Die Motette in der Thomaskirche am Freitag, 18. Oktober, stand ganz im Zeichen der Völkerschlacht und der Erinnerung an dieses Gemetzel, das genau am 18. Oktober 1813 seinen Höhepunkt erreichte. Für Thomaspfarrer Christian Wolff war es der Anlass, über das bis heute herrschende Kriegspathos öffentlich nachzudenken - und über den möglichen neuen Standort des Leipziger Einheits- und Freiheitsdenkmals.

Aber schon seine Worte zu heutigen Kriegsdarstellungen waren deutlich: “Kriegskarneval. Ein folkloristisches Getöse in Sachen Völkerschlacht. Da scheint unterzugehen, was dieses Gemetzel vor 200 Jahren bedeutete: Angst, Schrecken, Mord, Tod – wie in allen Kriegen verkleistert mit nationalistischen Heldenpathos.”

Allein in der Thomaskirche waren am “22. September 1813 bis zu 1.500 schreiende, stöhnende, stinkende, sterbende, blutende, verstümmelte Soldaten aller Nationen abgelegt, gestapelt, um zu verrecken – eine unvorstellbares Leid.”

Und für ihn war das, was da 1813 bis 1815 passiert, kein Freiheitskrieg. Wie denn auch? Am Ende waren es die alten Fürsten, die ihre Untertanen in die Schlachten schickten, um hernach ihre Pfründen neu zu verteilen. Und statt dass diesem gewaltigen Gemetzel tatsächlich eine Ernüchterung folgte, dass solcherart Gewalt in einem zivilisierten Europa nichts zu suchen habe, passierte etwa anderes: Auf einmal waren Militärs wieder dicke da. Christian Wolff: “Denn nach den ungeheuerlichen Grausamkeiten kam es ja nicht zur Ächtung der militärischen Gewalt. Im Gegenteil: das Soldatische wurde ideologisiert zum Eigentlichen des deutschen Mannes. Im Soldatischen sollten sich die Tugenden erfüllen, die in der Ruhmeshalle des Völkerschlachtdenkmals so monumental dargestellt sind: die Tapferkeit, die Glaubensstärke, die Volkskraft, die Opferfreudigkeit.”

Das führte dann 1914 fast blindlings in einen noch schrecklicheren Krieg als den von 1813. Und selbst das genügte nicht, den Politikern in Europa die Augen zu öffnen. Die “Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln” wurde gerade bei deutschen Politikern des rechten Spektrums weiter als sinnvolles Mittel betrachtet, nationale Interessen eben auch mit Gewalt durchzusetzen. Achtung und Respekt vor den Nachbarn? – Fehlanzeige.

Und wer dann hoffte, der 2. Weltkrieg würde endlich ein Erwachen bringen, sieht sich in den letzten Jahrzehnten wieder so einer verächtlichen Haltung gegenüber.Bei Christian Wolff klang es so: “Warum stattdessen die Verhöhnung der Pazifisten als ‘Gutmenschen’ und in der sogenannten Realpolitik das immer neue Aufwärmen der während der Völkerschlacht entwickelten Maxime von Carl von Clausewitz: Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln? – Nein, umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir müssen die Politik dafür einsetzen, dass wir unsere Konflikte ohne Krieg austragen und zur Versöhnung fähig werden. Wir benötigen neue Anknüpfungspunkte: in der Botschaft Jesu, in den Freiheitsbewegungen, im seit 150 Jahren permanent denunzierten aktiven Pazifismus.”

Aktiver Pazifismus. Das, was am 9. Oktober 1989 eine Entscheidung herbeizwang, mit der damals niemand gerechnet hätte. Dieser Herbst 1989 trägt zu Recht den Namen Friedliche Revolution. Denn er trägt ja nicht nur die Botschaft in sich, dass gesellschaftliche Veränderungen auch friedlich ablaufen können. Er zeigt im Grunde auch, dass man mit friedlicher Veränderung sogar weiter kommt und festere Fundamente baut als mit jedem Krieg.

Für Christian Wolff also logisch: Er plädierte in seiner Ansprache in der Motette mit dem Thomanerchor am 18. Oktober in der Thomaskirche für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal im direkten Gegenüber zum Völkerschlachtdenkmal.

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“Das stünde uns in Leipzig gut an”, sagte er. “Nicht das Völkerschlachtdenkmal krampfhaft umdeuten, auch nicht beseitigen – aber ihm das Freiheitsdenkmal entgegensetzen! Platz genug ist vorhanden, das Freiheits- und Einheitsdenkmal an dieser Stelle zu bauen und damit zu signalisieren, dass wir heute in der Tradition der Friedlichen Revolution stehen und darum Abschied nehmen von der grausamen Mär, als sei nur mit militärischer Gewalt und mit Diktatur und Bevormundung Befriedung zu schaffen. Der Ruf ‘Keine Gewalt’ und die Bitte ‘Dona nobis pacem’ gilt es dem Schutzpatron der Soldaten und des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, dem Erzengel Michael, entgegenzusetzen. Das wäre ein Denkmal für die nächsten Generationen, ein Treffpunkt zur Feier der Freiheit, eine Verankerung des Geschehens von 1989 in der Tradition von 1949, 1919 und 1848 – in dem Geist, der aus Verlierern Gewinner, aus Schwachen Starke macht – aber nicht mit Heer und nicht mit militärischer Gewalt, sondern durch den Geist Gottes, den Geist der Freiheit.”

Dumm nur, dass weder OBM noch Stadtrat bei ihrer Entscheidung für den Wilhelm-Leuschner-Platz als Standort für das neue Denkmal daran gedacht haben. Dumm auch, dass sie einen Wettbewerb für eine Platzgestaltung gemacht haben und nicht für ein Denkmal.

Eines zumindest zeigen Wolffs Worte: Es lohnt immer, über so ein Projekt erst einmal richtig nachzudenken, bevor man “alternativlose” Wettbewerbe durchführt und dem Stadtrat deren Ergebnisse zum Abstimmen vorlegt.

Der Wortlaut der ganzen Ansprache: www.thomaskirche.org/r-2013-motetten-a-4989.html

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