Seit 2002 beschäftigt sich die Leipziger Arbeitsgruppe um Prof. Elmar Brähler und Dr. Oliver Decker mit der Frage: Wie entstehen eigentlich rechtsextreme Einstellungen? In Deutschland. Und was steckt eigentlich dahinter? Was ist das eigentlich? Denn Rechtsextremisten fallen ja nicht vom Himmel. Und Zulauf haben chauvinistische Parteien auch nicht einfach so, weil ihre Wähler rational reagieren. Es ist wie so oft: Der Mensch handelt wesentlich seltener in eigener Freiheit, als es die Meisten von sich glauben.

2002 gab es auch einen großen Konsenskongress, wie es Decker nennt, bei dem sich die soziologische Forschung erst einmal darauf einigte, welche Dimensionen Rechtsextremismus aus soziologischer Perspektive eigentlich hat und mit welchen Fragemustern man sie erkunden kann. Die entsprechenden Fragebögen, nach denen seitdem jedes Jahr um die 2.500 Bundesbürger im persönlichen Gespräch abgefragt werden, sind also standardisiert. Aller zwei Jahre gibt es eine größere Befragung mit bis zu 6.500 Befragten. Über 17.000 Menschen haben mittlerweile Rede gestanden. Was erstmals auch ein paar Analysen zu einzelnen Jahrgangsscheiben ermöglicht.

Wie verändern sich Einstellungen im Laufe der Zeit? Oder ist das alles ein für alle Mal erstarrt? Bleiben die Leute unbelehrbar? – Ach ja: Welche Leute eigentlich? – Denn eines haben ja die Studien nun seit Jahren immer wieder bestätigt: Rechtsextreme Einstellungen beschränken sich nicht auf die rund 3 Prozent der Hardliner am ganz rechten Rand, die nicht nur eine autoritäre Diktatur toll finden, sondern gleich noch das ganze Nazi-Reich. Wobei selbst diese 3 Prozent nicht homogen sind. Besonders verankert sind diese Anschauungen logischerweise bei den älteren Jahrgängen, jenen, die vor oder während des NS-Reiches sozialisiert wurden.

Und genau das ist der spannende Punkt für Soziologen: Wie entstehen solche Haltungen? Was sind die Ursachen dafür? Waren es nur die wirtschaftlichen Krisen der 1920er Jahre, die Menschen so reagieren ließen – quasi in direkter Reaktion auf eine echte Existenzkrise? Oder war ein ganz anderer Umbruch tatsächlich der Auslöser: der Zusammenbruch des Kaiserreiches im Gefolge des 1. Weltkrieges, mit dem nicht nur ein autoritäres Regime verschwand, sondern mit ihm auch die Rahmenbedingungen, die die autoritär sozialisierten “Untertanen” für ihre Einordnung ins autoritäre Gefüge belohnte? Mit Karriere, Orden, gesellschaftlicher Anerkennung? – So wie es Heinrich Mann in seinem “Untertan” exzellent schildert. Ein Buch, das Oliver Decker an diesem Montag nicht ganz zufällig erwähnt, weil es sehr anschaulich die Sozialisierung eines Mannes zeigt, der in seinem Leben nichts anderes erträumt, als sich den Regeln der Gesellschaft einzufügen und dafür geehrt und geliebt zu werden.Doch was passiert, wenn eine autoritäre Gesellschaft in die Brüche geht und die Menschen, die vorher autoritär sozialisiert wurden, nun nicht mehr belohnt werden für diese Sozialisation? – Darüber scheinen sich die Soziologen schon seit Erich Fromm und Theodor Adorno intensiv Gedanken gemacht zu haben. Bis hin zu der Erkenntnis, dass solche Menschen wohl in höchstem Maße frustriert sein müssen. Verunsichert sowieso. Sie erleben die neue Gesellschaft, die ihnen nicht mehr auf Schritt und Tritt sagt, was “richtig” ist und was sie tun müssen, als eine Welt, in der sie keine Kontrolle mehr haben über ihr eigenes Schicksal. Stichwort: Kontrollverlust. Und sie reagieren darauf mit Aggression.

Und nicht nur das: Sie suchen sich eine neue Identifikation, die ihr verunsichertes Ich wieder stärkt. Und das – so stellt Prof. Dr. Immo Fritsche fest – sei ein Effekt, der in dieser Weise auch in anderen Ländern nachweisbar sei: Sie machen die eigene Gruppe zum zentralen Bewertungsmaßstab, das verunsicherte Ich sucht sich Halt in einem stärkenden Wir. Und diese Gruppe grenzt sich ab – beginnt, sich von anderen zu distanzieren, abzusetzen, beginnt das Andere und Fremde auch abzuwerten. Und zuallererst wendet sich dieses aus Hilflosigkeit geborene Wir – das ist das Paradox dabei – gegen die als schwächer identifizierten Mitglieder der Gesellschaft. Hier findet man die frühen Feindbilder des Faschismus alle beisammen: Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle usw.

Und die Leipziger Soziologen sehen eine Parallele. Der Umbruch von 1918, in dem das autoritäre Kaiserreich von der ersten deutschen Demokratie abgelöst wurde, ähnelt jenem Umbruch, den DDR-Bürger 1989/1990 erlebten, als eine ebenfalls im Kern autoritäre Gesellschaft praktisch über Nacht abgeschafft wurde. Auch da funktionierten die alten Belohnungsmechanismen auf einmal nicht mehr, für die ganze Jahrgänge in der DDR eigentlich sozialisiert worden waren. “Gar nicht mal so sehr in der Familie, da war es eher anders”, stellt Oliver Decker fest. “Aber alle wichtigen Instanzen in der DDR waren autoritär ausgerichtet.”Was natürlich bedeutet, dass der auf einmal aufflackernde Rechtsextremismus im Osten eher nichts mit einem “falschen Antifaschismus” in der DDR zu tun hatte, sondern eine fast erwartbare Reaktion gerade von verunsicherten jüngeren Leute war, deren Sozialisation in der DDR nun auf einmal in Frustration und Verunsicherung mündete.

Nicht bei allen jungen Leuten, das betonen die Leipziger Forscher. Aber die signifikant erhöhten Prozentanteile von jungen Menschen mit manifestem rechtsextremem Weltbild erzählen von diesem Umbruch und seinen Folgen, die mit kurzfristigen Aktionen nicht zu “bekämpfen” sind.

Denn die Art, wie jemand sozialisiert wird, prägt ihn fürs Leben. Was in der Bundesrepublik schon seit Jahrzehnten auch statistisch nachweisbar ist. Mit den zwischen 1941 und 1950 geborenen Jahrgängen beginnt der Prozentsatz derer, die ein manifest rechtsextremes Weltbild haben, mit den älteren Jahrgängen deutlich zu steigen und erreicht bei den vor 1930 Geborenen Werte von über 16 Prozent. “Das sind nur die Einstellungen, nicht die Handlungen”, betont Oliver Decker, der bei der Vorstellung der Studie am Montag, 25. März, auch den erkrankten Elmar Brähler vertrat.

Was eben auch bedeutet, dass man diese Einstellungen eben nicht nur bei den Hardcore-Rechtsextremen findet, die auch bereit sind, sie in die Tat umzusetzen, sondern bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Und besonders ausgeprägt eben auch bei Wählern von CDU und SPD. Was einiges an der jüngsten deutschen Politik erklärt. Auch die Erfolge, die diverse Basta!-Kanzler zeitweise haben.

Denn selbst nur den Umbruch von 1989/1990 zu betrachten, wäre falsch. “Umbrüche gibt es eigentlich immer”, sagt Fritsche. Und einige der Einzel-Dimensionen, die die Soziologen dem rechtsextremen Weltbild zurechnen, zeigen im Lauf der Jahre auch Schwankungen. Krisenzeiten – wie die 2008 zum Ausbruch gekommene Finanzkrise – sorgen offensichtlich dafür, dass gerade die Menschen, die sowieso schon zu rechtsextremen Einstellungen neigen, verstärkt auch deren Einzel-Dimensionen vertreten. So etwa die “Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur” oder Ausländerfeindlichkeit. Und ebenso auffällig ist, dass gerade die von großen Umbrüchen geprägten Generationen verstärkt zu diesen Einstellungsmustern tendieren.

Was Folgen hat. Für die Demokratie und den Umgang mit dem Phänomen Rechtsextremismus. Aber dazu morgen mehr an dieser Stelle.

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