Eigentlich stehen sie im Jahr 2013 allesamt nackt im Wind, all die Ökonomen der neoliberalen Schule. Es sieht zwar oft wie Wissenschaft aus, was sie daherreden. Und meist hat es hochtrabende englische Titel. So wie "New Public Management (NPM)". Nur praxistauglich ist der ganze Unfug nicht. Und weil er das mal wieder sehr deutlich zeigte, bekam Dr. Alexander Kroll am 4. Februar den Goerdeler-Preis der Stadt Leipzig.
Und auch Berthold Goerdeler, Enkel des berühmten Leipziger OBM, den die Nazis am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzensee umbrachten, ist sich sicher: Auch Carl Goerdeler hätte der Dissertation von Dr. Alexander Kroll den Preis zugesprochen. Kroll ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Public & Nonprofit Management an der Universität Potsdam und hat seiner Doktorarbeit, für die er im letzten Jahr summa cum laude bekam, drei Jahre Arbeit gewidmet. Er hat 28 Fragen formuliert und an 954 Städte und Verwaltungsbezirke verschickt – zu Händen der Amtsleiter vor Ort. Und er bekam von 30 Prozent der Angeschriebenen eine Antwort. Das nennt man Futter.
Das starke Echo kann auch einen guten Grund haben: Er hat ein heißes Eisen angepackt. Auch auf seiner Uni-Homepage steht ganz trocken: “Alex Kroll interessiert sich für Theorien, die erklären, inwieweit das Verhalten von Führungskräften einen Unterschied für die Arbeit ihrer Behörden ausmachen kann.”
Und die große Fragestellung, die über allem schwebte: Warum funktioniert das hoch gelobte Steuerungsinstrument “New Public Management (NPM)” eigentlich nicht? Die Bundesrepublik hat zwar etwas gezögert, es einzuführen, nachdem vor allem die Vorreiter der neoliberalen Verwaltungsreformen – die USA und Großbritannien – schon seit den 1980er Jahren begannen, die Manager in den Verwaltungen immer mehr wie Geschäftsführer von Unternehmen oder Filialen agieren zu lassen.
In Deutschland wurde das Ding – nach kontroversen Diskussionen in den 1990er Jahren – nach der Jahrtausendwende nach und nach eingeführt. Der Wikipedia-Artikel fasst das Wesentliche unter den drei Schlagworten “Outputorientierung, dezentrale Ressourcenverantwortung und Kontraktmanagement” zusammen. Am Wesentlichen hat sich nichts geändert: Der Sinn war und ist, Verwaltung wie ein auf Output orientiertes Unternehmen zu führen. Gekoppelt wurde das Ganze mit der Umstellung von der alten kameralistischen Rechnungsführung auf die kaufmännische doppelte Rechnungsführung, kurz Doppik genannt.
In aller Nacktheit steht da das Denken von Leuten, die glauben, man könne Politik machen wie man ein Unternehmen führt. Und nicht nur die Wissenschaftler wundern sich, dass das in der Praxis nicht funktioniert.
Dr. Alexander Kroll ging ganz ohne Vorurteile an die Sache. Er wollte einfach herausfinden, warum es nicht funktioniert, fragte die Amtsleiter eben nicht nur, wie die Verwaltungsmanager mit Daten, Fakten und Zielvorgaben umgingen oder über die Effekte ihrer Leitungsarbeit Bericht erstatten. Er stellte auch etliche Fragen zum persönlichen Umfeld und zur persönlichen Einstellung. Und die wichtigste Frage ließ er einfach stehen. Was nicht nur Berthold Goerdeler, der am Montag, 4. Februar, im Namen der Carl und Anneliese Goerdeler-Stiftung sprach, sondern auch Oberbürgermeister Burkhard Jung faszinierte.
Die Arbeit ist auf Englisch verfasst. So können sie auch all die Leute in den angelsächsischen Ländern lesen, die nun mittlerweile mit den Kollateralschäden der Thatcherschen und Reaganschen Wirtschafts- und Verwaltungsreformen zu tun haben. “Why Public Managers Use Performance Information – Concepts, Theory and Empirial Analysis”.
Zu deutsch: “Warum nutzen Manager der öffentlichen Verwaltung Zielvorgaben?” – Normalerweise – so sieht es auch Berthold Goerdeler – steht dann auf dem Titelblatt so einer Arbeit eher die Antwort, nicht die Frage. Aber in diesem Fall fand er auch die stehengelassene Frage faszinierend. Denn ein zentrales Ergebnis der Studie ist am Ende: Die ganzen Zielvorgaben, der ganze Versuch, Verwaltung mit Input und Output führen zu wollen als ginge es um die Produktion von Gummistiefeln, schafft tatsächlich weder Effekte noch die großmäulig versprochenen Einsparungen. Es erhöht nicht einmal die Einsatzbereitschaft und Einsatzfreude der Verwaltungsangestellten.
Es verbessert auch die Zielerreichung nicht – eben weil Verwaltung nichts produziert. Nichts im wirtschaftlichen Sinn. Viel wichtiger, so liest es auch Burkhard Jung aus der Dissertation, sind Motivation, Emotion und persönliche Einstellung des Amtsleiters zu dem, was er tut. Man kann es sogar ganz kurz sagen wie Jung: “Es geht um Menschen.” Es geht nicht nur um das nüchterne Erreichen irgendwelcher Zielvorgaben. “Wir dürfen die menschliche Dimension nicht aus dem Blick verlieren.”Was wohl auch bedeutet (an diesem Tag der feierlichen Preisverleihung aber so nicht gesagt wurde), dass auch die Manager in der Verwaltung emotional hinter dem stehen müssen, was sie tun. Man kann sie nicht einfach wie Kontrolleure am Fließband behandeln. Denn auch sie haben wieder mit Menschen zu tun – den ihnen unterstellten Sacharbeitern und erst recht den Bürgern, in deren Sinn sie arbeiten müssen. Und wohl auch gern arbeiten, wenn sie wissen, warum sie es tun.
Kroll in seiner kurzen Dankesrede deutete zumindest an, dass man auch in den angelsächsischen Ländern mittlerweile wieder über Sinn und Unsinn des “New Public Management” diskutiert. “Das Thema ist wieder aktuell”, sagt er.
Sogar in einem sehr alten Sinn, wie Berthold Goerdeler in seiner Laudatio genussvoll ausführte. Denn in der Fragestellung steckt die uralte philosophische Debatte zwischen David Hume und Immanuel Kant. David Hume steht für Goerdeler als großer Skeptiker fast vorbildhaft da. “Der Vernunft räumte Hume fast gar keine Chancen ein”, so Goerdeler. “Menschliches Handeln wird im Wesentlichen getragen von Emotion, Gefühlen und Affekten. Die Vernunft ist nichts als ihr Sklave.”
Wer sich umschaut in der Welt, weiß: Es ist oft genug so. Die Vernunft wird allerorten von überschäumenden Emotionen einfach weggeschwemmt.
Dagegen polemisierte Kant mit seiner “Kritik der reinen Vernunft” und setzte den Willen als Ausgleich dagegen, den so viel bejubelten “kategorischen Imperativ”. Im besten Fall sind Emotion und Wille im Gleichgewicht – dann hat die Vernunft eine Chance.
Und so betrachtet ist die Fixierung auf Kennzahlen im Rahmen der “Neuen Steuerung” der Versuch, lediglich den Willen zur Normerfüllung zum Postulat zu machen. Ohne jede Emotionen. Da bleibt von der (Selbst-)Motivation der Amtsleiter nicht viel übrig.
Verständlich also, dass viele sich animiert fühlten, Krolls ausführlichen Fragebogen auszufüllen. Es ist wie ein Lebenszeichen aus den ausgekühlten Trakten der Verwaltungen: Wir sind auch nur Menschen! Behandelt uns bitte auch so!
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Ob diese Dissertation, die auch Burkhard Jung jedem ans Herz legt zu lesen, tatsächlich zu Änderungen führt und den technischen Steuerungsinstrumenten der Thatcher-Ära ein Ende bereitet, ist natürlich völlig offen. Aber Fakt ist: So kann man keine Verwaltung führen. Ob es Burkhard Jung im Leipziger Rathaus besser macht, werden die dortigen Amtsleiterinnen und Amtsleiter wissen.
Aber er sieht Carl Goederler auf ähnlichen Feldern ackern – einen Verwaltungsfachmann, der über den Zielstellungen in seiner Arbeit nicht vergessen wollte, dass er es in seinem Rathaus mit Menschen zu tun hatte.
Es war übrigens schon der 15. Kommunalwissenschaftliche Preis der Carl und Anneliese Goerdeler-Stiftung, der am 4. Februar an Dr. Alexander Kroll vergeben wurde. Der erste Preis wurde 2000 verliehen. Betreut wurde die Auswahl in Frage kommender Dissertationen aus dem Bereich der öffentlichen Verwaltung wieder vom Institut für den öffentlichen Sektor. Acht hochkarätige Wissenschaftler saßen in der Jury – darunter auch zwei von der Uni Leipzig. Sie hatten diesmal die Doktorarbeiten von elf Bewerbern zu lesen. “Und jede dieser Arbeiten wäre es wert gewesen, hier vorgestellt zu werden”, sagte Berthold Goerdeler am Montag.
Die Uni-Homepage von Dr. Alexander Kroll: www.uni-potsdam.de/u/ls_puma/index.php?article_id=76
Die neoliberalen Grundlagen von NPM: http://de.wikipedia.org/wiki/New_Public_Management
Die Umsetzung als NSM in Deutschland: http://de.wikipedia.org/wiki/Neues_Steuerungsmodell
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