Es ist wieder so weit. Es wird disputiert in Leipzig. Wer dabei sein will, sichert sich am Montag, 24. Juni, einen Platz in der Thomaskirche. Dann disputieren Margot Käßmann und Jutta Ditfurth über das herrliche Streitthema "religiös oder tolerant?" Vorbild ist natürlich die historische Disputation zwischen Dr. Johann Maier von Eck und Dr. Martin Luther am 21. oder 22. Juni 1519 in der Schlossstube der damaligen Pleißenburg.
Und die Themen, zu denen die Stadt Leipzig, die Universität Leipzig, die Ev.-Luth. Kirchgemeinde St. Thomas, die Evangelische Kirche in Deutschland und die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens nun im Vorfeld des 500. Jahrestages dieser Disputation jedes Jahr einladen, haben ähnliches Gewicht wie einst Luthers Thesen zum Ablass. Und sie werden auch – medienwirksam – rechtzeitig vorher öffentlich angeschlagen. Ortstermin am Freitag, 14. Juni, das Bach-Portal der Thomaskirche, heller Sonnenschein. Bachvorfeststimmung. Thomaspfarrerin Britta Taddiken und Prof. Dr. Matthias Schwarz, Prorektor der Universität Leipzig, “hämmerten” die Thesen der beiden Disputantinnen symbolisch an die Pforte.
Dr. Matthias Schwarz schon in Vorfreude auf das Jahr 2015. Denn dann wird die Disputation erstmals in der neuen Paulinerkirche der Universität stattfinden. “Die Disputation hat sich als ein zugkräftiges Format erwiesen. Daran halten wir natürlich fest”, sagt er.
Die Paulinerkirche ist deshalb auch der richtige Ort, weil die Disputation nicht ursächlich eine theologische Auseinandersetzung war, sondern eine wissenschaftliche. So war das auch im Juni 1513: Die beiden Theologen aus Ingolstadt und Wittenberg legten öffentlich ihre Thesen dar, mussten sie begründen und erläutern. Für Luther war der Auftritt ein gewaltiger Werbeerfolg in eigener Sache. Und es erstaunt auch nicht, dass Luther auch in den Thesen von Prof. Dr. Margot Käßmann, Botschafterin der EKD für das Reformationsjubiläum, und Jutta Ditfurth, Autorin und Soziologin, vorkommt.
Denn mit Luther kam eigentlich erst die europäische Diskussion über Toleranz in Gang. Auch wenn er selbst gröblichst intolerant sein konnte. Margot Käßmann bringt das in ihren ersten beiden Thesen sehr klar auf den Punkt: “1. Das Zeitalter der Reformation kannte keine Toleranz im heutigen Sinne. 2. Martin Luthers Überzeugung von der Freiheit des Einzelnen in Glaubens- und Gewissensfragen legt dennoch eine Grundlage für die Entwicklung des Toleranzgedankens.”Eigentlich stört das “dennoch” an dieser Stelle. Die “Freiheit des Einzelnen in Glaubens- und Gewissensfragen” ist die Voraussetzung für Toleranz. Nur wer in Gewissensfragen nicht von der Meinung anderer Leute abhängig ist, kann tolerant sein. Für ihn ist das Anderssein der Anderen keine Gefährdung seiner eigenen sozialen Position. Die Zuhörer, die sich am 24. Juni in der Thomaskirche einfinden, werden wohl eher das Gefühl haben, dass Jutta Ditfurth eher noch eins draufsetzt auf das, was Margot Käßmann formuliert. Die einstige Mitbegründerin der Grünen benennt Luthers unübersehbare “Toleranz” für die Mächtigen seiner Zeit und setzt die strikte Trennung von Staat und Religion ins Zentrum ihrer Thesen. Wo Staat und Religion nicht strikt getrennt sind, wird Religion zur “Staatssache” – mit all ihren bitteren Folgen von der Ausgrenzung Andersgläubiger über die Einmischung in zentrale politische Fragen bis hin zu staatlicher Intoleranz und fundamentalistischer Gewalt.
Dabei deutet sie auch an, dass wir augenscheinlich in einer Zeit leben, in der Religionen wieder größeren Einfluss auf Staaten erobern oder gar zurückerobern. “Es herrscht eine intolerante Respektlosigkeit gegenüber denjenigen Menschen, religiösen wie nicht-religiösen, die für die Trennung von Staat und Kirche eintreten.”
Wirkliche religiöse Toleranz fängt für sie da an, wo Gläubige aufhören, Anders-Gläubige oder Nicht-Gläubige zu missionieren. Sie bezieht sich dabei auf den großen Toleranzdenker Moses Mendelssohn, den Freund von Gotthold Ephraim Lessing, der ihm zum Vorbild diente für sein Drama “Nathan der Weise”.
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Und sie zitiert auch Herbert Marcuse mit seiner “repressiven Toleranz”, die Toleranz auf “politische Maßnahmen, Bedingungen und Verhaltensweisen aus(…)dehnt, die nicht toleriert werden sollten, weil sie die Chancen, ein Dasein ohne Furcht und Elend zu herbeizuführen, behindern, wo nicht zerstören.” Womit sie in die Nähe von Margot Käßmanns “Zum Respekt gehört die Achtung vor der Integrität des anderen.” kommt. Toleranz muss ihre Grenzen haben – da sind sich die beiden Frauen augenscheinlich einig. Zerstörerisches Handeln darf nicht toleriert werden. Nicht das von Fundamentalisten, Fanatikern, Umweltzerstörern, aber auch nicht vom Staat. Und die “Hartz IV”-Gesetzgebung prangert Jutta Ditfurth seit Anfang an als intolerant und persönlichkeitszerstörend an.
Es ist – so gesehen – auch eine Disputation, die eine schwere Wunde unserer Gesellschaft berührt: die institutionalisierte Intoleranz, die sich sogar noch als Wohltäter geriert. So weit entfernt vom Zeitalter Martin Luthers sind wir gar nicht. 500 Jahre sind keine wirklich lange Zeit, wenn es darum geht, dass menschliche Gesellschaften lernen, menschlicher zu sein.
Die Leipziger Disputation mit Prof. Dr. Margot Käßmann und Jutta Ditfurth zum Thema ” religiös oder tolerant?” wird am Montag, 24. Juni, um 20.00 Uhr in der Thomaskirche stattfinden. Die Veranstaltung wird moderiert von Thomas Bille, MDR Figaro.
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