Bei manchen Traditionen fragt man sich, warum sie immer noch praktiziert werden. Manche sind umstritten, manche weit etabliert oder nur lokal begrenzt. Die Schneeballschlacht am Connewitzer Kreuz gehört auch zu diesen Traditionen. Jährlich versammeln sich beim ersten Schnee mal wenige, mal mehr Menschen am Connewitzer Kreuz, um sich gegenseitig kräftig einzuseifen. In einem Jahr bleibt es bei dem obligatorischen Austausch von Schnellbällen, im anderen Jahr kommen Feuerwerkskörper und brennende Mülltonnen hinzu. Am Montag, 29. Dezember sorgte die Veranstaltung bei der Polizei für wenig Frohlocken.
Die Schnellballschlacht ist fester Bestandteil der Mythenbildung über das „rebellische“ Connewitz. Ein Stadtteil in der „linke Kultur“ praktiziert, Polizeiwachen unerwünscht und veganes Essen an jeder Ecke zu haben ist. Die Schnellballschlacht findet Erwähnung in Verfassungsschutzberichten und gibt so einer Veranstaltung einen politischen Anstrich, den sie inhaltlich gar nicht hat.
Außer für die wenigen Personen, die ihr unbedingt einen solchen verpassen wollen. In zwei Tagen kann auch wahrscheinlich ein weiterer Folkloreakt an der gleichen Lokalität bestaunt werden: Zur Silvesternacht werden höchstwahrscheinlich wieder Volltrunkene dabei zu beobachten sein, wie sie versuchen im Angesicht aufmarschierter Hundertschaften von sehr einsatzbereiten Polizeibeamten eine Spontandemonstration zu zelebrieren. Alles ganz normal, mancher Langzeitleipziger muss schon fast gähnen, wenn er nur daran denkt.
Die Stadtverwaltung ließ dazu heute schon mal, fast so, als ginge es um die Errichtung einer Sonderschutzzone, ausrichten:
„Am 31. Dezember sind im Bereich des Connewitzer Kreuzes verschiedene Verkehrsmaßnahmen erforderlich. So sind ab 21 Uhr Sperrungen der Zufahrtsstraßen um das Connewitzer Kreuz vorbereitet. Im Einzelnen betrifft dies die Kochstraße, die Selneckerstraße, den Wiedebachplatz sowie die Scheffelstraße.“ Neu errichteten Park- und Halteverboten sei unbedingt Folge zu leisten. Ein dummes Spiel aus Reaktion, Reaktion, Reaktion – seit Jahren.
Denn scheinbar ist es die akzeptierte Normalität, auf einer eigentlichen „lass die doch mal Spaß haben“-Veranstaltung Fotografen attackiert werden. Denn „auf einer Schneeballschlacht nützt die Pressefreiheit nichts“. Es folgt die Ansage von spontan aufploppenden Vertretern der ganz linken Politszene, die einem erklären, dass es hier Personen gebe, die nicht fotografiert werden wollen.
Macht zwar gar keiner, weil das Schwarz-auf-Schwarze Wirrwarr am Kreuz immer solche Bilder ergibt, wie hier vorliegende – aber auf einmal ist der wilde Neuschneespaß, statt einer fröhlich-anarchistischen Platznahme mit Verkehrsbehinderung, irgendwie ganz „politisch“.
Und dabei tritt in den Ausführungen ein sehr zweckdienliches Verhältnis zur Pressefreiheit zutage, denn irgendwie wird ja auch der Bericht mit ein wenig politischem Anstrich erwartet. Überschriften wie „Schnee-Rebellion in Connewitz“ oder „Ein Zeichen der Freiheit auf Connewitzer Straßen“ oder der übliche Gegensprech: „Randale am Kreuz“ wären solche Varianten von Überschriften. Dieses Jahr könnte man sogar von „Schneegida in Connewitz“ sprechen – wenn man denn auf die politischen Verballhornungen einer Kinderei steht.
Auch die Art und Weise, wie sich einige, teilweise vor Testosteron strotzenden Straßenkämpfer bzw. Schnellballwerfer verhalten, zeigt eine erschreckend simple Gruppenmechanik. Es ist das derzeit gern gespielte „Wir gegen die“. „Wir“ sind dabei „die Connewitzer“, die nachweislich nicht komplett anwesend sind und zu denen wohl auch nicht Orts-Ansässige zählen können.
Auf der anderen Seite stehen die Polizei, die Presse und alles was man vielleicht sonst noch so als Feindbild ausmachen kann. Lokalpatriotismus nennen es die Einen, linken Freiraum die Anderen. Eigentlich müsste es heißen: danach fröhliches Jackeabklopfen, Umarmung und die Sause ist vorüber.
Doch hier erhält das adoleszente Spiel ganz unbedingt eine politische Kopfnote – von allen Seiten.
Am heutigen Montagabend jedenfalls folgte das jährliche Ritual, kaum war der erste Schnee herniedergegangen. Man bewarf sich auf dem Connewitzer Kreuz mit Schneebällen. Und die, denen das vielleicht zu wenig „politisch“ war, brannten ein paar Mülltonnen an und beschäftigte sich so lange damit, bis die Polizei anrückte. Die man natürlich als erwarteten und gewohnten Gast begrüßte.
Sie wurden mit Schneebällen und natürlich Feuerwerkskörpern beworfen. Ganz so, als ob Schnee eben doch nicht reicht. Schon vor zwei Jahren hat die L-IZ gefragt, ob nicht alle „Waffen“ außen vor bleiben könnten und die Einsatzpolizisten einfach mitmachen könnten. Natürlich ohne Böller hier und ohne Helm da.
Auch 2014 folgte wieder das Adrenalin geschwängerte Katz- und Maus-Spiel zwischen Polizei und zahlreichen Grüppchen und Beamte schubsten vereinzelt Anwesende herum, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Und am Ende durfte die Feuerwehr den traditionellen Mülltonnenbrand löschen.
Bleibt nur die Frage: Was soll das eigentlich?
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