich vorher schon mal zu sehr aufgeregt hat. Und dass er für sein Alter ein tapferer Kerl gewesen ist, der uns lange eine gute und treue Seele war. Das leise, mitfühlende Schnaufen so auf Hüfthöhe, das manchmal auch bedeutete: Machst du die Kiste jetzt einfach mal aus? Ich bin auch noch da.

Mancher Kollege vermutet ja, dass er jetzt im Kosmos unserer Texte ist und alles wegfängt, was nicht bei drei auf dem Baum ist.

Wäre eine Erklärung für das ganze Tohuwabuhu.

Aber wie sagt man einem Phantom: Bei Fuß! Sei brav! Gib den Text wieder her?

“Mphfff?”

“Das ist meine Pointe, gib sie her!”

Und dann hört man ihn wetzen, die Krallen scharren am Baum, schwupps ist er oben.

Jetzt haben wir eine Grinsekatze im System. Und sie klaut unsere schönsten Pointen.

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