Seit spätestens Dezember 2013 ist der alte Industriebau in der Holbeinstraße 28a im Fokus der Öffentlichkeit. Im Januar folgte der erste Bericht des Leipziger Monatsmagazins "3Viertel" rings um die "Entmietung 2.0", welche vor Ort stattfinden würde. Die Lage hat sich in den vergangenen Wochen weiter zugespitzt, derzeit scheint eine Einigung zwischen den immer noch im Objekt wohnenden Mietern und der Immobilienfirma KSW GmbH schwer möglich. Die Schleußiger Mieter berichten von Zorn und Vertreibung, im Netz kocht die Wut. Und die Immobilienentwickler reagieren derzeit extrem rasch auf Presseanfragen.

Im alten, nach wie vor bewohnten Industriebau liegt längst alles durcheinander. Zerbrochene Bretter, Staub, halb eingerissene Mauern – seit einigen Tagen erscheinen Bauarbeiter im nach wie vor bewohnten Haus. Und manche gingen wieder, da sie laut einer Nachfrage der Mieter nicht nachweisen konnten in wessen Auftrag sie vor Ort waren. Eine kuriose Situation, welche sich da seit den Rückbaumaßnahmen im September und den Kündigungen im Dezember aufgeschaukelt hat. Einige sind bereits ausgezogen, die verbliebenen Mieter wehren sich bis heute erbittert.

In seiner aktuellen Ausgabe berichtet das Monatsmagazin “3Viertel” über sie. Philipp (vollst. Name bekannt), einer von ihnen, schildert im Aprilheft seine Sicht auf das Verhalten des seit 2013 neuen Eigentümers KSW GmbH: “Es ist nie schön, unerwünscht zu sein. Vor allem dann nicht, wenn das Gefühl so tief in die Privatsphäre eindringt und den eigenen Lebensraum betrifft. Wenn plötzlich jemand vor deiner Tür steht und dich in der Überheblichkeit des scheinbar Mächtigeren auffordert jetzt das Feld zu räumen, damit hier eine Luxussanierung hin zum Renditeobjekt erfolgen kann, dann erzeugt das Unmut.”

Preise von 10 Euro Kaltmiete, großräumigen Lofts und eben jenes Wort “Vertreibung” macht im Haus schon länger die Runde. Die KSW GmbH (vollständiges Interview am Schluss), welche unter anderem auch die “Alte Hauptpost” am Augustusplatz saniert, sieht sich in ihrem Vorgehen im Recht. Man habe immerhin Entschädigungen zwischen 5.000 und 9.000 Euro angeboten und aufgrund des Hauszustandes mit Bleirohren und grundlegenden Problemen sei nur eine Kernsanierung möglich. Und diese ginge nicht im bewohnten Zustand, so Jörg Zochert von der KSW GmbH.

Irgendetwas scheint jedoch in der bisherigen Kommunikation zwischen neuem Besitzer und Altmietern gründlich schief gelaufen zu sein. Philipp hat den Umgang laut “3Viertel” jedenfalls von Beginn anders und auf Konfrontationskurs erlebt: “Es gab nie eine Verhandlung auf Augenhöhe, die Briefe, die wir vom neuen Eigentümer erhielten, verhöhnten letztlich unsere Bedürfnisse, zum Teil auch den Verstand. Und obwohl wir glücklicherweise rechtsstaatlich gesicherte Mieterrechte haben und uns durch Anwälte vertreten lassen können, bleibt das Gefühl, die Arena als David zu betreten. Die Unterstellung nur auf hohe Abfindungen zu spekulieren macht deutlich, dass seitens der neuen Hauseigentümer kein Verständnis für unser Anliegen existiert: Wir wollen hier leben.”

Und da lugt der Hase aus dem Pfeffer hervor. Auf der einen Seite ein Investor, welcher zwar den Bewohnern nach eigener Auskunft die weitere, natürlich dann weitaus teurere Anmietung angeboten hat und auf der anderen Seite Mieter, welche teils seit 15 Jahren in einer selbst restaurierten und hergerichteten Umgebung leben und an diesem Zustand nichts ändern wollten. Ihren wilden Wein, welcher einst die Fassade umrankte, haben sie bereits verloren, die Idylle ihres bisherigen Zusammenlebens ebenso.

Jörg Zochert von der KSW sieht die Situation nüchtern. “Wenn keine Einigungsbereitschaft der Mieter zum Abschluss von Mietaufhebungsverträgen besteht oder die finanziellen Forderungen der Mieter unrealistisch sind, gibt es die Möglichkeit sogenannte Sanierungskündigungen auszusprechen. Bei Weigerung der Mieter muss ein Gericht die Interessen der Mieter gegen die Eigentümerinteressen abwägen und ein Urteil zum Fortbestand der Wohnungsmietverträge fällen.” Auf die teils fristlosen Kündigungen vor Weihnachten 2013 angesprochen, führt er aus: “Wir haben zur Wahrung der Eigentümerinteressen deshalb im Dezember Kündigungen in den gesetzlich vorgeschriebenen Fristen (je nach bisheriger Mietdauer zwischen 3 – 6 Monaten) ausgesprochen – eine fristlose Kündigung wurden lediglich gegen einen Mietschuldner ausgesprochen.”

Nicht nur für Thilo, einem weiteren Bewohner der Holbeinstraße 28a hat der Streit längst eine gänzlich andere Dimension gewonnen. Er sagt gegenüber “3Viertel”: “Die Einsicht in die Sanierungsbedürftigkeit des Hauses besteht, nicht aber in ein Sanierungskonzept, bei dem Grundrisse eines denkmalgeschützten Hauses zu Gunsten von Flächengewinnung und somit hoher Verkaufssummen verändert werden und man ganz gezielt für entsprechende Einkommensklassen hochwertig modernisieren will. Der Altmieter wird “entsorgt” mit dubiosen Methoden, teilweise an der Grenze zum Lächerlichen. Es macht mich wütend und traurig mit anzusehen, wie sich unser Stadtteil verändert und man mit seinen ursprünglichen Ambitionen, in diesem Viertel wohnen zu wollen eher zum Außenseiter wird.”

Der Fahrplan des neuen Eigentümers steht also. Die Mieter lassen sich längst anwaltlich vertreten. Währenddessen werden weiter Fakten seitens der KSW geschaffen, obwohl nach wie vor Menschen da leben, wo seit Neuestem die ersten Handwerker auftauchen und versuchen teils noch vor Erreichen der Kündigungsfristen der Mieter zur Tat zu schreiten. Wände werden eingerissen, laut der Mieter sind nun auch die Duschen kalt, da eine Heizöllieferung offenbar nicht mehr erfolgt sei. Zukünftige Wohnungsbesitzer sollen auch schon dagewesen sein, erste Besichtigungen von bereits leeren Wohnräumen waren offenbar begehrt und der neue Eigentümer scheint wenig Geduld mit den verbliebenen Mietern zu haben.

Das Wort Vertreibung geistert längst auch durch die sozialen Netzwerke, in der Holbeinstraße stehen sich ganz offensichtlich Heimatgefühl und Geld diametral gegenüber.

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Denn für Ariane, eine weitere Bewohnerin mit Familie, ist das Haus immer schon mehr gewesen, als nur ein Dach über dem Kopf: “Ich schwanke zwischen Traurigkeit und Wut über die Ungerechtigkeiten und die Borniertheit der neuen Eigentümergesellschaft. Es wäre alles nicht so persönlich, wenn wir nicht vorher alles selbst aufgebaut hätten. Erst durch die Freiheit, die wir hatten, sind wir jetzt in der glücklichen Position etwas verteidigen zu können. Und das beziehe ich nicht nur auf das Haus, in welchem ich mit meinem Mann und meinen Kindern seit über 12 Jahren lebe, sondern auch auf den ganzen Stadtteil und die Stadt Leipzig, die wir mit unserem Tun mitgestalten konnten und zwar nicht nur, um den eigenen finanziellen Vorteil zu vergrößern. Das macht mich stolz und kämpferisch zugleich.”

Für die KSW könnte das bisherige Vorgehen hingegen zum Imageproblem werden. Im Umfeld der längst begonnenen Debatte um bezahlbaren Wohnraum in Leipzig könnte sich die Art und Weise des Vorgehens gegen die Sanierer richten. Das Wort “Miethai” ist dabei seitens der wachsenden Unterstützercommunity rings um die Bewohner der Holbein 28a längst ausgesprochen. Beobachter empfinden die Maßnahmen seitens der KSW schon längst als reine Schikane gegenüber Menschen, welche einst das verlassene Gebäude wieder bewohnbar machten.

Der Blog der Hausgemeinschaft Elsterwerk in der Holbeinstraße

www.holbeinstrasse28a.de

Zum Eigentümer KSW GmbH im Netz

www.ksw-leipzig.de

Zum Monatsmagazin “3Viertel” im Netz

www.3Viertel.info

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