Es ist eine Erinnerungsveranstaltung. Eine, die über die Jahre in eben dem, woran sie zu erinnern sucht, zu ersticken droht. Wo Vergangenheit damit bedacht wird, dass die wirklichen Fragen auf der Bühne fehlen, soll sie getötet werden. Eine angemessen kurze Ansprache des Leipziger Oberbürgermeisters, eine Riesenleinwand, ein Theaterstück mit teils üblem Versmaß und ein schnell verschwundener Bundespräsident prägten das Bild auf einem gut gefüllten Augustusplatz.

Und die Frage einer Gruppe junger Menschen: “Passiert hier heute noch irgend etwas?” Kurz darauf sind sie verschwunden – es gibt nicht viel, was sie unter den etwa 30.000 hält. Das Ereignis sind zunehmend die, die mittlerweile der Traditionsveranstaltung fernbleiben. Am Rand stehen die Letzten, die Unermüdlichen mit ihrem Transparent zu den Montagsdemonstrationen. Irgendwie verloren inmitten von Menschen und dennoch da. Nur eben schwer zu finden und sehr fern der Bühne.

Es passierte nicht viel, nach einer Stunde ist es vorbei, die Uhr schlägt Neune. Es gab ein mittel-gutes Volks-Theater mit entsprechendem Applaus. Ein Stück um Weggehen und Bleiben, Abzocke, Hausüberschreibungen und Versuchen des Ausbruchs aus einer engen Gesellschaft. Wie sie im gesamten Ostblock eine Wand vor die Träume der Hiesigen stellte und ein Lager aus den üblichen Maschendrahtzäunen. Fast fahrlässige Reduktion, wo Stacheldraht waltete, wo es für so manchen zur Tortur wurde, frei zu denken.
Massenkompatibel inszeniert, mit geringen Mitteln und großer Tonanlage. Und es gab einen Mann, der als bester Einfall des Abends aus einer Tonne heraus zu den Menschen auf dem Augustusplatz sprach. Von Verlust, Rückzug, dem Verlieren inmitten großer Stürme, dem Anlanden in einer Mülltonne. Gefüllt mit begrabenen Träumen eines ehemaligen Kesselwarts ohne neue Chance. Die progressive Idee des Abends – ein frustrierter Diogenes. Darauf ein Bier, seine letzten Worte. Der Rest belangloser Kitsch auf einer Riesenbühne, ein Volkstheater, bei welchem Brecht wohl an Bluthochdruck stante pede gestorben wäre. Was er allein bei den teils gequälten Reimen schon in der ersten Textlektüre zur Konkurrenz geschickt hätte.

Eine große Leinwand wird so notgedrungen zum Star. Volkstheater ohne Worte, statt machtvoller Ringumrundung. Neue Forderungen scheint es im Folkloreleipzig 2013 nicht mehr zu geben, es wird der Tschechen und Slowaken gedacht, die den Mut nach Leipzig brachten. Statt diesem ein Bundespräsident, der nichts sprach, wo Sprache doch nie höher war, als 1989. Der kurz auf- und nach entzündeter Kerze wieder abtauchte. Eine Rede, etwa, worüber man im eigenen Leipziger Wohnzimmer hätte philosophieren können? Fehlanzeige. Vielleicht Respekt im Angesicht dessen, was es wirklich einmal war? Nichts davon in Leipzig, wo man einst auch ohne Gauck auf die Straße ging.
Václav Havel am Ende. Natürlich auch er nur auf der Leinwand. Und dann viel Zeit dafür, einzublenden, wer das Spektakel getextet und aufgeführt hat. Wichtig, wenn sonst nichts Wichtiges geschieht. Die traditionsbewussten Leipziger gingen anschließend ihren Gang durch die Innenstadt, ein Seitenblick zur Nikolaikirche war dabei und ein spürbar hektischer Mann mit Rollkoffer fragte, wie er nun direkt zum Bahnhof käme. Immer geradeaus die Antwort. Überall Gruppen junger Menschen. Sie verliefen sich ab 21 Uhr rasch und geräuschlos.

Ein bequemer Abend des Abfindens. Vielleicht ein Begräbnis. Ein Lichtelfest.

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