Das Leben hat es echt drauf: Immer wieder stellt es einen vor unvollendete Tatsachen. Manchmal kann das aber auch belasten. So hatte ich vor kurzem einen furchtbaren Alptraum. Ich träumte, es sei neuerdings Mode geworden, dass Arbeitgeber die Kosten für das Einfrieren von Gehirnzellen ihrer Mitarbeiter übernähmen, damit diese in aller Ruhe erst einmal Karriere machen können. Man muss hier sicher nicht erst zum Psychologen, um glasklar zu erkennen, dass mich die Entwicklungen unserer modernen Gesellschaft offensichtlich überfordern.
Irgendwo bleibt der Mensch eben auf der Strecke zwischen all dem Social Freezing und Global Warming. Die Seele ist keine Eidechse. Die Seele ist nicht wechselwarm. Wechselwärme ist aber gefragt heutzutage. Man nennt es nur anders. Man nennt es Flexibilität. Der Begriff scheint die Zauberformel zu sein in Stellenanzeigen und den zumeist sterbenslangweiligen, arschkriecherischen Bewerbungsschreiben. Flexibel soll der Mensch sein. Schnell integrierbar und leistungsfähig, soll sich zu jeder Tages- und Nachtzeit bereithalten, für einen mäßig interessanten Job.
Und unter einem äußerst mittelmäßigen, aber hoch narzisstischen Menschen aus der mittleren Führungsebene in einer Firma zu arbeiten, die Dinge produziert, die die Welt noch nicht gesehen hat, weil sie sie gar nicht braucht.
Soll frei durch die Welt kutschieren, Fremdsprachen erlernen, aber bitte nur welche, die nützlich sind. Auch hier bin ich nicht fit genug für den modernen Markt: Ich denke bei Mandarin’ eben immer noch an die kleinen orangefarbenen süß-schlabbrigen Halbmonde in Konservendosen, die es einmal im Jahr bei Oma zum Geburtstag gab und nicht an den Chinesisch-Kurs im Kindergarten. Mit Verlaub: Leute, die Vorschulkinder zum Chinesischlernen anhalten, sollten in der Kantine dann konsequenterweise auch in den Spucknapf rotzen.
Interkulturelle Kompetenz ist schließlich wichtig für die Flexibiltät in der globalen Welt, in die man sich jederzeit verschicken lassen soll. Don’t cry for me, Germania – im Netz ist schließlich jedermann zuhause! Viele halten dies für fortschrittlich, einige sogar für Freiheit. Bedauerlicherweise ist dies nur bedingt richtig.Man muss eben flexibel sein heutzutage, heißt es. Nur weshalb eigentlich? Warum wird fehlende Flexibilität als Schwäche betrachtet? Könnte man diese nicht sogar als dezidierte Charakterstärke auslegen? Menschen, die beharrlich an ihrer Scholle hängen, wirken auf mich nicht selten interessanter als jene, die mit kosmopolitischen Gesicht an ihrer Schorle hängen. Und warum sollte sich ausgerechnet der nicht weiterentwickeln, der nicht bereit ist, jederzeit und ohne Not liebgewordene Bindungen zu Familie, Freunden und Heimatstadt zu kappen? Der nicht einfach “Leinen los” brüllt und mit bereits wehenden Rockschößen über die Schulter zurückruft, es gebe ja Skype.
Mal ehrlich: Wer jemals sehnsüchtig und frisch verliebt eine wilde Knutscherei über Skype ausprobiert hat, der weiß ziemlich genau, dass es eben nicht dasselbe ist.
Es mag absurd klingen, aber vielleicht kann man von diesen unflexiblen, provinziellen Wachstums-Spielverderbern sogar etwas lernen. Zum Beispiel dass man sich mit Sätzen wie “Das macht sich gut im Lebenslauf” freiwillig selbst entwürdigt. Dass man Frauen beim ersten Rendezvous eben nicht dümmlich fragt: “Bist du eigentlich auch bei XING?”, weil man sich damit unwillkürlich zum “Xingeling-hier-kommt-der-Eiermann-Karriere-Fredi” herabstuft. Dass man seine Biographie und all seine Entscheidungen ganz und gar nicht ständig der Wirtschaft anbequemen muss, weil es weder in der Bibel noch in der BUMMI gestanden hat, dass der Mensch dazu bestimmt ist, fortwährend dem Strom der Waren hinterher zu eilen. Dass ein fester Ankerplatz eben bei der Identitätsfindung sehr hilfreich zu wirken imstande ist.
Identität ist nämlich nicht unwichtig, wenn man danach trachtet, zumindest in gewisser Weise frei zu sein. Sich die Freiheit zu nehmen, gegebenenfalls auch NEIN zu sagen. Wie wäre es denn, wenn man – statt immer wieder gebetsmühlenhaft zu betonen, wie flexibel und mobil man sei, tatsächlich einmal ein bisschen Selbstvertrauen aufböte, das doch ebenfalls in den Stellenanzeigen so gern gefordert wird? Wenn man zum Beispiel Unternehmen, die ausdrücklich Online-Bewerbungen akzeptieren, darauf hinwiese, dass man den Job dann eben auch ausschließlich online zu erledigen gedenkt? Oder wenn man endlich klarstellte, dass der Personaler sich mit seiner hochgeschätzten Teamfahigkeit zum Teufel scheren soll, wWeil Edison die Glühbirne eben nicht durch teambildende Maßnahmen und eine Firmenweihnachtsfeier erfunden hat?
Weil Kreativität und Innovationsgeist oft sogar besser in den Sümpfen eigenbrötlerischster Grübelei gedeihen? Wie wäre es, wenn man tatsächlich anfinge, die Wahrheit in ein Bewerbungsschreiben zu packen, mal die Masken nahezu beiseite ließe? Das spart doch sogar Zeit! Lästige Zeit für das tatsächliche Erkennen des Mitarbeiters, überflüssige Stunden der Dechiffrierung leerer und schwachsinniger Textbausteine, in denen so etwas Schönes wie Freundlichkeit verquast-verklemmt zur “emotionalen Kompetenz” hochgebürstet wird? Gott sei Dank gibt es ja nicht nur Alpträume. Deshalb träume ich heute Nacht besser von einer Arbeitswelt, in welcher der ideale Mitarbeiter eine verbindliche Type mit jeder Menge hard skills ist.
Ein Mitmensch, der seine Pflicht tut, ohne sich selbst aufzugeben, weil er oder sie ein bisschen kant-ig in dem Sinne ist, dass sie den Mut hat, sich des eigenen Verstandes zu bedienen. Weil sie nicht chronisch erschöpft irgendwelche Zielvereinbarungen zu erfüllen hat, die die den Begriff Vereinbarung verhöhnen. Verdienen sollte dieser Arbeitnehmer wenigstens so viel, dass er dann und wann und ohne Not mit Familie oder Freunden verreisen kann, um sich die Welt zu besehen und den zurückbleibenden Kollegen über Skype einen Kuss zu senden.
So viel Flexibilität sollte sein.
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