Stört es eigentlich wirklich irgendjemanden, was da so heraus kam und kommt rings um NSA, BND, Polizeikameras und andere datenhungrige Institutionen? Haben die täglich neuen Erkenntnisse über die vielen Spielarten des Datenscreenings bei Facebook, Google und längst auch allen verfügbaren Endgeräten wie Smartphones und Rechnern zu irgendetwas mehr geführt als ein lauter werdendes Gähnen? "Wer anständig ist, hat ja nichts zu verbergen" - der Ruf aller, die es wissen, aber wenig an ihrem Verhalten änderten.
Dem “Bündnis Privatsphäre Leipzig” (BPL) geht es da etwas anders, die Mitglieder haben genug von all der Überwachung. Und rufen am 21. Juni zur Demo. Zeit für ein Interview, in welchem Michael Freitag mal die schöne neue Welt versuchte zu lobpreisen. Es antworteten Xan Ching Hong, Jürgen Kasek und Maria Arkadieff für das BPL.
Mal gleich zum Einstieg, Überwachung stört mich nicht, ich bin anständig.
Xan: Das soll sicher eine Anspielung auf die allseits bekannte Argumentation “Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten” sein. Ist das so? Hat nicht jeder von uns etwas zu verbergen? Etwas zu verbergen zu haben, bedeutet nicht, dass es etwas Verbotenes ist. Es ist auch schon etwas Privates, was man nicht gerne mit der ganzen Welt teilt. Warum schützen Sie Ihre Mails mit einem Passwort? Warum haben Sie Ihr Smartphone mit einem Muster oder Code gesichert? Warum wollen Sie sich nicht beim Surfen über die Schulter schauen lassen?
Jürgen: Die Überwachung findet heutzutage anlasslos, also ohne direkten Anlass, statt. Das bedeutet: jeder gilt als potentiell verdächtig. In Deutschland gilt die Unschuldsvermutung. Dass bedeutet, jeder ist bis zum Nachweis des Gegenteils als unschuldig zu behandeln. Rechtlich gesehen bräuchte es daher einen Anlass für Überwachungsmaßnahmen.
Auf der anderen Seite werden hier massenhaft Informationen gesammelt, über die der jeweilige Bürger überhaupt keine Kontrolle mehr hat. Was, wenn es in falsche Hände gerät? Was, wenn es missbraucht wird? Was, wenn sich unser politisches System ändert, und all diese Informationen plötzlich gegen politische Gegner verwendet werden?
Die Befürchtung ist, dass durch Überwachung einseitige Wissensmonopole entstehen, die aber nicht transparent gemacht werden und sich den Mechanismen politischer Kontrolle weitgehend entziehen.
Aber man fängt schließlich mit den Überwachungsmaßnahmen auch Verbrecher. Warum also nicht?
Jürgen: Es gibt einen Unterschied zwischen Maßnahmen der technischen Kriminalprävention und Maßnahmen der Strafverfolgung. Ob mit Bildern von Überwachungskameras (techn. Kriminalprävention) tatsächlich die Aufklärungsrate gesteigert werden kann oder konnte, ist nur eine Behauptung, die von den Kriminalstatistiken nicht belegt wird. Dass es aber im Bereich der Strafverfolgung eine Reihe von zulässigen Maßnahmen gibt, ist gar nicht unser Punkt. Uns geht es um die anlasslose Überwachung, bei der Verbrecher höchstens Zufallstreffer sind, dafür aber alle Menschen als potentielle Verbrecher gelten.
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Xan: Ob das so einfach ist… Jeder, der einen Verbrechen plant und etwas Gehirn besitzt, weiß, dass es Überwachung gibt. Er nutzt verschlüsselte Kommunikation, die nicht abgehört werden kann. Oder er trifft sich persönlich etc. Fakt ist: Er weiß sich zu schützen.
Jürgen: Die Überwachungsmaschinerie versucht natürlich, dem entgegenzuwirken. Aber im Ergebnis ist festzustellen: Täter lassen sich von Überwachung nicht abschrecken. Zufallstäter nicht, da sie sich mit der Überwachung nicht auseinandersetzen und es ihnen in dem Moment egal ist (Bspl. Straßenbahn/ U-Bahn Schläger), planvoll handelnde Täter nicht, da sie das Problem kennen und umgehen.
Auch in den sozialen Netzwerken und im Internet finden jeden Tag Straftaten, wie Kreditkartenbetrug, Verführung Minderjähriger und Terrorvorbereitungen statt. Da bin ich doch nur froh, wenn nun auch die sächsische Polizei mitlauscht.
Xan: Um solche Verbrechen zu verhindern, sollte es andere Mechanismen geben, also Mechanismen, die das Grundrecht nicht in Frage stellen und effektiv sind. Zum Beispiel bei den Gefahren, denen Kinder in sozialen Netzwerken ausgesetzt sind, wäre Aufklärung sicherlich der bessere Weg. Was den Terrorismus angeht: hier kann man und sollte man nur auf Verdacht ermitteln.
Maria: Man muss zwischen der Polizei und den Geheimdiensten unterscheiden. Solche Gefahren, wie die der Terroranschläge, werden in der Regel nicht erkannt, weil irgendwo in einer Email irgendwo ein verdächtiges Wort gefallen ist, sondern, weil man über Kenntnisse in Netzwerken verfügt – das bestätigte übrigens auch die Sprecherin des BND bei einer Veranstaltung an der Universität Leipzig. Womit wir wieder an dem Punkt wären: Beobachtung ist nicht in jedem Fall menschenrechtswidrig und eine Gefahr für die Demokratie – sondern erst, wenn sie ohne Anlass, und ohne konkrete Verantwortlichkeit von Amtsträgern oder Gerichten stattfindet.
Edward Snowden hat doch letztlich nur sein Land verraten und uns erzählt, was wir eh wussten: Spione spionieren und Geheimdienste arbeiten geheim. Warum so eine Aufregung (bei wenigen, denn kaum jemand hat laut Umfragen sein Netzverhalten gravierend geändert).
Maria: Es gibt nun erstmals klare Beweise für massenhafte Überwachung. Niemand zweifelt mehr daran, dass alles, also wirklich alles, überwacht wird.
Xan: Viele von uns galten vorher als Spinner, weil sie so etwas behauptet haben. Nun weiß jeder: das stimmt. Wir hoffen ja, dass das eine Diskussion über die Aufgaben und die Kontrolle der Geheimdienste auslöst und am besten auch eine Diskussion darüber, wie sehr unser demokratisches Bewusstsein nachgelassen hat.
Es ist davon auszugehen, dass so ein Bewusstseinswandel nicht von heute auf morgen geschieht. Jedoch fangen die Leute langsam an zu überlegen, welchen Diensten man welche Informationen anvertraut. Es ist wichtig, den Leuten zu sagen: “Hier, wir zeigen euch, wie ihr euch schützen könnt.” Wir können etwas anregen, aber es braucht Zeit und die Entscheidung jedes Einzelnen, damit sich etwas bewegt.
Jürgen: Interessant ist ja auch folgende Frage: Wir wissen, dass sich Menschen anders verhalten, wenn sie überwacht werden. Was also passiert mit uns, wenn es eine Privatsphäre in diesem Sinne nicht mehr gibt, wenn es kein Gespräch, keinen Ort mehr gibt, an dem wir nicht überwacht werden? Was dann und was bedeutet das für eine Gesellschaft?
Teil 2 am 20. Juni 17:30 Uhr auf L-IZ.de. Dann geht es unter anderem um die Rolle Edward Snowdens, die Frage nach den Strafverfolgungsbehörden im Netz, Fingerabdrücke im Ausweis, auch was mit Bildern der Kameraüberwachung im öffentlichen Raum so alles geht und was nicht und ein bisschen Netzshopping und die Werbewirtschaft.
Informationen zur Demo am 21.06.2014 “Überwachung stoppen – Grundrechte stärken” Freiheit stirbt mit Sicherheit, 14 Uhr auf dem Augustusplatz.
www.privatsphaere-leipzig.org/aufruf-zur-demonstration-am-21-06-2014/
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