"Galerie am Sachsenplatz" - ein Name, eine Adresse, ein Leipziger Original. Sie feierte 40. Geburtstag, und kurz darauf schloss sich die hölzerne, mit schwerem Eisen beschlagene, Pforte in der ersten Etage des barocken Fregehauses in der Katharinenstraße. Merkur und die Musen waren sich im alten Leipziger Kaufmannshaus wieder sehr nahe gekommen. Per 30. Juni 2013 wurde der Galerie gekündigt. Neuer Hauseigentümer, neue Mietverträge, neues Glück.
17. und letzte Auktion
In den letzten Tagen klebte nur ein Schild für Abholer an der Tür, am 25. Mai war die 17. Leipziger Auktion für bildende Kunst in der Galerie über die Bühne gegangen, mit Vorab-Präsentation im Internet.
Sächsische und Ostthüringer Kunst waren die Attribute der Ausstellungen, der versammelten Künstler und ihrer Wurzeln, der Schätze in den Schüben – einstige und weiter entfernt lebende Künstler, gar Internationalität vor und nach Mauerbau und Mauerfall, spielte immer mit hinein.
Auktionen waren nur das i-Tüpfelchen in den 40 Jahren. Über die Jahre waren die Ausstellungen, die vereinigten Künstler, und auch die Schauen im Kabinett wohlsortiert. Unter dem Titel “Schätze aus Schüben” gab es immer mal eine wahre Wunderkammer zu sehen – mit Verkaufspreisen.
Galerie per Telefon
Volker Zschäckel wartete nun nur noch auf Abholer, verpackte Bestände: “Das geht ins Lager.” Fotografiert werden wollte er dabei eigentlich nicht, ließ sich überreden. “Und nun?” Er, der außerhalb der Öffnungszeiten immer unterwegs war zu Künstlern und Kunden, verweist auf seine Telefon-Nummern auf dem Auktions-Prospekt: “Und es muss ja irgendwie weitergehen.” Ohne die Adresse am Sachsenplatz. Und nun verschwindet auch der Sachsenplatz aus den Adressbüchern.
Kunsthandel der DDR
Dabei hatte die Galerie ihre Heimstatt tatsächlich nur “am” Sachsenplatz, in der Katharinenstraße, und zunächst näher am Brühl Richtung Romanushaus. 1986 zog sie um, ein paar Häuser weiter, ins nach DDR-Fünfjahrplänen voller Restaurierungsarbeiten endlich fertiggestellte barocke Fregehaus.
Hier waren die Räume nur wenige Quadrat- und Höhenmeter größer. Geblieben war bei jeder Ausstellung das neue Wunder, wie man in diesen begrenzten Räumen, an eigentlich kurzen Wänden zwischen Werken und Künstlern Beziehungen herstellen konnte.
Ins Leben gerufen hatte der Kunsthandel der DDR die Galerie, nutzend das Wissen und die Bekanntschaften von Gisela und Hans-Peter Schulz, ergänzt von Johanna Teller als Mitarbeiterin. Quasi umgekehrt über den Bitterfelder Weg der DDR war Hans-Peter Schulz aus der Industrie an die Künstler und in die Galerie gekommen.
Welche geschäftlichen Bestrebungen der DDR-Kunsthandel und die sogenannten “inneren Organe der DDR” über Mauern und Devisenkurse hinweg hatte, ist eine andere Geschichte. Hier trafen erst mal interessierte Leipziger Leute auf andere interessierte Leute, und auf Kunst. Das hat auch kein Eintrittsgeld gekostet.
Ein Mattheuer für 5 DDR-Mark
Um junge, neugierige Leute in der Galerie kümmerte sich schnell mal Gisela Schulz. Ein paar Worte hin und her, ihr Lächeln, Bemerkungen über Kunst und Geld kippte sie. Dann schon stand der 17-Jährige im Galeristen-Raum, bekam zu hören, dass es manchmal extra etwas für Studenten gab. Ein Schubfach wurde geöffnet, die Anknüpfung ans Gespräch war ein Blatt, eine Druckgrafik, bei der Herstellung offensichtlich etwas verunglückt. Auch das erklärte sie. Zum Preis von 5,00 Mark der DDR (in Worten: fünf) wechselte ein Blatt Wolfgang Mattheuers den Besitzer. Jahre später hat man das dem Künstler selbst erzählt und der hatte seine Freude daran.
Beim Galeriegespräch mit Dottore, der als Arzt begann und dann selbstständig wurde, war der junge Mann wieder da, und kam wieder, und Gisela Schulz begrüßte immer mit Handschlag. Es sei denn, das Gedränge zu den Vernissagen, Galeriegesprächen und Konzerten war einmal gar zu groß. Im Publikum kannten sich die meisten vom Sehen – oder mit Vornamen.
Auch der Musiktheater-Dramaturg Dr. Fritz Hennenberg bekam große Augen, sprach man ihn Jahre später auf kleine, feine Aufführungen großer Werke an: Hanns Eislers “Hollywooder Liederbuch” in den 1980er Jahren, gesungen von Roswitha Trexler, inmitten künstlerischer Ausblicke über die real existierenden Mauern weit hinweg.
Von der Kunsthandel-Planwirtschaft auf den Weltmarkt
In die Galerie zu Gisela und Hans-Peter Schulz war als junger Mann Volker Zschäckel gekommen, und neben Johanna Teller quasi Inventar geworden. Er übernahm in den 1990er Jahren das Galerie-Geschäft, und die Freunde des Hauses – Kurs: Private Wirtschaft, Weiter leben, Wachsen!
Wechselausstellungen, Kunst zeigen blieben offensichtlich und gern genutzt die Koordinaten. Kunst und Künstler im Vordergrund und für alle. Hier konnte, wer wollte, Künstler nach Vernissagen und Veranstaltungen einfach fragen, da standen eben Hartwig Ebersbach und Heinz Zander schwatzend nebeneinander – und zum Ansprechen bereit.
Als Werner Tübke in Volker Zschäckels Galerie zur Personalausstellung Gesprächsgast war, kam es zu Interaktionen mit Ehefrau Dr. Brigitte Tübke-Schellenberger. “Ich bin die Produktion, sie ist die Ökonomie”, hat er gesagt. Wie es zu den Garten-Stilleben aus der Springerstraße kam, wurde erfragt, und sie ergänzte den Maler: “Weil es im Hochsommer unterm Dach zu warm war, da hab ich gesagt, du gehst da nicht hinauf! Da saß er dann im Garten!”
Leipziger Schule
Wenn einzelne Besucher vorurteilsfrei fragten, ließ sich Volker Zschäckel vorsichtig auch auf Gespräche über den Begriff der “Leipziger Schule” ein. “Wenn man etwas zusammenfassen will, dann ist zuerst von den drei Leipziger Maxen auszugehen: Max Beckmann, Max Klinger, Max Schwimmer!”
Damit waren schon mal diese drei Künstler und ihre Handschriften allen Schubladen entwichen, obwohl es sich immer noch um die Schule, nämlich die Hochschule in Leipzig handelt.
Alles weitere klärte sich mit Hilfe der Kunst und der Künstler rundum an den Wänden. In der Galerie am Sachsenplatz wurde Meinungen gebildet, nicht verkauft.
Kunst-Platz ohne Galerie
Eine Kunsthandelsgeschichte dieser Galerie am Sachsenplatz, ihrer Betreiber und deren Beweggründe, ihrer Kunden und Freunde ist eine wissenschaftliche Dokumentation wert. Am besten aus dem laufenden Betrieb heraus…
Ins Fregehaus hat das alles gepasst. Zwischen Antiquitäten und Gothic-Restauration durchs Tor, wenn die Kellertür offen war, mit Blick zum Zugang in die uralte halbe Etage zwischen Hof, Straßenpflaster und zur Treppe Richtung Keller, vor dem Salto-Florale-Blumen-und Kräutergarten dann eine Etage hinauf zur Kunst. Und aus dem Museum der bildenden Künste von der anderen Straßenseite konnte man einst hinüber schauen, bis ausgerechnet eine Glasfassade die Ausblicke versperrte.
Der Name “Sachsenplatz” verschwindet aus den Firmenbezeichnungen. Wirklich alte Stadthistorie war er nicht. Ganze Häuser-Viertel zwischen Katharinen- und Reichsstraße waren im Zweiten Weltkrieg zerbombt worden. Erst als die Partei- und Staatsführung der DDR den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg um 1969 für abgeschlossen erklären wollte, entstand der Sachsenplatz. Ausgerechnet ein Sachsenplatz! Und das in jener Zeit, als man von Ländern zu Bezirken gekommen war, sächsische Volkskunde offiziell keine Rolle mehr spielte, und sächsische Mundartdichter noch bis Anfang der 1980er Jahre ihrer Neuentdeckung auf den Kabarett-Bühnen harren mussten.
Längst geschlossen, geräumt und vergessen sind Kunst und Künstler in Häusern der Nachbarschaft: die Galerie der Künstler-Genossenschaft im Romanushaus, das frühere Polnische Kultur- und Informationszentrum, oder auch “Wort und Werk” an der Ecke Markt/Barfußgässchen, oder die Kunstbuchhandlung “Bilderkabinett” in der Reichsstraße. Von Kunst und Ausstellungen im früheren Gebäude der Leipzig-Information, mit dem Dach aus gefaltetem Beton, und den Pavillons auf dem Platz ganz zu schweigen.
Leipzigs Weltkulturerbe-Bewerbungs-Idee der historisch-musikalischen “Notenspur”, mit Stationen an der Katharinenstraße und durch Kretzschmanns Hof zur Hainstraße, führt vorbei am Fregehaus, das nun leider kein Ort der bildenden Kunst mehr ist. Merkur und die Musen. Musik hat den Wettbewerb gewonnen. Und die Märkte sowieso.
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