Am 16. April wurde im Leipziger Stadtrat zum wiederholten Male über das weitere Verfahren im Wettbewerb zum Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal beraten - diesmal über einen Antrag der Stadtratsfraktion von Bündnis90/Die Grünen, die einen Abbruch des Wettbewerbes fordert und dessen Wiedervorlage in 25 Jahren! Dazu die Freigabe der für das Denkmal vorgesehenen innerstädtischen Brache Wilhelm-Leuschner-Platz für die städtebauliche Entwicklung.
“Wir besitzen nach unserer Meinung mit den nach der Friedlichen Revolution entstandenen Denkmälern wie Nikolaisäule, dem ‘überlaufenden’ Brunnen, den Lichtsteinen, also mit dem Nikolaikirchhof insgesamt, bereits würdige Formen des Gedenkens der Ereignisse von 1989. – Aus diesem Grund hat unsere Fraktion heute einen Antrag ins Verfahren gebracht, diesen Wettbewerb zu beenden und auch in demonstrativ absehbarer Zeit nicht wieder aufzunehmen. Zudem soll der Platz der Friedlichen Revolution (Wilhelm-Leuschner-Platz) für eine städtebauliche Entwicklung freigegeben werden”, heißt es in einer Pressemeldung von Bündnis90/Die Grünen vom 3. April 2014.
Die Stadtratsfraktion der Linken möchte dagegen die Leipziger in einem Bürgerentscheid darüber abstimmen lassen, ob das Denkmal überhaupt errichtet werden soll: “Heute startet die LINKE in Leipzig das Bürgerbegehren zum Freiheits- und Einheitsdenkmal. Ziel ist es, einen Bürgerentscheid mit der Fragestellung ‘Sind Sie dafür, dass in der Stadt Leipzig ein aus Bundes- und Landesmitteln finanziertes Freiheits- und Einheitsdenkmal errichtet wird?’ zu initiieren. Eine entsprechende Anzeige wurde heute dem Oberbürgermeister übergeben. Um einen solchen Bürgerentscheid durchführen zu können, sind knapp 22.000 Unterschriften notwendig. DIE LINKE Leipzig wird aktiv um die Unterschriften der Bürgerinnen und Bürger in Verbindung mit dem Wahlkampf zur Kommunal- und Europawahl am 25. Mai werben. Wenn das erforderliche Quorum erreicht wird, soll der Bürgerentscheid in Verbindung mit der Landtagswahl am 31. August diesen Jahres stattfinden.” So zu lesen in einer Pressemeldung der Fraktion DIE LINKE vom 14. April 2014.
Auch die Stadtratsfraktion der SPD kann sich eine Fortsetzung des Wettbewerbes momentan nicht mehr vorstellen: “Axel Dyck, Fraktionsvorsitzender der SPD im Leipziger Stadtrat, hält das Einheits- und Freiheitsdenkmal für vorerst gescheitert. Obgleich grundsätzlich für ein solches Mahnmal in der Messestadt, glaubt Dyck nicht, dass eine Umsetzung zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist. “Das wird wahrscheinlich auch längere Zeit der Fall sein”, so der Sozialdemokrat am Donnerstag in einer Mitteilung.” So zu lesen in der LVZ vom 6. März 2014.
Den Abbruch des jetzigen Wettbewerbsverfahrens fordert im übrigen auch eine Bürgerinitiative Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig: “In einem mehrstufigen Wettbewerb wurden drei Siegerentwürfe prämiert. Seitdem reißt die berechtigte Kritik an Verfahren, Standort und Qualität der Entwürfe nicht mehr ab. Über den Fortgang des Verfahrens wird erbittert gestritten. Die Leipziger Bürger äußern unablässig ihren wachsenden Unmut. Bundesweit hagelt es Spott (siehe etwa FAZ v. 29.7.2013). Es ist an der Zeit, dass die Politik endlich dieses unwürdige Wettbewerbsverfahren beendet! Das laufende Wettbewerbsverfahren muss rechtlich beendet werden. Der Bund, Sachsen und die Stadt Leipzig müssen gemeinsam den Weg neu eröffnen für ein Denkmal, das seinen eigentlichen Zweck erfüllen kann. Die Menschen, die damals ihr Leben für unsere Freiheit riskierten, haben ein würdevolles Gedenken verdient!”
Die mögliche Alternative – Stiftung eines Europäischen Demokratiepreises
Dass der Wettbewerb zu diesem Denkmal auch in Leipzig scheitern würde, war nach dem Entscheid zum Berliner Wettbewerb im Jahr 2011 freilich schon abzusehen. Auch deshalb hat der Bund Bildender Künstler (BBK) Leipzig in einem Schreiben an den Leipziger OB von Ende März 2011 statt eines neuen Denkmals die Stiftung eines mit 100.000 Euro dotierten Demokratiepreises gefordert, der jährlich am ersten Sonntag nach dem 9. Oktober in der Nikolaikirche vergeben werden könnte: Leider wurde dieser Vorschlag bisher niemals ernsthaft öffentlich diskutiert:
“Für außerordentlich wichtig hält der BBK Leipzig des Weiteren die Stiftung eines hochkarätigen Demokratiepreises zur Erinnerung an die Friedliche Revolution vom Herbst 1989. Für uns wäre das die wichtigste Einzelmaßnahme, weil hier – insbesondere dann, wenn diese Preisverleihung jährlich im Fernsehen (ähnlich dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche) live übertragen werden würde – die Erinnerung von Leipzig als Ausgangsort der Friedlichen Revolution vom Herbst 1989 nachhaltig wach gehalten werden würde. Dieser Preis könnte auf überzeugende Weise den friedens- und freiheitsliebenden Geist vom Herbst 1989 mit der Welt von heute verknüpfen und Personen würdigen, die sich um Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit sowie Bewahrung der Schöpfung weltweit eingesetzt und verdient gemacht haben.”
Es scheint deshalb in der momentanen Debatte um Abbruch oder Neustart des Wettbewerbes zum Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal ausgesprochen sinnvoll, diese interessante Alternative endlich einmal öffentlich zu diskutieren. Die “Rede zur Demokratie”, die seit dem Jahr 2001 jedes Jahr am 9. Oktober nach dem traditionellen Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche, dem Ausgangsort der Friedlichen Revolution (und in diesem Jahr im Staatsakt des Freistaates Sachsen von Bundespräsident Joachim Gauck im Gewandhaus gehalten wird), könnte dadurch intelligent weiterentwickelt werden.
www.mdr.de/mdr-aktuell/friedliche-revolution104_zc-36d200d6_zs-046016ee.html
Mit der Stiftung eines Europäischen Demokratiepreises könnte die Stadt Leipzig das dann ab dem Jahr 2015 fortsetzen, wobei es wohl schon für das Jahr 2014 einen geeigneten Preisträger geben dürfte: Das ukrainische Volk des Kiewer Maidan, der im übrigen beweist, dass der Ort einer Revolution selten ein Kinderspielplatz ist. Was u.a. auch der Leipziger OB bei seinem Besuch in Kiew vor wenigen Tagen festgestellt haben dürfte:
“Wir sind das Volk!” – “Die Ukraine gehört zu Europa! – “Erst die Krim – dann der Rest!”
Die Stiftung eines solchen Preises durch die Stadt Leipzig würde langfristig die Erinnerung an die Friedliche Revolution mit der Würdigung ihrer eigentlichen Werte verbinden: Frieden, Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte, ein funktionierender, weitestgehend korruptionsfreier Rechtsstaat sowie ökologische Rücksichtnahme können zusammen in einem Denkmal gar nicht überzeugend veranschaulicht werden – wohl aber in einer Preisverleihung! Das sind im übrigen auch genau die Werte, für die die Bürger damals in Leipzig – ebenso wie vor kurzem auch in der Ukraine – wirklich auf die Straßen und Plätze gegangen sind. Allerdings haben die Ukrainer – im Gegensatz zu den Bürgern der ehemaligen DDR – einen hohen Blutzoll dafür bezahlt. Und müssen jetzt sogar um den territorialen Fortbestand ihres Landes fürchten, da Russland nach der Krim ganz offensichtlich auch noch weitere Teile der Ukraine abspalten und annektieren möchte.
Um aus den Mitteln für das Denkmal einen solchen Preis stiften zu können, muss zwingend der Bundestagsbeschluss zum Freiheits- und Einheitsdenkmal vom November 2007 geändert werden.
Der Stadtrat sollte deshalb den OB beauftragen, diesbezügliche Verhandlungen mit der Bundesregierung und den einzelnen Bundestagsfraktionen aufzunehmen. In jedem Falle sollte dieser Vorschlag von Stadtrat und Verwaltung als Alternative zum geplanten Freiheits- und Einheitsdenkmal diskutiert werden. Denkmäler von nationalem Rang kann man im übrigen nicht am Schreibtisch konzipieren. Das Brandenburger Tor in Berlin war deshalb 40 Jahre lang das Symbol für das geteilte Deutschland, weil es genau auf der Grenze zu Westberlin stand und von Ost und West gleichermaßen sichtbar war:
Es ist und bleibt deshalb das deutsche Einheitsdenkmal und kann durch kein noch so künstlerisch überzeugtes neues Denkmal aus dieser historischen Erinnerung verdrängt werden. Schon gar nicht durch eine goldene Kitschwippe, deren politischer Sinn sich bis heute noch niemandem wirklich erschlossen hat.
Für Leipzig gilt das gleiche. Das neue deutsche Freiheitsdenkmal ist und bleibt die Leipziger Nikolaikirche, die nicht umsonst auf zwei Sonderbriefmarken der Post der DDR (1990) und der Bundespost (2009) als Symbol der Friedlichen Revolution gewürdigt wurde. Von dort gingen im September 1989 die Proteste aus, die ab Oktober flächendeckend die ganze DDR erfassten. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass jetzt auch der Wettbewerb zu einem neuen, künstlichen Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig gescheitert ist. Zumal der dafür vorgesehene Standort Wilhelm-Leuschner-Platz mit dem Revolutionsgeschehen in Leipzig im Herbst 1989 wenig zu tun hatte.
Ab dem Jahr 2015 sollte deshalb die Stadt über ihre seit dem Jahr 2009 bestehende Stiftung Friedliche Revolution 1989″ – am jeweils nächsten Sonntag nach dem 9. Oktober – in dem Symbol der Friedlichen Revolution und in Weiterentwicklung der “Rede zur Demokratie” jedes Jahr einen mit 100.000 Euro dotierten “Europäischen Demokratiepreis” verleihen, vergeben von einer internationalen, europäischen Jury. Das würde diese bisher nur sehr begrenzt wahrgenommene Rede wesentlich aufwerten. Und Leipzig dauerhaft im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik Deutschland als die “Stadt der Friedlichen Revolution” verankern. Im übrigen beweisen der Karlspreis in Aachen (jährlich vergeben im Aachener Dom) und der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (jährlich vergeben in der Frankfurter Paulskirche – live übertragen in der ARD) auch im 64. Jahr ihrer Vergabe, dass solche Formen der Erinnerung eine sehr hohe Haltbarkeitsdauer aufweisen. Beide werden im übrigen auch in einer Kirche vergeben. In 40 Jahren wird es in Leipzig garantiert auch kein Lichtfest mehr geben. Schon eher ein Freiheitsfest – dann vielleicht sogar mit gesamteuropäischem Bezug.
www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/445651/
Beste Werbung für die geplante Leipziger Kulturhauptstadtbewerbung
Das war’s jetzt erst einmal mit dem Eiertanz …
Freiheits- und Einheitsdenkmal: Zwei Verwaltungsstandpunkte als neue Ausweichmanöver
Am Freitag, 4. Juli, tagte auch der Fachausschuss Kultur zum Thema Wettbewerb …
Der WVL-Stadtrat Bert Sander ist zwar vorgeprescht, “Aber letztlich ist es ein Antrag unserer gesamten Fraktion” …
Im Jahr 2011 hat der Leipziger Stadtrat mit großer Mehrheit eine Bewerbung Leipzigs als Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2020 beschlossen. Da die EU-Kommission die nächste deutsche Kulturhauptstadt Europas aber erst für das Jahr 2025 vorgesehen hat, könnte die Stadt Leipzig bis zum Jahr 2020 im Rahmen des geplanten Bewerbungsverfahrens mit einer jährlich in der ARD live übertragenen Verleihung eines von ihr neu gestifteten Europäischen Demokratiepreises ihr Bewerberprofil als “Hauptstadt der Friedlichen Revolution von 1989” nachhaltig schärfen und damit auch überzeugend öffentlich in Deutschland und Europa für sich werben. Vor wenigen Tagen haben allerdings auch die Stadtratsfraktionen von FDP und SPD in Dresden beschlossen, dass die Stadt sich für das Jahr 2025 ebenfalls als Europäische Kulturhauptstadt bewerben soll.
www.spd-fraktion-dresden.de/index.php?entry_id=5&news_id=3657
www.fdp-fraktion-dresden.de/aktuelles-1358.html
Will Leipzig allein schon gegen Dresden im deutschen Auswahlverfahren bestehen, muss es nicht nur ein exzellentes Kulturprogramm für 2025 auf die Beine stellen, sondern auch seine politische und kulturelle Historie wesentlich besser als bisher vermarkten. Ein Lichtfest mit nur regionaler Bedeutung als Erinnerung an die Friedliche Revolution dürfte dafür definitiv nicht ausreichend sein. Mit der Verleihung eines hochkarätigen Europäischen Demokratiepreises könnte Leipzig in der Öffentlichkeit aber nachhaltig auf sich aufmerksam machen, zumal dann jedes Jahr viele der Politiker, die in Berlin und Brüssel über die spätere Kulturhauptstadtbewerbung mit entscheiden werden, hier in Leipzig zu Gast wären. Ein solcher, von einer europäischen Jury vergebener Preis existiert in Deutschland bisher noch nicht. Zeit für den Leipziger Stadtrat, darüber einmal sehr ernsthaft nachzudenken! Insbesondere im Hinblick auf die geplante Kulturhauptstadtbewerbung Leipzigs für das Jahr 2025.
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