Im ersten Teil versuchten Jürgen, Xan und Maria, Michael Freitag davon zu überzeugen, warum es wichtig sei, was Edward Snowden der Welt mitzuteilen hat und wo sie die Unterschiede zwischen der Strafverfolgung im Netz und flächendeckendem Datenscreening sehen. Was mit Bildern der Kameraüberwachung im öffentlichen Raum so alles geht und was nicht, warum sie das mit dem Netzshopping nicht ganz so fröhlich wie unser Redakteur sehen und wo man sich den Fingerabdruck im Ausweis hintun kann, darum geht es im Teil 2 des langen L-IZ-Interviews.
Ich finde Kameras im öffentlichen Raum sehr beruhigend. Falls mir mal was passiert, kommt dann wenigstens sofort die Polizei.
Jürgen: Die meisten Kamerabilder werden nicht live ausgewertet, was auch bedeutet, dass keine Polizei kommen wird. Siehe auch die Aussagen von Scotland Yard zum CCTV in Großbritannien und zur Nutzlosigkeit der Überwachung für Verbrechensbekämpfung.
Xan: Die Masse an Daten muss erst ausgewertet werden. Das geht nur per Hand. Computerprogramme, die menschliches Verhalten analysieren, sind (noch) nicht serien- und massentauglich.
Jürgen: Es ist aber davon auszugehen, dass das in absehbarer Zeit möglich sein wird. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass jemals alle Werte und Normen, die Menschen lieb und teuer sind, in Computersystemen abbildbar wären. Die geplanten Verbrechen werden auf diese Weise letzlich nicht verhindert, weil sich die organisierte Kriminalität anpassen wird. Auch Verbrechen, die aus Affekt geschehen, werden trotzdem geschehen.
An den Orten, die als besonders gefährlich empfunden werden – wie die U-Bahnen zum Beispiel – oder tatsächlich gefährlich sind, bräuchte es eher wirksamen “Offline-Schutz”. Wie Du es ja auch sagst: auch hier ist die Polizei gefragt, die einschreiten kann – keine Kamera, die das Verbrechen nur aufzeichnet. Und generell gilt: wenn es darum geht, Verbrechen zu verhindern, sind die Ursachen des Verbrechens zu bekämpfen und nicht die Symptome.
Die Daten, die private Firmen und der Staat von mir haben, werden doch letztlich dazu genutzt, um zum Beispiel die Arbeit der Krankenkassen zu verbessern, mir das Shoppen im Netz zu erleichtern. Und ich bekomme auch wirklich nur noch Werbung angezeigt, die zu mir passt. Also was solls?
Maria: Die Wirtschaft ist darum bemüht, den Markt und den Konsumenten so gut zu kennen, wie möglich. Und sie werden immer besser darin, gesellschaftliche Gruppen und Tendenzen zu analysieren. Die “Marketing-Abteilung wants You”. Das ist ja erstmal kein Problem. Aber es ist gefährlich, wenn wir in einer Welt leben, in der alles, was wir tun, schon im Voraus erfasst ist.
Jürgen: Wissen wir heute schon, was Morgen zu uns passt? Nein. Auch wenn es im ersten Moment reizvoll klingt, dass man individuelle Angebote bekommt, wird unser Horizont eingeschränkt. Auf der anderen Seite befürchten wir, dass all diese Daten zu Bewegungsprofilen zusammengefasst werden, die uns zu reinen Konsumenten (homo oeconomicus) degradieren. In letzter Konsequenz müsste jeder kulturellen Entwicklung ein Impuls aus der Wirtschaft vorangehen. Das ist natürlich ein dystopisches Szenario.
Aber heute schon kann man sagen: eine auf eine Person zugeschnittene Welt ist keine Erleichterung, sondern eine Einschränkung, der Verlust der Freiheit. Die Technik dient nicht uns, wir dienen der Technik. Wir konsumieren nicht – wir werden konsumiert. Das Versprechen der Effizienzsteigerung, was letztlich uns nicht freier oder glücklicher macht, sondern uns in eine neue Abhängigkeit führt.
Das Schlimmste ist, dass sich dieses Prinzip auf die Politik übertragen lässt. Heute wird der Verlust der Grundrechte zugunsten “effizienter”, oder nur scheinbar effizienter Abläufe der automatisierten Sicherheitspolitik in Kauf genommen. Aber auf die Spitze getrieben kann das die Zementierung der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse bedeuten. Das Ideal einer Gesellschaft, das frei von jedem Risiko ist, bedeutet auch Stagnation.
Was kratzt mich Überwachung: Das Bündnis Privatsphäre Leipzig im langen L-IZ-Interview (1)
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Ich finde den neuen Ausweis mit dem Fingerabdruck klasse. Wenn ich den mal verliere, kann ihn kein anderer benutzen und ich bekomme ihn sicher zurück.
Xan: Es gibt aber ein Sicherheitsproblem. Das System ist nicht fälschungssicher. Deshalb wird dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet, zumal die Gefahr besteht, dass sich umfängliche Bewegungsprofile aller Menschen erstellen lassen. Sicherheitsexperten warnen davor, für die Identifizierung ausgerechnet das zu verwenden, was wir permanent verbreiten. Fingerabdrücke sind sehr einfach zu beschaffen, sie müssen nicht einmal gefälscht werden.
Bei der menschlichen Iris oder DNS ist es anders. Vielleicht gibt es ja in den Smartphones heute deswegen so oft die Authentifizierung mit dem Fingerabdruck. Der Einbau ist auch für diese Hersteller mit dem geringsten Aufwand in der Umsetzung verbunden. Aber das darf bei Fragen der technischen Sicherheit kein Kriterium sein.
Offenbar sind wir nicht ganz einer Meinung, ich bin zufrieden, Ihr nicht. Was wollt Ihr also, wenn Ihr am 21. Juni demonstriert?
Maria: Wir wollen den Diskurs und die Auseinandersetzung fördern, durch Diskussionsveranstaltungen, Flyer, Streitgespräche und Demonstrationen. Aber wir halten es für absolut notwendig, die Menschen darauf hinzuweisen, dass ihre Freiheit bedroht ist. Wir brauchen dieses Bewusstsein in der Öffentlichkeit, das Bewusstsein der Überwachung, Privatsphäre, der Datensicherheit und des Datenschutzes.
Um einen Bewussteinswandel anzuregen, ist erst einmal ein größerer Diskurs erforderlich. Keine Frage. Dann kann jeder einzelne auch entscheiden, wie er damit umgeht, wo er Kameras möchte und wo nicht, wie viel Polizei es in seiner Stadt geben soll, was die Geheimdienste dürfen, wer sie kontrolliert.
Jürgen: Freiheit ist nicht selbstverständlich, wir müssen darauf achten, dass sie uns nicht unter die Räder kommt.
Informationen zur Demo am 21.06.2014 “Überwachung stoppen – Grundrechte stärken” Freiheit stirbt mit Sicherheit, 14 Uhr auf dem Augustusplatz.
www.privatsphaere-leipzig.org/aufruf-zur-demonstration-am-21-06-2014/
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