Kafka ist schuld. So ganz nebenbei erinnerte Jürgen Meier bei der Vorab-Pressekonferenz zum Leipziger Lichtfest 2013 am Dienstag, 10. Juli, daran, dass am Anfang auch in diesem Fall das Wort war. Das Wort eines gewissen Franz Kafka, Körpergröße 1,60 Meter. Ein Floh vor dem Herrn. Und der Anlass einer Konferenz, die 1963 alles ins Rollen brachte: die so genannte Kafka-Konferenz.

Sie fand im tschechischen Schloss Liblice statt und es ging um eine scheinbar rein literarische Frage, die zum 80. Geburtstag des 1883 in Prag geborenen Autors geklärt werden sollte: Wie ist das eigentlich mit der “Entfremdung” in der als neu und revolutionär gepriesenen Gesellschaft, die da nach 1945 im Ostblock entstanden war? – Kafkas Bücher erzählen ja eigentlich von nichts anderem als von der bedrückenden “Entfremdung” in einer rätselhaft gewordenen Welt. Heute gilt diese Kafka-Konferenz als der Auslöser jener Entwicklung, die 1968 im Prager Frühling gipfelte, den auch viele DDR-Bürger als Hoffnungsschimmer am Horizont erlebten. Bis er von den sowjetischen Truppen radikal beendet wurde.

Aber 1968 gehört eben deshalb auch in die Reihe revolutionärer Ereignisse, die aufs engste mit der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 zusammenhängen. Und diesen Bogen versuchen ja die Leipziger Lichtfeste seit 2011 zu schlagen. Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei wurden eingeladen, das Leipziger Lichtfest am 9. Oktober mitzugestalten. Ohne die polnische Solidarnosc, ohne den ungarischen Aufstand von 1956 und die ungarische Grenzöffnung vom Sommer 1989 und ohne Prager Frühling und die Ereignisse in der deutschen Botschaft in Prag im September 1989 ist all das nicht denkbar, was am 9. Oktober 1989 in Leipzig ins Rollen kam.

Und Kafka gehört auch in der DDR dazu. Im selben Jahr 1963, als die Kafka-Konferenz stattfand, war Kafka in der DDR verboten – und trotzdem (das erzählt Siegfried Lokatis im Sammelband “Zensurspiele”) erlaubte die Hauptverwaltung Verlage der DDR 1963 die Einfuhr von Werken Franz Kafkas. Sie gehörten fortan zum subversiven Lesegut der DDR. Was gern vergessen wird, wenn der Herbst 1989 einsortiert wird – Verleger und Autoren waren die ganze Zeit dabei, dem in bürokratisches Schweigen versunkenen Apparat einen menschlichen, zuweilen auch ketzerischen Ton entgegen zu setzen.Es war die Ausreise von Schriftstellern, die die DDR erschütterten: Kunert, Sarah Kirsch, Kunze, Wegner, Biermann nicht zu vergessen. Und viele, die da im Herbst 1989 auf die Straße gingen, hatten Kafka gelesen. Der kleine Mann war die ganze Zeit dabei. Es war zwar eigentlich ursprünglich der k.u.k.-Verwaltungsapparat, der ihn das Fremdsein in der Welt und den Dingen so richtig erleben ließ. Aber Apparate gleichen sich allesamt, wenn sie nur noch dazu da sind, erstarrte Verhältnisse und vergreiste Hierarchien zu bewahren.

Und so wird beim Lichtfest am 9. Oktober 2013 auch das Wort eine zentrale Rolle spielen, versichert Meier, der seit 2007 das Lichtfest künstlerisch betreut. Denn bei Kafka ist es ja nicht geblieben. Die Namen Kundera, Kohout und Havel stehen für das Drängen der tschechischen Literatur auf eine Änderung der erstarrten und unmenschlichen Verhältnisse. Und im Herbst 1989 war die Situation in der CSSR genauso überreif wie in der DDR. Es brauchte nur noch einen kleinen Auslöser, um auch in Prag die “Samtene Revolution” in Gang zu bringen.

Am 9. November, als ein zerstreuter, überforderter Parteifunktionär in Berlin die Öffnung der DDR-Grenzen auslöste, kamen in Bratislava und Prag die Demonstrationen ins Laufen. Als die Staatsmacht am 17. November eine Protestkundgebung von Studenten niederknüppelte, kam es am 19. November zu einer Massendemonstration mit 750.000 Teilnehmern. Ende November trat die Regierung der CSSR zurück. Im Juni 1990 gab es freie Wahlen.So dicht lag das damals alles. Und immer waren es Worte, die eine Rolle spielten. Klug gesetzte, genaue Worte. Und Worte werden auch am 9. Oktober 2013 eine zentrale Rolle spielen.

Der Leipziger Autor und Regisseur Ralph Oehme schreibt ein richtiges Stück, das am 9. Oktober auf der Bühne von fünf Schauspielern und mehreren Gastdarstellern aufgeführt wird. Der alles überspannende Titel: “Wie geht’s? Über Prag!” spielt auf jene Botschaftsbesetzung im September 1989 an, die anfangs 4.000, am Ende 17.000 DDR-Bürgern den Weg in die Freiheit ermöglichte. Der Zug fuhr über Dresden ja bekanntlich nach Hof. “Mitten in eine vollkommen provinzielle Situation”, wie Jürgen Meier betont, der die Strecke extra noch einmal abgefahren ist. Deswegen werden auch Bahnhöfe am 9. Oktober auf der Bühne auf dem Augustusplatz die Hauptrolle spielen – am Ende natürlich der größte und schönste, der Leipziger Hauptbahnhof.

Schauspiel, Musik und Videoperformance mit Bildern aus dem Prag von 1968 werden ineinander übergehen. Auch das Grußwort von OBM Burkhard Jung und die gemeinsame Botschaft von Tschechien und Slowakei, die der Schauspieler Robert Roth vorträgt, werden Teil der Performance. Und die Musik kommt direkt aus Leipzigs tschechischer Partnerstadt Brno. Es ist die Band Ty Sycaci, die schon 2009 beim Lichtfest zu erleben war. Das waren die Jungs, die mitten auf dem Tröndlinring saßen und dort musizierten, während die 100.000 Besucher des Lichtfestes an ihnen vorbeiströmten.

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Man kann sich also wohl wieder auf eine herzliche und farbenfrohe Inszenierung freuen, wenn Leipzig am 9. Oktober 2013 Lichtfest feiert. Natürlich auch wieder mit einem Meer aus Lichtern, die die großen, heißen Zahlen “89” bilden.

Vorher – auch das ist schon Tradition – gibt es um 17 Uhr das Friedensgebet in der Nikolaikirche mit Gästen auch aus Leipzigs Partnerstadt Brno. Dem schließt sich um 18.30 Uhr die “Rede zur Demokratie” an, die in diesem Jahr der tschechische Schriftsteller und Politiker Milan Uhde hält.

Um 20 Uhr beginnt dann das Lichtfest auf dem Augustusplatz, ab 21 Uhr öffnen wieder Orte zur Zeitgeschichte in der Innenstadt. Und um 22 Uhr gibt es in der Nikolaikirche die “Altslawische Messe” des Brnoer Komponisten Miroslav Prihoda zu hören. Und wer die Augen offen hält, der sieht vielleicht einen kleinen Mann mit Hut und großen, dunklen Augen, der dem ganzen Trubel staunend zuschaut.

Die Kafka-Konferenz von 1963 bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Kafka-Konferenz

Mehr zum Leipziger Lichtfest: www.leipziger-freiheit.de

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