Seit Jahren zeigen die von der Arbeitsgruppe um Prof. Elmar Brähler und Dr. Oliver Decker vorgestellten Studien, dass rechtsextreme Einstellungen kein Privileg einer gewaltbereiten Minderheit sind, jener Leute etwa, die bei Wahlen ihr Kreuz gern bei einer rechtsextremen Partei machen oder zu diversen Neonazi-Demonstrationen auflaufen. Rechtsextreme Einstellungen sind bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein verankert. Und es gibt eine "Einstiegsdroge", wie Elmar Brähler es nennt: die Ausländerfeindlichkeit.

Denn jene sechs Dimensionen, die die Forscher als Einstellungsmuster und Bestandteil rechtsextremer Weltbilder ausgemacht haben, sind in größeren Teilen der Gesellschaft nachweisbar. Sie haben mit der Sozialisation, der Bildung und den Krisenerfahrungen der Betroffenen zu tun. Gesellschaftliche Umbrüche spielen eine eminente Rolle. “Aber es sind erst einmal nur Einstellungen”, betont Oliver Decker. Sie führen noch nicht zu Handlungen. Sie bestimmen aber gesellschaftliche Diskurse, tauchen auch aus unerwarteter Richtung auf – wie in Leipzig 2012 in der Asyldebatte erlebt.

Die Einstellungen sind mit Ängsten unterlegt – und die Ängste können durch neue Krisen geschürt und verstärkt werden. Gerade in jenen Jahrgängen, in denen ein manifestes rechtsextremes Weltbild schon verankert ist.

Das konnten die bundesdeutschen Soziologen bis 1990 sehr gut anhand der Altersgruppen beobachten – jene Jahrgänge, die vor 1930 sozialisiert wurden, wiesen einen im Vergleich besonders hohen Prozentsatz von Menschen mit rechtsextremem Weltbild auf. Noch in den seit 2002 durchgeführten Studien der Leipziger Sozialpsychologen ragen diese Jahrgänge mit 16,5 Prozent Anteil besonders hervor – in Westdeutschland. Der ostdeutsche Wert liegt in dieser Alterskohorte mit 9 Prozent deutlich niedriger.

Bei den 1931 bis 1940 Geborenen liegen die beiden Werte schon näher beieinander – 12,9 und 10,3 Prozent. Was auch in Teilen mit einem anderen Effekt zu tun hat: Mit zunehmendem Alter werden Menschen ängstlicher und konservativer. Teilweise greifen sie dann auf die angelernten Interpretationsmuster zurück.

Je jünger die Jahrgänge, um so geringer wird der Anteil derer, die ein manifestes rechtsextremes Weltbild haben. In den westlichen Bundesländern sinkt dieser Anteil auf rund 5 Prozent bei denen, die heute jünger als 31 Jahre sind. Aber die Zusammenfassung der Studienergebnisse über alle zehn Jahre macht auch sichtbar, dass der Umbruch von 1989/1990 deutliche Auswirkungen auf die Einstellungsmuster in Ostdeutschland hatte.Bei den bis 1970 Geborenen sind die ostdeutschen Werte denen der befragten Westdeutschen recht ähnlich. Da liegt der Anteil der Personen mit rechtsextremen Weltbildern bei 7 bis 8 Prozent. Doch während dieser Anteil im Westen mit den jüngeren Jahrgängen weiter sinkt, springt er im Osten mit der Alterskohorte der 30- bis 40-Jährigen auf 10 Prozent. Das sind die Jahrgänge, zu denen auch die drei Mitglieder der Terrorzelle “NSU” gehörten.

Und dass deren Taten so lange unentdeckt bleiben konnten, hat nicht nur mit der Unfähigkeit der Ermittler und echten Ermittlungspannen zu tun, sondern auch mit einer Blindheit vieler Ermittler für das Phänomen Rechtsextremismus. Man hat die Morde nicht als rechtsextrem eingestuft, sondern lieber das Umfeld der Ermordeten kriminalisiert. Da passten dann auf einmal die Raster zum Thema “Ausländer”. Auch Polizisten sind davor nicht qua Amt gefeit.

Eben weil viele Einstellungen, die zum Kern rechtsextremer Haltungen gehören, auch in arrivierten Teilen der Gesellschaft latent sind und – man denke nur an die Kampagne eines Thilo Sarrazin – auch von scheinbar demokratischen Politikern bewusst bedient werden. Man denke auch an die Kampagne des einstigen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.

Den Politikern ist oft sehr wohl bewusst, dass sie hier mit der Verunsicherung weiter Bevölkerungsteile spielen. Und dabei fungiert die Angst vor Ausländern, wie Brähler bemerkt, eben nicht nur als Einstiegsdroge, sondern auch als kalkulierte Grenzverletzung. Mancher Politiker testet so aus, wie weit er gehen kann, um Stimmung für sich zu machen. Dabei müssen die Ängste nicht einmal mit echten Erfahrungen untersetzt sein. Was die Umfragen der Leipziger Forscher etwa beim Thema Ausländerfeindlichkeit belegen. Im Westen der Republik sinkt der Anteil derjenigen, die Ausländerfeindlichkeit gut heißen, mit den Jahrgängen von knapp 33 Prozent auf etwas über 18 Prozent. Im Osten aber liegen die Werte mit den 80-Jährigen beginnend allesamt deutlich über den Werten im Westen. – Auch bei den unter 30-Jährigen liegen sie noch bei über 30 Prozent, obwohl die meisten Ostdeutschen überhaupt keine Kontakte zu Ausländern haben. Das Unbekannte macht Angst, nicht das Bekannte.

Die hohen Prozentwerte sprechen aber auch für die These von der “Einstiegsdroge”. Für die anderen Dimensionen des Rechtsextremismus sind die prozentualen Zustimmungswerte deutlich geringer. Aber auch hier wird das Ost-West-Gefälle sichtbar. Während im Osten die Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur auch in den jüngeren Jahrgängen bei 6 bis 7 Prozent der Befragten Zustimmung findet, sind es im Westen eher 3 bis 4 Prozent. Oft scheinen die Befragten die Maskerade rechtsextremer Einstellungen nicht mit dem Kern zusammen zu sehen. Der dann eher in der Dimension “Verharmlosung des Nationalsozialismus” auftaucht. Und während die älteren Ostdeutschen von 50 bis 70 Jahren hier nur mit Werten im 1-Prozent-Bereich auftauchen, liegt der Wert im Westen bei diesen Jahrgängen bei 4 Prozent. Bei den jüngeren Jahrgängen gleichen sich beide Landeshälften wieder an – bei 3 Prozent hüben wie drüben. Das ist das wirklich harte Wählerpotenzial rechtsextremer Parteien, während Leute mit manifestem rechtsextremem Weltbild sich – bei den geeigneten Angeboten und Leitfiguren – auch bei den großen Volksparteien gut aufgehoben fühlen.

Und entsprechend verführbar sind, wenn die Gesellschaft wieder einmal in Alarmstimmung ist. So schnellten mit dem Ausbruch der Finanzkrise auch die Aussagen zu Ausländerfeindlichkeit oder Befürwortung der Diktatur in die Höhe.

Die Studie der Leipziger Sozialforscher erlaubt einen Blick ins gesellschaftliche Unterbewusstsein. Und damit auch in die Grundfesten der Demokratie – die so fest nicht sind. Denn Demokratie macht Arbeit, sie fordert von ihren Bürgern mehr Partizipation und Engagement als jede Diktatur. Und auch auf das Debakel der Piraten haben die Forscher eine Antwort. Oder zumindest einen Erklärungsansatz.

Mehr dazu morgen an dieser Stelle.

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