Heute ist der 14. Oktober. Sie ist endlich angebrochen: die Jubiläumswoche zu 200 Jahren Völkerschlacht und 100 Jahren Völkerschlachtdenkmal. Auch im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), der das Jubiläum geradezu begeistert inszeniert. Er hat dazu eine ganze Völkerschlacht-Woche auf die Beine gestellt. Motto: "Die Völkerschlacht erleben".

Die 500.000 Soldaten, die vor 200 Jahren um Leipzig zusammengezogen worden waren, wären bestimmt froh gewesen, wenn sie diese Schlacht nicht erlebt hätten. Aber Fernsehen gab es ja damals noch nicht. Man konnte die Schlacht also auch nicht wie eine Nachrichtensendung inszenieren – wie es der MDR in dieser Woche auch tut. Arno Frank fand das MDR-Experiment in einem geradezu begeisterten Beitrag auf “Spiegel Online” herrlich: “Vor genau 200 Jahren tobte die Völkerschlacht bei Leipzig – zum Jubiläum spielt der MDR den Krieg nach, als würde er gerade eben stattfinden. Das klingt nach Geschichtsporno, ist aber tatsächlich unterhaltsames, leidenschaftliches Fernsehen.”

Der Streit, ob man so ein Ereignis so feiern darf, wie es viele in dieser Woche tun, ist längst entfacht. Der MDR zu seiner vierteiligen TV-Serie, die vom 14. bis 17. Oktober jeweils 19.50 Uhr ausgestrahlt wird unter dem Titel “MDR Topnews: Völkerschlacht überrollt Sachsen”: “Zum 200-jährigen Jubiläum der Völkerschlacht zeigt der MDR das modernste Geschichtsformat im deutschen Fernsehen. Nach dem Vorbild tagesaktueller Nachrichten und Brennpunktsendungen aus Krisengebieten wie Syrien oder Afghanistan wird über die bis dato größte Schlacht der Weltgeschichte mit Mitteln der modernen Nachrichtentechnik ‘live’ berichtet – so als fände sie gerade statt.”

Ob das Konzept aufgeht und tatsächlich “das modernste Geschichtsformat im deutschen Fernsehen” ist, müssen all jene für sich entscheiden, die sich die Sache im MDR-Angebot ansehen, anhören und anklicken. Denn immer stärker besorgt die Sendeanstalt das, was seit ein paar Jahren als “trimedial” versprochen wurde: Angebote für TV, Hörfunk und Internet in einer Melange. Das ist technisch bestimmt modern.

Ob es die Inhalte dann auch sind, bleibt die Frage. Denn auch eine mit modernen Reenactment-Darstellern inszenierte Schlacht von 1813 ist nicht deshalb ein modernes TV-Ereignis, weil jetzt alles in Farbe und “live” in die Haushalte übertragen wird. Modern wird so etwas, wenn auch die Analyse auf der Höhe der Zeit ist.

Dem stellt sich der MDR mit einem Debatten-Teil, in dem die Jubiläumsfeierlichkeiten auch einer Kritik unterzogen werden. Auch der Historiker Peter Reichel kommt zu Wort mit seiner Kritik: “Dass aus dem ersten Volkskrieg ein Volksfestspektakel gemacht wird, verharmlost und verzerrt die Völkerschlacht zu einem unterhaltsamen Event und ist einer bedeutenden Kultur- und Handelsmetropole wie Leipzig unangemessen.”

Auch zum Völkerschlachtdenkmal hatte er ja deutlich seine Meinung gesagt: “Ich habe immer bedauert, dass nicht einer der alliierten Bomber im zweiten Weltkrieg auf dem Heimweg mit seinen letzten Bomben das Denkmal in Schutt und Asche gelegt hat. Also kurz und pointiert gesagt: Dann wäre Leipzig dieses Problem los und hätte jetzt nicht die Peinlichkeit, aus einem den Krieg heroisierenden Nationaldenkmal ein europäisches Friedensdenkmal machen zu müssen.”Gerade die Folgen der Schlacht sind aus seiner Sicht so komplex, dass das, was in dieser Woche zu diesem Thema geschieht, dem Ereignis nicht gerecht werden kann. Reichel: “Da finde ich auch den Versuch der modernen Medien, so zu tun, als könne man sich in die Vergangenheit mit multimedialen Mitteln hineinversetzen, erheblich überzogen und übertrieben.”

Bekanntermaßen versucht das interdisziplinäre Projekt “fireworks & smokebombs – 1813_1913_2013: Erinnerung, Kunst, Kontroversen”, dem Spektakel vom 11. bis 31. Oktober in Leipzig mit Installationen, Interventionen und Performances, Vorträgen und Diskussionen eine Gegensicht zu verschaffen.

Kurator Stefan Kausch sagte dazu: “Während die Stadt Leipzig und andere Akteure mit großem Aufwand das doppelte Völkerschlacht(denkmal)jubiläum zwischen Kommerz und Verklärung veranstalten, sind wir andere Wege gegangen. Unsere Künstler_innen positionieren sich mit ihren Arbeiten kontrovers und kritisch zum Thema Völkerschlacht, Völkerschlachtdenkmal und Völkerschlachtjahrestag 2013.”

Und Nina Kaiser, die Pressesprecherin dieses Projekts: “Es werden acht herausragende und unkonventionelle Einzelprojekte aus dem Feld der bildenden Kunst und interdisziplinärer Formate präsentiert. Die Künstler_innen stehen dabei vor der Aufgabe, sich der Auseinandersetzung an Orten jenseits etablierter Ausstellungsräume zu stellen. Zudem findet am 25. Oktober 2013 der Workshop “Vom Kratzen an den Geschichten” statt, bei dem Geistes- und Sozialwissenschaftler_innen sowie Journalist_innen und Künstler_innen aufgefordert sind, aktuelle Forschungstendenzen und Projekte auf dem Gebiet der Erinnerungs- und Gedächtnisforschung vorzustellen und einem großen Publikum zugänglich zu machen.”

Den Workshop darf man sich merken.

Einer hätte zu diesem knallenden Jubiläum ebenfalls so einiges zu sagen gehabt: Jürgen Hart, nicht nur einer der besten, sondern einer der klügsten Kabarettisten, die Leipzig je hatte. In seinem Buch “Die unglaubliche Geschichte Sachsens” (1995 erstmals als “Die unernste Geschichte Sachsens”) kommt auch die Völkerschlacht vor samt dem geschichtemachenden Husarenstück eines Teils der sächsischen Truppen, die am 18. Oktober die Seiten wechselten. Was ihnen – animiert durch Napoleon und seine Generäle, die irgendjemanden den Verlust der Schlacht in die Schuhe schieben wollten – unter dem Spitznamen “Saxon” den Ruf als Verräter einbrachte.

Nur so zwischendurch gefragt: Ist einer wie der Whistleblower Edward Snowden ein “Verräter” – oder ist es eher eine Regierung, die ihr Volk (und andere Völker) elektronisch bespitzeln lässt?

Wer bestimmt eigentlich, wer Verräter ist? Und wer sich im Namen von irgendeinem höheren Ziel für seine Kriegsgelüste totzuschießen lassen hat?Das wäre eigentlich das Thema dieses Jubiläumsjahres gewesen. Denn im damaligen Sachsen wurde diese Schlacht ja nicht gefeiert. Denkmäler aufgestellt werden durften erst 50 Jahre nach der Schlacht. Und dabei ging es nicht nur darum, dass Sachsen drei Fünftel seines Territoriums einbüßte, weil das Ergebnis der Befreiungskriege eben keine Befreiung war, sondern eine Restauration, bei der sich die “Siegermächte” gütlich taten. Es ging auch darum, dass der sächsische König als einziger in der Klemme steckte: Während alle anderen Rheinbund-Fürsten sich ungestraft von Napoleon lossagen konnten, hatte der den Bündnisgenossen im eigenen Land. Und der wollte auch genau da seine Entscheidungsschlacht austragen. Weil die Gegend um Leipzig so praktisch war zum Schießen und Metzeln.

Das Dilemma beschreibt Jürgen Hart auf seine herzerfrischende Weise. Und weil das Buch ganz offiziell als Satire gilt, stehen auch Sätze drin, die sich die meisten Offiziellen, die dieser Tage ihre Reden halten werden, ganz bestimmt nicht trauen auszusprechen.

Mal mit dem ersten angefangen, den Jürgen Hart da schrieb, als hätte er gewusst, was der MDR 2013 vor hat: “Ach so, Sie sind kein tapferer Sachse, und der sichere Platz hinterm Fernsehapparat ist Ihnen lieber als ein ruhmreicher Platz in der Geschichte? Brav und sächsisch gedacht!”

Napoleon lässt er diesen herrlichen Satz sagen: “Die Sachsen laufen davon! Soeben ist mir bemeldet worden, das einige Regimenter die Seite verwechselt haben!”

Auch so kann man das mit der “richtigen” Seite sehen. Auch heute noch.

Jürgen Hart: “Wenn Monarchen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit anfangen, dann wird es haarig, das weiß auch Friedrich August, denn er ist selber einer …”

Und wie reagiert dieser Friedrich August auf Napoleons Vorwurf “Man kann nicht mein Verbündeter sein und gleichzeitig züm Eer meiner Feinde ienüberverwechseln!”

Geschrieben 1995, noch lange vor der Erfindung der “Koalition der Willigen”. (Man sieht: In der Geschichte wiederholt sich Vieles – manchmal bis zur Lächerlichkeit.) Friedrich August darf bei Jürgen Hart mutig werden und ein wahres Wort sagen: “Wir nämlich, und das muss und das wird man ja auch mal irgendwo öffentlich sagen dürfen, wir wollten von uns aus ja gar nicht. Sie wollten uns zum Verbündeten ham, und nicht umgedreht!”

Und die Lehre aus dem Ganzen? – Jürgen Hart: “Wechsele lieber die Landesfarben als den Charakter!”

Leider weilt er nicht mehr unter uns.

Ein wenig gespannt, das geben wir zu, sind wir auf eine Erstausstrahlung in dieser Woche: Der Animationsfilm “1813 – Gott mit uns” des Leipziger Grafikers und Comiczeichners Schwarwel zeigt – so verrät der MDR – Napoleon von einer ganz besonders charmanten Seite. Ausgestrahlt wird er erstmals am Mittwoch, 17. Oktober, um 23.05 Uhr im MDR Fernsehen.

Wer sich über die Projekte innerhalb von “fireworks & smokeboms” informieren möchte: www.fireworksandsmokebombs.de

Der Versuch des MDR, die Völkerschlacht trimedial umzusetzen: www.mdr.de/voelkerschlacht/index.html

Das Hosianna von “Spiegel Online” auf das MDR-Experiment: www.spiegel.de/kultur/tv/voelkerschlacht-im-mdr-a-927399.html

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