Dafür, dass er seine vierzehn Axiome nicht äußern darf, tut Thilo Sarrazin genau dieses ziemlich exzessiv. Im Grunde widerlegt er seinen Vorwurf des "Tugendterror" damit sehr wirkungsvoll selbst, schafft also ein Paradoxon. Denn allein am Freitag gab es auf dem Messegelände zwei Termine mit dem Mann, der Polarisierung zum Geschäftsmodell erhoben hat. Axel Bulthaupt als Moderator im ARD-Forum hielt angenehm sachlich-kritisch dagegen.
Wie gut es funktioniert, zu polarisieren und damit ein großes Publikum anzuziehen, zeigte schon der Publikumszuspruch. Die Fläche des großen Standes in der Halle 3 war rammelvoll, dicht an dicht drängten sich die Zuhörer des Gesprächs. Auch sie widerlegten im Grunde Sarrazin, indem sie auch bei kruden Formulierungen eben zuhörten, statt mit Zwischenrufen ins Wort zu fallen.
Einen erbosten Zwischenruf allerdings gab es. Zwar räumte Sarrazin ein, dass wohl ein Großteil der 1,6 Milliarden Muslime friedlich ist, versuchte aber zu begründen, dass der Islam ein Hinderungsgrund beim Bildungserwerb sei. Selbst wenn die von ihm zitierten Statistiken stimmen sollten, die Schlussfolgerung der jungen Zuschauerin klang so logisch, dass Bulthaupt sie übernahm. “Das ist doch keine religiöse, sondern eine Klassenfrage.” Die junge Frau verließ die Veranstaltung erbost. Somit erlebte sie nicht wie Thilo Sarrazin relativ unbeeindruckt argumentierte, dass nur 2 % der Schüler in der Türkei bei der PISA-Studie im Spitzenbereich landeten. Einen Gedanken an die unterschiedlichen Schulsysteme äußerte er dabei nicht. Logikfehler nennt man so etwas landläufig. Axel Bulthaupts Einwurf, so werte man doch recht pauschal Menschen ab, erntete Applaus.
Etwas extravagant auch das elfte Axiom, in dem es um familiäre Strukturen geht. Wie auch sonst fühlt Sarrazin ein gesellschaftliches Verbot, sagen zu dürfen, dass Kinder in Familien mit Mutter und Vater am glücklichsten aufwachsen. “Es gibt aber zum Beispiel keinen Beleg, dass Kinder gleichgeschlechtlicher Paare irgendwelche Defizite hätten”, entgegnet Bulthaupt. Auch hier folgt eine kurze Debatte, deren Schlussfolgerung lauten könnte: Jegliche Form der Verallgemeinerung ist falsch.
Von diesen scheint Sarrazins Buch genügend zu enthalten. Beim Thema Familie gelingt ihm allerdings, was die Verkaufszahlen schon der letzten Veröffentlichung in die Höhe trieb. Punktuell beklatschen nun vor allem ältere Menschen das eher konservative Familienbild, während die jüngeren sich für Bulthaupts Antithesen erwärmen. Immerhin so etwas wie ein Eingeständnis: “Natürlich müssen wir auf die Veränderungen in der Gesellschaft reagieren und wenn eine Ehe scheitert, nützt es sicher nicht zwei Menschen zusammen zwingen zu wollen.”
Ob es dieses Buch wirklich braucht, muss letztendlich jeder für sich entscheiden. Während der wirklich gut moderierten halben Stunde wurde jedenfalls nicht deutlich, wie es einen Diskurs über das zukünftige Leben in unserem Land sinnvoll befruchten könnte.
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