22 Jahre gehörte Thomaspfarrer Christian Wolff zu jenen in Leipzig, die auch mal wider den Stachel löcken, unbequeme Dinge sagen oder einfach mal eine Debatte anfangen, wo Debatte bislang fehlte. Am Montag, 6. Januar, dem Epiphaniastag, wird Pfarrer Christian Wolff aus seinem 22-jährigen Dienst als Pfarrer an der Thomaskirche in den Ruhestand verabschiedet.

Dies wird in einem festlichen Gottesdienst erfolgen, der um 9:30 Uhr beginnt und in dem Pfarrer Wolff seine – vorerst – letzte Predigt in der Thomaskirche halten wird. In dem Gottesdienst wird die 6. Kantate des Weihnachtsoratoriums durch den Thomanerchor und das Gewandhausorchester zur Aufführung kommen. Im Anschluss an den Gottesdienst wird es noch ein Programm zur Verabschiedung von Pfarrer Christian Wolff in der Thomaskirche geben.

Und dann? – Die Pfarrstelle ist ausgeschrieben. Im neuen Jahr wird die Thomasgemeinde ihren neuen Pfarrer vorstellen. In die 1. Pfarrstelle, die bislang Wolff bekleidete, rückt Pfarrerin Britta Taddiken auf.

Und dann? – Es waren eher keine Kirchendebatten, die Christian Wolff in seinen 22 Leipziger Jahren anschob, sondern gesellschaftliche. Auch solche, die die Stadtgesellschaft zum Nachdenken bringen sollten an Punkten, in denen altes Denken verhärtet schien – nicht nur beim Umgang mit den Gebetshäusern andersgläubiger Menschen oder im Umgang mit Asylsuchenden.

Wie kaum ein Anderer kann Christian Wolff am 6. Januar sagen: Wir haben was bewegt. Die große Aktion zur Renovierung der Thomaskirche – Motto “Thomaskirche Bach 2000” – geschah genauso in seiner Amtszeit wie die Ideenentwicklung des “forum thomanum”, das an der Sebastian-Bach-Straße Stück für Stück Gestalt annimmt. Aber auch Ängste auslöst – bis in den Stadtrat hinein. Was wird aus dem städtischen Knabenchor der Thomaner eigentlich, wenn die jungen Sänger künftig in einer privaten Grundschule ausgebildet und rekrutiert werden? Verliert dann die Stadt nicht ein wichtige Steuerinstrument?

Die Kämpfe um die Thomanergrundschule haben das Jahr 2013 geprägt. Die Edouard-Manet-Schule wechselt ihren Namen und wird zur Anna-Magdalena-Bach-Schule und hat mit der Profilierung einer Thomaner-Ausbildung begonnen. Die nun parallel stattfinden wird zur Ausbildung in der Grundschule “forum thomanum”, die noch in Gohlis-Nord heimisch ist. Aber im Herbst 2013 gab es endlich grünes Licht für den Erbbaupachtvertrag an der Schreberstraße – die Grundschule im “forum thomanum” kann gebaut werden. Die Freude bei Christian Wolff war entsprechend groß.

Denn dass Dinge nicht vorankommen, weil Ämter oder politische Gremien zögern, das regt ihn immer noch auf. Ein weiser, zur Einkehr besonnener Pfarrer ist der 64-Jährige nicht geworden. Eher einer, der gerade das Streitlustige an Luther liebt. Das bereitet Unbehagen. Bequem war dieser Thomaspfarrer nicht.

Und so kann man eigentlich wünschen, dass er es auch bleibt. Gerade weil Leipzigs Stadtgesellschaft so gern zur Selbstzufriedenheit neigt. Wofür es keinen Grund gibt. Auch nicht im Streit um die Nutzung der neuen Universitätskirche im Paulinum. Sind es nur unwesentliche Fragen, wenn um eine Glaswand vor dem Alter oder um die (Nicht-)Anbringung der Kanzel im neu gestalteten Kirchen-/Aula-Raum gestritten wird? Geht es nur um Glauben und Atheismus oder auch um ein Wissen um die eigene Geschichte? – Nur zur Erinnerung: Es war die Leipziger Stadtgesellschaft, die im Mai 1968 entsetzt der Kirchensprengung zusah – nicht nur die theologische Fakultät.

Reicht es da, wenn die Universität sich da hinter ihre eigene Entscheidungs-Hoheit zurückzieht? In seinem 2012 in der Evangelischen Verlagsanstalt erschienenen Buch “Osterweiterung. Leben im neuen Deutschland” hat Wolff seine Lieblings-Kampffelder alle noch einmal beschrieben – ergänzt um einige Predigten, in denen er genauso kampflustig zu Werke geht. So predigte er dem Rackwitzer Aluminiumwerkern 1995 über den “Investor Gott” und den Leipziger Konfirmanden 2002 “Vom Unnormalen des Glaubens”.

2012 war auch das Jahr eine kleinen Triumphes, denn mit “800 Jahre Thomana” hatte er den Leipzigern sein ganz spezielles Dreier-Jubiläum untergejubelt. Aber wer nur abwartet, bekommt natürlich keine Triumphe. Wer nicht über den Tag hinaus denkt und plant, erreicht nichts. Das könnte er so manchem Verantwortlichen in dieser Zeit ins Stammbuch schreiben. “Das Formulieren von Zielen ist wie ein Brückenbau zwischen Gegenwart und Zukunft, zwischen denen sonst ein tiefer Graben klafft, in dem vor allem Zuversicht verloren geht”, schreibt er in “Osterweiterung”. Das gilt für das “forum thomanum” wie für die ganze Gesellschaft.

Da kann man sich eigentlich nur wünschen, dass die Thomasgemeinde wieder einen ebenso streitbaren Nachfolger findet.

Festlicher Gottesdienst am Montag, 6. Januar, 9:30 Uhr in der Thomaskirche.

www.thomaskirche.org

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