Anders als noch unter den Präsidenten Steffen Kubald und Michael Notzon sollen bei Lok die schönen Phrasen beim Thema Rechts im Stadion heute nicht mehr das Problem übertünchen. Lok möchte handeln. Das ist leichter gesagt als getan. In der Fanszene konnte sich seit der Vereinsgründung Ende 2003 nahezu ungehindert eine rechte Erlebniskultur etablieren. Viele Jugendliche kamen seitdem durch den Fußball mit rechtem Gedankengut in Berührung.

Eine Leistung Kubalds, der zwar stets sein entschlossenes Vorgehen gegen die Neonazis betonte, das braune Treiben auf den Rängen in der Praxis jedoch bestenfalls verwaltete. Zwar wurde der 50-Jährige auch offen von Neonazis angefeindet. Allerdings griff der frühere Hooligan nur dann zu Repressionen, wenn es die Lage nicht mehr anders zuließ. So erließ er 2008 ein bis heute wirksames Auftrittsverbot gegen die “Blue Caps Le”. Die Hooligans hatten zuvor zu einem Neonazi-Aufmarsch mobilisiert. 2009 rührten Blue-Caps-Mitglied Enrico B. und Alt-Hooligan Nils L. vor dem Stadion für die NPD die Wahlkampftrommel. Die beiden Fraktionsmitarbeiter erhielten Hausverbot.

Enrico B. verlor bald darauf seine Anstellung, weil er für den Geschmack der Parteispitze mit einem Journalisten zu ausgiebig über die Strategie plauderte, im Stadion-Milieu auf Stimmenfang zu gehen. Nils L. jobbt nach wie vor für die Partei. Vor dem Pokal-Derby am 12. Oktober 2013 gegen RB Leipzig versuchte Nils L. am Rande eines Fanmarsches laut Augenzeugenberichten, eigene Merchandise-Artikel unter’s Volk zu bringen. Im Stadion selbst ließ sich auch Enrico B. blicken. Trotz Verbot feuerte der Hooligan seinen Verein an. L-IZ.de liegt ein Foto vor, das den B. in der Fankurve zeigt. Der 1. FC Lok möchte ihn wegen Hausfriedensbruch anzeigen.

Die Zeiten, in denen die Rechtsextremisten vor Lok-Spielen Wahlkampfstände abhielten, sind vorbei. Die Partei hat die Lok-Fans trotzdem nicht aus den Augen verloren. “Fans haben uns berichtet, dass ein Fanclub während einer Auswärtsfahrt NPD-Flyer verteilt hat”, erzählt Spauke.

Die NPD und Lok. Nach dem Wunschdenken der sächsischen Parteispitze 2009 augenscheinlich eine Traumkombination. “Wir werben dafür, dass es in Sachsen auch künftig nicht nur durchkommerzialisierten Retorten-Fußball gibt, bei dem die Fans nur noch zu einer identitätslosen Masse von Konsumenten degradiert werden”, äußerte der damalige Landesvorsitzende und heutige NPD-Parteichef Holger Apfel. “Es darf kein ‘und’ geben”, fordert dagegen der Lok-Präsident.

Wie in allen rechten Gemeinschaften hat sich auch in der Lok-Kurve eine stramme Hierarchie herausgebildet. Ganz unten steht der nicht-organisierte Mitläufer. Ganz oben stand seit 2009 “Scenario Lok”. Die tonangebende Fangruppe organisierte nicht nur den Support, sondern etablierte nebenbei den rechten Lifestyle. Zwar gehen einzelne Scenario-Mitglieder laut Spauke inzwischen zu ihrer rechten Vergangenheit auf Distanz. Dennoch gilt NPD-Sympathie unter diesen “Lokisten” als schick, ebenso das Faible für Gewalt, Kampfsport und Outlaws.

Ihr Lokalheld heißt Benjamin B. Der 24-Jährige, der sich den aussagekräftigen Beinamen “The Hooligan” gegeben hat, träumt von einer Karriere in der UFC. Die “Ultimate Fighting Championship” ist das Zuhause der Könige der Mixed-Martial-Arts. In den USA lässt sich mit Freefight gutes Geld verdienen. In seinen Kämpfen geriert sich der Athlet als bodenständiger Außenseiter. Als der böse Junge, der den Weg in die gewaltaffine Lok-Szene gefunden hat, weil ihm der Pfadfinder-Club zu langweilig war.

Benjamin B. ist Liebling der Problemfans, weil er so ist wie sie: Rauhbeinig, gewaltbereit – und rechtsradikal? Über 2.700 User haben seine Fanseite bei Facebook geliked. Als die Kampfsport-Szene Anfang 2012 auf Verstrickungen in die rechte Szene aufmerksam wurde und ihm deshalb sogar ein attraktiver Titelkampf in Essen entging, ging der Lokalmatador erstmals in die Offensive. Er sei kein Nazi.

Also alles eine Schmutzkampagne, wie Benjamin B. behauptet? Warum betreibt er dann eine Firma, die sich unter anderem den Handel mit Merchandise in den Gesellschaftsvertrag geschrieben hat und auf demselben Grundstück beheimatet ist wie eine Textildruckerei und ein großes Rechtsrocklabel, das auch Szenebekleidung vertreibt?
Die Firma, die Benjamin B. gemeinsam mit Thomas P. leitet, heißt “A&B Service UG (haftungsbeschränkt)” und stand eine Weile im Impressum der Webpräsenz der “Aryan Brotherhood Germany”. Die Seite ist heute nicht mehr im Netz präsent. Nach Auskunft sächsischer Verfassungsschützer handelt es sich bei der Vereinigung um eine subkulturell geprägte Neonazi-Kameradschaft. Damit nicht genug: Sein umtriebiger Geschäftspartner begründete nicht nur “Front Records”. Ihm gehört auch das Grundstück in Falkenhain (Landkreis Leipzig), auf dem “A&B” und die Rechtsrockschmiede laut Handelsregister ansässig sind.

Während Teile der Kampfsport-Szene sich von Benjamin B. überzeugen lassen, reagierte Lok Leipzig im August 2013: Der Hooligan hat in Probstheida seither Hausverbot. Die UFC zog im September nach. Sein Profivertrag, der erst im August offiziell bestätigt worden war, wurde kurzerhand auf Eis gelegt.

Benjamin B. erklärte daraufhin, er sei ein unpolitischer Mensch und hätte nie etwas mit Neofaschismus am Hut gehabt. Das “nie” ist dabei wohl das größte Problem. Zu einem Länderkampf nach Rumänien begleiteten ihn Kameraden aus dem Lok-Milieu. Ein älteres Foto zeigt ihn als Teenager hinter einer Fahne: “Ultras Lok – Nationaler Widerstand”. Zeitweilig war er sogar in der Odermannstraße 8 gemeldet. Dort befindet sich seit November 2008 die Leipziger NPD-Zentrale.

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Der Kämpfer müsste wohl einen umfassenden Ausstiegsprozess vollziehen, seine Vergangenheit kritisch aufarbeiten und sich von seinem rechtslastigen Umfeld lösen, möchte er jemals in der amerikanischen Spitzenliga Geld verdienen. Allerdings würde dies auch ein Ende seiner geschäftlichen Beziehungen zu Thomas P. bedeuten, was auch eine finanzielle Frage sein dürfte.

Die Neonazis sind – so bitter dies klingt – für Lok Leipzig ein Wirtschaftsfaktor. Einerseits tragen die Kameraden alle zwei Wochen ihr Geld nach Probstheida. Andererseits kämpfen die Blau-Gelben seit Anfang des Jahres um die Existenz. Die Rechten verschrecken mit dem Image, das sie ihrem Club allein durch ihre Anwesendheit verleihen, potenzielle Sponsoren.

Ein Hauptsponsor ließ sich für die laufende Spielzeit nicht finden. Eine Tombola, bei der der Brustplatz auf dem Trikot verlost wurde, spielte 43.000 Euro ein. Die Vereinsführung hatte sich jedoch 70.000 Euro erhofft. Von der Lösung des Neonazi-Problems hängt die ein Teil der Zukunft des Clubs ab. “Wir haben den gesellschaftlichen Auftrag, unseren Verein so zu gestalten, dass sich jeder bei uns willkommen fühlt”, sagt Mieth. “Diesen möchten wir wahrnehmen.” Der Sicherheitschef weiß aber auch, dass Rechtsextremismus ein gesamtgesellschaftliches Problem darstellt, dass der Verein alleine nicht lösen kann. “Unserem Handeln sind Grenzen gesetzt.”

Wie immer man das Blatt auch dreht und wendet. Die Kameraden sind schlecht für’s Image. Weitergehende Schritte gegen den braunen Spuk sind wohl nur noch eine Frage der Zeit.

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