Eine Passage ist zwischen der neu entstehenden Nonnenmühlgasse und dem Martin-Luther-Ring noch nicht zu erkennen. Zu viele Baumaschinen und Gerüste haben noch ihren festen Platz am Neubau der Propsteikirche. Doch ab 9. Mai 2015, wenn 11 Uhr der Neubau eingeweiht wird, sollen hier die Leipziger durchwandern, wie sich Priester Gregor Giele wünscht. "Deswegen sind ebenerdig auch nur Fenster. Schaufenster wie in der Innenstadt. In dieser Lage können wir uns nicht abschotten - und das wollen wir auch nicht."
Um den Priester der Propsteigemeinde haben sich 30 Besucher geschart, die auf einer regelmäßig stattfinden Baustellenführung etwas über das Haus, was die Südseite des Martin-Luther-Rings zukünftig prägen wird, zu erfahren. Ausgerechnet eine katholische Kirche mag mancher stöhnen, denn so viele Katholiken gibt es in Leipzig nicht. Gerade mal 20 Prozent der Leipziger glauben überhaupt an einen christlichen Gott. 80 Prozent davon sind evangelisch-lutherisch, jedenfalls nicht katholisch.
“Aber wir sind eine wachsende Gemeinde, haben jetzt 4.700 Gemeindeglieder”, so Giele. Ursprünglich versammelte sich die Propsteigemeinde in der Pleißenburg, also direkt gegenüber dem heutigen Neubau. Als die Kapelle zu klein wurde, baute die Gemeinde 1847 ihr eigenes Gotteshaus. Es stand am Rande des Kolonnadenviertels, dort wo heute eine Grünanlage Fußgängern den Weg vom Neuen Rathaus zum Johanna-Park verschönert. “Aber bei dem schweren Bombenangriff auf Leipzig am 04.12.1943 erhielt der Kirchenraum einen Volltreffer. Zu DDR-Zeiten hatten wir schon die Baugenehmigung für eine Neuausrichtung im Stile der 50er Jahre und als die Kirche abgetragen wurde, um Baufreiheit zu schaffen, wurde die Baugenehmigung zurückgezogen”, erläutert Giele die Kirchenpolitik der DDR an einem typischen Beispiel.
Für den Neubau liest seine Gemeinde nun sogar in der Bibel. “Und das obwohl es doch immer heißt: Katholisch ist da, wo die Bibel im Schrank steht.” Geplant war das jedenfalls nicht. Die heilige Schrift soll komplett an der Fensterfront zum Martin-Luther-Ring zu lesen sein. “Der Künstler wollte eine fehlerfreie Bibelversion von uns haben. Das katholische Bibelwerk hat aber nur eine fehlerarme.” Die wollte der Künstler allerdings nicht verwenden, weil er sonst bei einem Fehler haftbar gemacht werden kann. Kurzerhand wurde die Version des Bibelwerks kopiert und unter den Gemeindegliedern zur Korrektur verteilt. “So bekommt man seine Gemeinde zum Bibel lesen”, schmunzelt Giele, mittlerweile im neuen Gotteshaus stehend.
Durch einen dreimal 34 Meter großen Lichtschacht soll Tageslicht in das 21 Meter hohe Gotteshaus fallen. Noch hängt kein Kreuz, die Vorrichtungen sind aber schon angebracht. Es soll ein griechisches Kreuz werden mit vier gleich langen Seiten. “Der Durchschnitts-Leipziger sieht darin aber ein Plus, weswegen über die genaue Ausgestaltung noch beraten werden muss.” Giele hat einige Anekdoten rund um den 15 Millionen Euro teuren Neubau parat, der schließlich notwendig wurde, weil die Gemeinde nach der Enttäuschung nach dem Abriss des 1847 errichteten Kirchenbaus in den 1980er Jahren von der Stadtverwaltung ein Grundstück in wasserführendem Gelände bekam – ohne es zu wissen. Das Fundament war schon nach wenigen Monaten gefährdet. Da nimmt es nicht Wunder, dass der Vorschlag, ein riesiges Wasserbecken zur Wärmespeicherung unter der neuen Kirche zu bauen, in der Gemeinde überhaupt nicht gut ankam. “Wir heizen nun mit Erdwärme”, so Giele. Im Kirchenraum werden derzeit die Steinplatten verlegt, die Vorrichtungen für die Beichtstühle sind auch schon zu sehen. Damit alle im Raum den Altar sehen können, hat der Boden Gefälle. “Und wer nur mal neugierig sein will, kann auf die Empore huschen ohne quer durch den Raum laufen zu müssen.” Diese ist übrigens freitragend, denn Säulen sollen keine unentschlossenen Besucher ab- und ausgrenzen.
Und weil die Propsteikirche in exponierter Stellung nicht ihr eigenes Süppchen kochen, sondern offen für alle sein, ja zumindest Neugierigen deren Schnarchereien gewähren will, kommen auch an die Fenster im Gemeindezentrum keine Gardinen. “Es gibt nicht mal die Vorrichtungen dafür”, so Giele.
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Das Gemeindezentrum liegt vis-a-vis zum Kirchenraum, ist über den Kirchhof zu erreichen. Im Gemeindesaal, wo derzeit noch die Kabel aus der Decke hängen, wird demnächst Platz für 150 Leute an Tischen, 250 Leute bei Vorträgen sein. Zahlreiche Räume an der Südfront können für das Gemeindeleben genutzt werden. Im ersten Stock werden Hausmeister, Kaplan und Probst einziehen. Der Probst wird dann vom Wohnzimmer direkt aufs Neue Rathaus schauen – und nichts vom Verkehr hören. Gar nichts. Er wird aber auch wenig von “seiner” Kirche sehen können, deren Bau auch dem Bedürfnis folgt, nachhaltig und umweltbewusst zu bauen. Giele nimmt in jedem Teil des Neubaus mindestens einmal das Adjektiv nachhaltig in den Mund: Zisterne im Hof, Rochlitzer Porphyr als Fassade, Beuchaer Granit im Spritzbereich.
Nur als jemand von den 30 Personen fragt, wieso denn chinesischer Granit im Innenhof verlegt wurde, muss Giele passen. “Ich bin immer noch Pfarrer, auch wenn ich im Verlaufe des Neubaus so einiges lernen konnte.” Mittlerweile ist die Gruppe wieder vor den Neubau getreten und steht nun dort, wo bald wieder die Nonnenmühlgasse entstehen wird. 13 Meter breit mit sechs bis achtstöckigen Gebäuden, bebaut bis hoch zum Peterssteinweg. Dann wird die Kirche von Süden nicht mehr so prominent zu sehen sein. Der Glockenturm mit Photovoltaik an der Südseite wird die Nachbargebäude wahrscheinlich dennoch überragen, mit seinen fünf Glocken, deren Klang noch mit den Nachbargemeinden abgestimmt werden muss und dem Kreuz, was sich am Martin-Luther-Ring ausrichtet. Der beinahe neuen Anschrift der Gemeinde, aber die zieht nun am 9. Mai 2015 offiziell in die Nonnenmühlgasse um. Nachhaltig und am besten für die Ewigkeit.
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