So ganz stimmt es nicht überein: Ach, ich habe Philosophie | wie auch Jura, wie auch Medizin | und auch die unnötige Theologie | fleißig studiert und bis auf den Grund des | Grundes erforscht. | Und hier bin ich so. Bemitleidenswert und närrisch. | Dennoch als früher, da ich nichts getan habe | kein bisschen bedeutender.
Der vielzitierte Monolog Doktor Fausts ist inhaltlich unverändert, in den Feinheiten jedoch nicht derselbe. Er stammt nicht aus der Feder von Johann Wolfgang Goethe, sondern wahrscheinlich aus einem Pinsel. Dem Kalligraphie-Pinsel von Mori Ogai. Der japanische Schriftsteller, in seiner Heimat ähnlich berühmt wie bei uns Dichterfürst Goethe, verfasste die erste Übersetzung Fausts ins Japanische. Vor hundert Jahren erschien sie.
Zum Jahrestag lud Auerbachs Keller am Montag, 4. November, zu einer Feierstunde mit der Japanologin Nora Bartels ein. Bartels schreibt derzeit ihre Doktorarbeit an der Universität Heidelberg über die Bezüge der Literatur der japanischen Edo-Zeit zur modernen Literatur. Zuvor hat sie sich jedoch den Faust Übersetzungen gewidmet, zum einen der ins Chinesische, zum anderen der Ogai-Übersetzung ins Japanische. Zu Füßen des Wandgemäldes in Auerbachs Keller, welches Mori Ogai in der Schänke zeigt, die er 1885 besucht hat, sprach Bartels über die Einflüsse, welche Ogai in sein Werk einbrachte. “Er musste sowohl die sprachliche als auch die historische Distanz überwinden”, so Bartels.
Ende des 19. Jahrhunderts befand sich sein Heimatland im Umbruch – die mittelalterlichen Gesellschaftsstrukturen zerbarsten und die Oberschicht schickte ihre Jugend auf Bildungsreisen in den Westen. So auch Ogai. Der Spross einer Arztfamilie hatte zwar die entscheidende Medizinprüfung nicht bestanden, gelangte aber über das Militär nach Deutschland, wo er vier Jahre lang blieb und unter anderem Leipzig und Dresden besuchte. Ogai erlangte erste literarische Berühmtheit mit seinen Drei Deutschen Novellen. Im Jahr 1913 folgte die Faust-Übersetzung. In seinen Memoiren beschreibt er, wie ihm, in Auerbachs Keller sitzend, vorgeschlagen wurde, Faust in chinesische Verse zu übersetzen und er lachend eingewilligt habe.
“Dieses Lachen ist eine der wenigen persönlichen Wertungen in seinen Memoiren”, erklärt Nora Bartels. Und es ist vielschichtig, da Ogai schon damals ein Verfechter der japanischen Umgangssprache war. “Es war üblich, Texte in chinesischen Zeichen zu verfassen, ähnlich wie in Europa lange Zeit das Lateinische vorherrschte”, so Bartels. Doch Ogai schloss sich der Bewegung an, Texte in vulgärer Sprache zu schreiben. Und trat in Goethes Fußstapfen. “Denn auch die Faustfigur spricht einen klaren Umgangston”, findet Bartels. In der Übersetzung gibt es keine Reime und kein Versmaß, wie die deutsche Fassung sie kennt. “Im Japanischen ist es zu gut möglich zu reimen. Im normalen Sprechen reimt sich schon vieles, so dass japanische Leser dies kaum als Stilmittel wahrnehmen”, erklärt die Japanologin.
Ihr Forschungs-Schwerpunkt lag auf der Rückübersetzung von Ogais Text. “Es ging darum, zu erkennen, was Japaner verstehen, wenn sie den Faust lesen”, fasst die 30-Jährige zusammen. Über ihre Webseite wurde Bernd Weinkauf, Haushistoriker von Auerbachs Keller, auf sie aufmerksam : “Es geht um die Übertragung des Textes. Wird unter der Hand ein Fäustling daraus?”, fragt Weinkauf. Nein, der Inhalt ist gut übertragen worden. Ogai hat sich überlegt, wie Goethe sich ausdrücken würde, wenn er den gemeinten Sinn in japanische Worte fassen wollte. “Ogais Faust ist recht exotisch und anspruchsvoll. Er hat den Text nicht glatt gebügelt und zwingt den Leser zum Nachdenken. Damit hat er ein intellektuelles Publikum angesprochen”, sagt Nora Bartels.
Und Goethe hat er unter den Tisch fallen lassen. Das Deckblatt zu seiner Übersetzung titelt: Faust – Mori Rintaro (Ogais Geburtsname). Kein Verweis auf den deutschen Urheber. “Das ist keine Anmaßung”, erklärt die Japanologin. “Ogai sagte, wenn man Faust hört, denkt man automatisch an Goethe.” Die Autoren-Nennung überflüssig. Seine Leistung bestand darin, diese deutsche Literatur den Japanern zugänglich zu machen, ohne dass sie dafür ein Fachbuch aufschlagen mussten. Und er löste damit ein bis dato ungekanntes Interesse an Deutschland, Goethe und Faust in Japan aus.
Mittlerweile ist der japanische Meister selbst jedoch nicht mehr ohne Anmerkungen lesbar. “Das Japanische hat sich in den jüngsten hundert Jahren so stark verändert, dass Ogais Fassung ohne spezielle Vorbildung kaum zu lesen ist”, so Bartels. Das Goethe-Interesse wirkt aber bis heute nach. Faust ist immer noch Schulstoff. Es gibt ihn mittlerweile sogar als Comic. Und japanische Touristen besuchen Auerbachs Keller gern und ehrfürchtig. “So wie wir in einer Kirche uns andächtig verhalten”, erzählt Gastwirt Bernhard Rothenberger. Und sie besehen das Wandbild von Volker Pohlenz, das Ogai zeigt. Diesen hat die Beschäftigung mit Faust nie mehr losgelassen. “Für ihn hat Goethe immer eine Rolle gespielt”, sagt Nora Bartels. Ein Leben lang trug er eine Gesamtausgabe bei sich.
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