Diktierte man einer Klasse Zwölfjähriger heutzutage den Titel des schönen Heimatfilms aus den Fünfzigern "Christel von der Post", schrieben mindestens 80 % der Schüler "Crystal von der Post", während der Rest fragte, ob es nicht Postagentur heißen müsse. Während man den kleinen Rechtschreibdreher nach erstem Nachdenken beruhigt ad acta legen kann, (Wer arglos glaubt, dass man Crystal tatsächlich bei der Post holen könne, hat vermutlich keine eigenen Drogenerfahrungen), ist die Frage nach der korrekten Bezeichnung der Post schon alarmierender. Zeigt sie doch: Wir können zwar Weltmeister, aber eine schöne klare, Sprache pflegen - das können wir nicht mehr.
Gemeint ist damit beileibe nicht das allseits bekannte Keep-it-simple-and-short-Gequatsche der Werbebranche, auch weil diese nicht selten Einfachheit nur mit schierer Dümmlichkeit verwechselt. Aber selbst in Werbekreisen finden sich Lichtblicke der Besonnenheit: So bringt ein bekannter Markt für Unterhaltungselektronik immerhin noch so viel gesunde Selbstreflexion auf, dass er dem Kunden, den er mit Slogans wie “Kaufen! Marsch, Marsch!” anzuherrschen wagt, wenigstens erklärend ein “Wir können nur billig.” hinterherschiebt.
Deshalb ist auch nicht die Werbebranche allein zu beschuldigen, dass es mit dem Zustand unserer Sprache schlecht bestellt ist. Einfachheit hat etwas mit einem kindlichen Blick auf die Welt zu tun. Mit einem unverstellten, unverdorbenen Blick. Aber mit der Unschuld ist das so eine Sache. Sie bleibt ein flüchtig Ding.
Irgendwann kriegen wir vom Leben eins nach dem anderen übergebraten. Dann fangen wir an zu kompensieren. Und anstatt auf Kästner zu hören, der im “Fliegenden Klassenzimmer” schön wie eh geratschlagt hatte: “Verzweifelt nicht gleich, wenn etwas schief geht. Sonst seid ihr bei der ersten Ohrfeige, die euch das Leben versetzt, groggy!”, beginnen wir, uns zu wehren. Bauen unser kümmerliches Ego wieder auf, indem wir andere klein halten, holen die Dicke Berta unter den menschlichen Waffen raus: die Sprache.
Irgendwann kriegen wir raus: eine schnelle Aufwertung unserer Person sowie die Ablenkung von eigener Schwäche funktionieren am besten, wenn man die Dinge verkompliziert. Ein kompliziertes Lebensgerüst verschafft uns den Eindruck der eigenen Wichtigkeit.
Wie? Das klingt auch kompliziert? Ist es aber nicht. Gehen wir dafür noch einmal zur Post. Verzeihung – zur Postagentur. Der Begriff Agentur ist in den letzten Jahren schwer im Kommen gewesen. Nicht nur die Post wurde toupiert, auch das Schulamt nennt sich nun Bildungsagentur und belächelt werden die Zeiten, als die Agentur für Arbeit noch Arbeitsamt genannt wurde.
Zugegeben: Der Begriff Amt stiftet nicht gerade zu überbordender Lebensfreude an. Da vermittelt eine Agentur schon eine gänzliche andere Dynamik. Besonders Arbeitslose schätzen so was ja sehr. Aber was sage ich? Die Arbeitslosen! Arbeitslose gibt es nicht mehr, es sind ja längst alle zu Arbeitssuchenden umoperiert worden. Leider funktioniert auch dieser Bezeichnungstransfer nicht ohne weiteres.
Wenn -lose tatsächlich identisch mit -suchenden wären, dann könnte man zum Beispiel halterlose Strümpfe auch als haltersuchende Strümpfe bezeichnen. Das stimmt natürlich nicht, denn halterlose Strümpfe sind in den allermeisten Fällen eher haltsuchende Strümpfe, denn wer je mit halterlosen Strümpfen zum Bus gerannt ist, der weiß wie sehr die Strümpfe nach Halt suchen in solchen Situationen, ihn meist nicht finden und die Halterin wiederum – mit beiden Händen unter dem Rock die Strümpfe rettend – zur Bushaltestelle zu schleichen beginnt, wo sie dann viel Zeit zum Nachdenken hat – bis der nächste Bus kommt.
Der Bus bringt uns zurück zur Thematik der Arbeitssuchenden. Diese erkennen ohne Umschweife, dass Agentur von agere (lat. etwas tun) kommt und strömen nun noch aktiver, wenn nicht sogar pro-aktiv zu ihren Arbeitsagenten, in der Hoffnung, dass diese ihrem Namen alle Ehre machen. Oftmals schauen sich dann aber sowohl die Agenten als auch die Arbeitssuchenden nur verzweifelt an, erkennend dass sie trotz des neuen Namens ihrer Begegnungsstätte hoffnungslos an Lenins Schrift “Was tun” (Schto delatch?) zu scheitern drohen.
Aber auch andere Institutionen zeigen unfreiwillig beredt, wie der mittlerweile bis zur Unmündigkeit verwirrte Bürger versucht, sein geschundenes Ego wieder zu erigieren. Werfen wir dafür einen Blick in die Bildungslandschaft Deutschlands oder sagen wir – auf das, was davon auf der “Schwundstufe zusammengestoppelter Kompetenzmodule” übriggeblieben ist, wie es der Kolumnist Stefan Gärtner einmal auszudrücken vermochte.
Abgesehen davon, dass es beschämend ist, wie man in Deutschland in unterwürfigster Manier vom genialem Schulsystem Skandinaviens schwärmt, ganz so als hätten die Schweden nicht auch Olof Palme umgebracht, schaue man sich nur die sprachliche Verrenkungen an, wenn es darum geht, die Alternative zum Gymnasium zu bezeichnen: Regelschule, Oberschule, Stadtteilschule, Sekundarschule, Realschule plus … alles Bezeichnungen für ein und dieselbe Schulart, alles in einem Land! Das wirkt – wenn man genauer darüber nachsinnt – doch etwas wohnküchenstalinistisch.
Vielleicht ist das auch schon der ZEIT aufgefallen, die in einer ihrer Septemberausgaben verzweifelt fragte: “Wie soll diese Schule heißen?”, um dann mit nichts Lächerlicherem aufzuwarten, als sogenannte “Agenturprofis” nach ihren Ideen zu fragen.
Wer aber Agenturen damit beauftragen muss, um einen Namen für eine Schulart zu finden, der scheint nicht nur auf der “Realschule minus” gewesen zu sein, sondern der sagt auch schon einiges aus über unsere Gesellschaft. In welcher es nicht einmal mehr peinlich ist zuzugeben, dass es heutzutage wichtiger ist, etwas im Schaufenster zu haben statt im Laden.
Vorgeschlagen von den Agenturen wurden u.a. die sensationelle Bezeichnung “Machschule”, die – wie im Untertext zu erfahren – von drei (!) Personen einer Hamburger Kommunikationsagentur entwickelt wurde. Auf der Stelle fiel mir der Unterhaltungselektronik-Markt wieder ein – diesmal aufgrund seines kritischen Slogans: “Lasst euch nicht verarschen.”
Es ist aber gar nicht so leicht, sich heutzutage nicht verarschen zu lassen, denn der Sprachstalinismus schleicht neuerdings ja auch verkleidet herum. Am liebsten in der Maske des politisch korrigierenden Heilsbringers.
Mit der Vorgabe, alles im Vorfeld aus dem Weg zu räumen, was Menschen auf irgendeine Weise verletzten oder beleidigen könne, vergreift er sich mittlerweile auch an der Kunst, indem er zum Bespiel versucht, selbst-erfühlte “Rassismen” aus Kinderbüchern zu tilgen. Und damit vor allem nur zeigt, was die ganze Welt ohnehin schon lange über uns weiß: Lockerheit und Großzügigkeit stehen nicht im Deutschen Grundgesetz.
Der Deutsche kann einfach nicht loslassen, ohne etwas Abrechenbares dafür zu bekommen. Das sieht man am besten beim “Frauentausch” auf RTL, der im Grunde nur zustande kommt, weil der Sender ein paar Kröten abdrückt und man bei der Gattin großzügiger zu reagieren pflegt, falls man diese zurückerhielte wie ein verliehenes Auto: alles verstellt und aus jeder Öffnung eine Kippe hervorquellend.
Nein, Großzügigkeit ist und bleibt uns fremd. Wir müssen eingreifen, wo allzu großer Frohsinn und wunderbare Leichtigkeit arglos walten. Wenn das “Kleine Gespenst” von Ottfried Preußler gerne nach seiner Schwarzfärbung wieder weiß sein möchte, dann kann das nichts Gutes bedeuten – das ist vollkommen ausgeschlossen. Preußler hat hier unterschwellig die Überlegenheit des weißen Mannes darstellen wollen, der den schwarzen Kontinent zu unterjochen trachtet – klar.
Dass die Preußler-Tochter irgendwann doch dem Drängen des Verlages nachgegeben und die verbalen Vergewaltigungen am Text zugelassen hat, spricht für eine überraschend schwankende Persönlichkeit – ganz anders als man es bei jemandem vermuten würde, der freiwillig mit dem Doppelnamen Regine Preußler-Bitsch durchs Leben geht.
Leider ist der Trend anhaltend. Mit der Beispiels-Liste dieser so angestrengt wirkenden politischen Korrektheit würde man mittlerweile ein Land wie Liechtenstein zudecken können, so populär ist hierzulande der Versuch, andere in der Mission des Gutmeinenden in ihrem Sprachgebrauch zu reglementieren.
Es ist viel Arbeit, die man sich damit macht – keine Frage. Viel Arbeit – nur um letztlich darüber hinwegzutäuschen, dass die Politik in Sachen Visionen am Ende der Fahnenstange angelangt ist, dass unsere Ordnung ideell am Ende ist. Da hilft es auch nicht, mittels Reglementierungswahn und Überanpassungssucht wild im Kreise herumzurudern. Immerhin: Wenn man kein Ziel mehr hat, kann Aktionismus noch eine Weile über Wasser halten.
Nehmen wir deshalb doch endlich mal wieder das Blatt vom Munde: Nicht Sprache ist stigmatisierend, sondern unser Handeln. So mag es sich auch erklären, dass die Literaturnobelpreisträgerin Hertha Müller, die in Rumänien einmal mit dem Begriff “Roma” aufgewartet hatte, weitgehend auf Unverständnis der dort lebenden Zigeuner zu stoßen wusste, die stattdessen betonten: “Der Begriff ist gut, wenn man uns gut behandelt.”
Dass in diesen Worten mehr Weisheit steckt als in sämtlichen hilflos-manipulativen Sprachverordnungen liegt auf der Hand. Die Botschaft, die sich aus dieser Aussage ableitet, besticht nämlich mit Klar- und Schönheit.
Behandeln wir die Sprache genauso wie wir miteinander umgehen sollten: zugewandt, aufmerksam, interessiert, spielerisch.
Werden wir hellhörig, wenn sich jemand umbenennt. Wenn der Bäcker Kokosberg plötzlich Chochosberg genannt werden will oder die Post nunmehr Agentur. Wenn jemand anfängt, eigenmächtig in literarischen Werken herumzustreichen und uns Euphemismen aufzwingen will. Schätzen wir Situationen mit der uns gegebenen Intuition ein, dann wissen wir auch um den richtigen Sprachgebrauch. Haben wir Vertrauen in eine menschliche Ur-Vernunft. Tun wir die Frage “Warum?” nicht einfach als nervtötendes Verhaltensrepertoires von Vierjährigen ab. Fragen wir freundlich, aber stetig.
Mit anderen Worten: Macht nicht alles mit. Macht nicht alles nach. Macht es besser!
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