Der Sommer ist in Leipzig die Zeit der Berichte. Es wird Bilanz gezogen über das Vorjahr. Im September nimmt der Stadtrat die Berichte dann in der Regel zur Kenntnis. Mehr muss er nicht tun. Außer dass die Damen und Herren des Gremiums die Berichte vielleicht auch mal lesen. Zum Beispiel auch den fünften Tätigkeitsbericht des Beirates für Gleichstellung. Am 18. September steht er auf der Tagesordnung der Ratsversammlung.

Er ist ein bisschen mehr als nur ein Tätigkeitsbericht, auch wenn das so schön beruhigend ist zu erfahren, dass das Gremium arbeitet, Stadtrat und Verwaltung berät und Zusammenarbeit fördert. Es wird zu diversen Veranstaltungen und Aktionen referiert. Aber mit der Gleichstellung (von Mann und Frau) ist es so eine Sache: Wenn sich in der Praxis nichts ändert, ist die Arbeit für die Katz.

Also gibt es auch im Bericht einen kleinen Sachstandsbericht zu den Lebenslagen von Frauen und Männern in Leipzig und die logische Frage: “Wo steht Leipzig zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der EU-Charta (2. Juli 2012)?”

Die Zahlen sprechen für sich. Bis Leipzig mal eine Stadt mit einer Gleichstellung von Mann und Frau wird, vergehen beim gegenwärtigen Veränderungstempo noch etliche Jahrzehnte.

So besteht der Stadtrat aus 70 Mitgliedern und dem Oberbürgermeister als Vorsitzenden. Ihm gehören 19 Stadträtinnen (26,8 %) sowie 51 Stadträte und der Oberbürgermeister (73,2 %) an. Nur die CDU-Fraktion hat eine Vorsitzende. Frauen sind also im Leipziger Stadtrat deutlich unterrepräsentiert. Aber in der Verwaltung sieht es nicht besser aus.

Die Verwaltungsspitze bilden der Oberbürgermeister und die sieben Bürgermeister und ist somit zu 100 % in Männerhand, stellt der Bericht fest. Was natürlich auch auf die Krux dieser Berichte hinweist: Sie erzählen immer nur von der Vergangenheit. Und sie brauchen ewig, bis sie die Abstimmungsverfahren durchlaufen haben. Die Grünen-Fraktion hat mittlerweile zwei Vorsitzende – einen Mann, Norman Volger, und eine Frau, Katharina Krefft. So dass es bei sechs Fraktionen im Stadtrat nun zwei (von sieben) Fraktionsvorsitzenden gibt.
Und auch in der Bürgermeisterriege hat sich mittlerweile etwas geändert: Das Amt der Planungsbürgermeisterin hat seit dem 1. August Dorothee Dubrau inne. Womit nach dem Ausscheiden von Bettina Kudla als Finanzbürgermeisterin 2009 erstmals wieder eine Frau in dieser Runde sitzt.

Ansonsten trifft aber weiter zu: Die Mehrzahl der städtischen Bediensteten sind Frauen (fast 70 %). Mehr Männer als Frauen leiten Ämter und Abteilungen, allerdings erhöhte sich die Anzahl der Amtsleiterinnen (von 30 % auf 40 % von 2008 bis 2010).

Aber ein Großteil der Leipziger Politik wird in den Ausschüssen entschieden. Hier werden viele Vorlagen, bevor sie in den Stadtrat kommen ausgehandelt. Und natürlich darf man fragen: Hat die Besetzung mit Männern und Frauen in diesen Gremien einen Einfluss auf diese Vorlagen? Erst recht, wenn man bedenkt, dass andere Stadtratsmitglieder sich dann meist nicht mehr mit diesen Vorlagen beschäftigen und sie in den Stadtratssitzungen dann einfach durchwinken – im Vertrauen darauf, dass im Ausschuss ordentliche Arbeit gemacht wurde.

Den höchsten Frauenanteil haben der Jugendhilfeausschuss /Unterausschuss Finanzen (57 %), der Fachausschuss Allgemeine Verwaltung (41,6 %) und der Umlegungsausschuss (40 %), heißt es im Bericht.

Und er stellt auch trocken fest: “Der Männeranteil ist im Betriebsausschuss Kommunaler Eigenbetrieb Engelsdorf (100 %), Betriebsausschuss Kulturstätten (84,6 %) und Petitionsausschuss (83,3 %) am größten.” Der Kommunale Eigenbetrieb Engelsdorf (KEE) ist diese Beschäftigungstherapie für Leipziger Arbeitssuchende, die so gut ins Sanktionssystem des Leipziger Jobcenters passt. Vielleicht sollten die Fraktionen doch einmal ein paar Frauen dorthin entsenden.

Zwar ist in den meisten Ausschüssen mindestens eine Frau bzw. ein Mann vertreten.

Aber Ausnahmen bilden eben der Betriebsausschuss “Kommunaler Eigenbetrieb Engelsdorf” und der Vergabeausschuss “VOL”, die als frauenfreie Gremien einzustufen sind.

Und im Vergabeausschuss geht es um richtig viel Geld. Trauen Frauen sich das nicht zu? Oder glauben sie, dass Männer mit der “Vergabe von Leistungen” (VOL) klüger umgehen als Frauen?

Frauen dominieren dafür – ganz traditionell – die eher softeren Themen und sind im Beirat für Gleichstellung (83,9 %), im Seniorenbeirat (75 %) und im Psychiatriebeirat (71,4 %) die deutliche Mehrheit. Da sage mal einer was über traditionelle Rollenbilder.

Männer wiederum dominieren im Kleingartenbeirat (90,9 %), im Drogenbeirat (75 %) und im Tierschutzbeirat (60 %).

Aber auch eine andere Art Gremien hat sich der Bericht vorgeknöpft: Aufsichtsräte von Unternehmen mit kommunaler Beteiligung. “Ein Blick auf die Besetzung der Aufsichtsräte zeigt, dass Männer in allen Aufsichtsräten vertreten sind.”

In den Aufsichtsräten folgender Beteiligungsunternehmen aber wirken keine Frauen als Aufsichtsräte mit: ZOO Leipzig GmbH, Abfall-Logistik-Leipzig GmbH, Sportbäder Leipzig GmbH und BIC Leipzig GmbH.

In den Ortschaftsräten und Stadtbezirksbeiräten sieht es dann wieder in etwa so aus wie im Stadtrat selbst, was natürlich mit der Listenaufstellung und den Wahlergebnissen der Leipziger Parteien zu tun hat.

“Die Leipziger Ortschaftsräte werden von 4 Ortsvorsteherinnen und 10 Ortsvorstehern geleitet, das entspricht einem Frauenanteil von ca. 28,6 % und einem Männeranteil von 71, 4 %. 3 Frauen und 7 Männer sind Vorsitzende der Stadtbezirksbeiräte.”

All die Zahlen sind leider nur – wie der Bericht betont – eine “Auswahl”. Was schade ist, weil es die Konsequenzen dieser Verteilung nicht sichtbar macht. Konsequenz sind eben nicht nur unterschiedliche Mitsprachemöglichkeiten und damit entsprechend verschobene Machtgewichte zugunsten der Männer (die das in einigen Netzwerken der Stadt auch weidlich zu nutzen verstehen), sondern auch Nachteile bei Karriere und Einkommen.

So wird zumindest zu Bildung und Einkommen noch zitiert: “In Leipzig gibt es mehr Studentinnen (54 %) als Studenten (46 %). Aber nur jede fünfte Professur hat eine Frau inne (749 Professoren und 143 Professorinnen). Bildung zahlt sich aus, für Männer mehr als für Frauen. Erwerbstätige Männer in Leipzig erzielen 17 % mehr Einkommen als Frauen.”

Aber da sich das Erwerbseinkommen auch auf alle anderen Einkommen (wie ALG I oder die Rente) auswirkt, bedeutet die Benachteiligung im Beruf eben auch eine lebenslange Benachteiligung. So hatten Frauen in Leipzig auch 2012 ein deutlich geringeres Durchschnittseinkommen als der Leipziger Durchschnitt: 1.011 Euro im Median im Vergleich zu den 1.135 im Stadtdurchschnitt. Männer hatten mit einem Median von 1.289 Euro ein deutlich höheres Durchschnittseinkommen.

Und wie sähe eigentlich eine Liste der Top-Verdiener in Leipzig aus, zu denen natürlich – neben dem Oberbürgermeister – auch sämtliche kommunalen Manager, der Gewandhauskapellmeister und die Chefs der Eigenbetriebe gehören würden?

Man bekommt so ein Gefühl dafür, wie ein echter Gleichstellungsbericht für Leipzig aussehen könnte. Und erzähle niemand, das sei nicht möglich, weil man über die Gehälter der Spitzenkräfte nicht reden dürfe. Die Zahlen existieren allesamt in der Stadtverwaltung. Und man kann auch mit Klassifikationen arbeiten. 1.000 Euro im Monat, 2.000 Euro, 3.000 Euro – damit wären schon die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung erfasst. Und wahrscheinlich könnte man richtig schön sehen, wie die Frauen aus der Tabelle verschwinden, wenn es aufwärts geht: 4.000, 5.000, 10.000 Euro …

Der Bericht des Gleichstellungsbeirates ist zahm. Viel zu zahm.

Der Bericht:
http://notes.leipzig.de/appl/laura/wp5/kais02.nsf/docid/6CDA087BDBBEC8BBC1257BA200497828/$FILE/V-ds-3151-text.pdf

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