Die von CDU und Linken beantragten Bürgerentscheide zum Leipziger Einheits- und Freiheitsdenkmal sind zwar vom Tisch, der Stadtrat votierte dagegen, sie gemeinsam mit der OB-Wahl zu veranstalten. Denn sie hätten das Grundproblem nicht gelöst: das der Akzeptanz. Die hängt nun einmal nicht davon ab, ob Bürger über ihnen vorgesetzte Entwürfe abstimmen dürfen. Ein Denkmal ist etwas anderes als ein Gebäudeentwurf.

Es soll die Herzen ansprechen. Es soll die lebenden und die künftigen Generationen ansprechen. Und zwar emotional. Doch schon die Initiatoren der Denkmalsidee haben das gesamte Projekt überfrachtet, haben die Deutsche Einheit und die große Vision gesellschaftlicher Freiheit in eine Worthülse gesteckt, obwohl beides nichts miteinander zu tun hat. Es sind Ideen auf völlig unterschiedlichen Ebenen. Die Deutsche Einheit ist nur eine politische Folge des Willens der Ostdeutschen, sich ihre Freiheit zu erstreiten. Sie gehören nicht auf eine Ebene. Und sie sprechen völlig unterschiedliche historische Leitbilder an.

Mal ganz zu schweigen davon, dass Freiheit immer ein gefährdetes Gut ist, dass es sie als endgültige “Errungenschaft” nicht gibt.

Und die deutsche Einheit hätte auch ganz anders aussehen können, nicht so bräsig nach den Vorstellungen Helmut Kohls. Sie hätte durchaus auch mit einer Komplettreform des Westens einhergehen können. Eine Abstimmung über eine gemeinsame Verfassung wäre eigentlich das Mindeste gewesen. Politisch war diese Einheit nicht wirklich eine – sie begrüßte die beitretenden Bürger der “neuen Bundesländer” nicht auf Augenhöhe. Da wäre mehr drin gewesen.

Auch deshalb verloren sich viele der Wettbewerbsentwürfe – für das Berliner genauso wie das Leipziger Denkmal – im Unverbindlichen. Nur ja nicht prägnant werden. Nur ja kein Zeichen setzen.

325 Bewerbungen aus 31 Ländern gingen im ersten Wettbewerbsschritt in Leipzig ein. Eine Jury wählte daraus 41 Bewerber aus, die ihre Entwürfe ausarbeiten durften. Die Leipziger erfuhren erst im Sommer 2012, was die Jury da ausgewählt hatte und was dann in der zweiten Phase preisgekürt wurde. Es war, als ließe man aus einem Ballon die Luft heraus. Es war, als hätte gar kein Wettbewerb stattgefunden, als hätte sich kein einziger Teilnehmer animiert gefühlt, wirklich ein eindruck-machendes Denkmal zu entwerfen.

Kann man das Ganze stoppen und auf Null setzen? – Natürlich kann man. Niemand zwingt die Leipziger, ihr Denkmal unbedingt zum 25. Jahrestag des Herbstes 1989 fertig zu haben und mit feierlichen Reden einzuweihen. Niemand zwingt sie, das Nicht-Beeindruckende, das die Jury so preiswürdig fand, auch zu bauen. Auch nicht für die zugesagten 6,5 Millionen Euro von Bund und Land, die einigen Leuten augenscheinlich jede Urteilskraft rauben.

Niemand zwingt sie, den Wettbewerb auf der Kinderspielplatz-Ebene zu wiederholen, auf dem der Wettbewerb beim ersten Versuch stattfand. Außer vielleicht die Eitelkeit des ein oder anderen “Machers” in dieser Ich-setz-mir-ein-Denkmal-Geschichte.

“Wir rufen die Initiativgeber der Stadt daher auf, die bisherigen Pläne zu überdenken und eine dem Anlass würdige Entsprechung zu diskutieren”, erklären jetzt Bernd E. Gengelbach, Co-Direktor und technischer Leiter euro-scene Leipzig, der Hallenser Designer Till Brömme und der Leipziger Musiker Enno Seifried. Sie haben sich hingesetzt und einen Denkmalsentwurf gemacht, wie sie sich so eine komplexe Erinnerung an den Herbst 1989 vorstellen. Auch sie stellen – wie einige der Teilnehmer am Wettbewerb – den ganz speziellen Leipziger Ruf “Wir sind das Volk” in den Mittelpunkt. Der Folgen hat und zu Folgerungen zwingt.

Erst recht, wenn man dem Volk nicht gleich diesen bunten Spaß- und Harmoniecharakter zuweist. Das Volk ist nicht harmonisch und auch nicht so harmoniesüchtig, wie es das deutsche Abendprogramm gern darstellt.Die Grundidee stammt von Bernd Gengelbach – Till Brömme hat das Ganze grafisch umgesetzt.

Im Zentrum steht ein nach Ost und West offener Betonbau, eher eine Betonschale, die von Weitem die Konturen eines Barackengiebels hat. Man sieht: Es ist gar nicht so einfach, von den finsteren Symbolen der überwundenen Diktatur wegzukommen. Was aber typisch ist: Auch das ist eine Art Unfreiheit – die neu gewonnenen Freiheiten nur messen zu können, indem man sie an den überwundenen Unfreiheiten misst. Aber wer sich erinnert: Auch in der Finalphase des Wettbewerbs wimmelte es von Betonmauern, Grenzlampen, Funkmasten. Man ging durch die Ausstellung der Modelle – und hatte die ganze Zeit das bedrückende Gefühl: Da bekommen wir den ganzen abgewrackten Bembel wieder hingestellt.

Künstler als Oberlehrer? Belehrung statt Faszination? Das kann nicht funktionieren.

Gengelbach und Brömme haben zumindest das Inwendige ihres Denkmals nicht belehrend gedacht. Denn hier begegnen sich die Betrachter selbst. Ein überdimensionaler Spiegel ist innerhalb der Betonschalen montiert, auf dem die Inschrift eingraviert ist: Wir sind das Volk.

Und wen sieht man? Sich selbst. Vielleicht in Gesellschaft zufälliger Mit-Besucher. Vielleicht auch in Gesellschaft seltsamer Zeitgenossen … das ganze bunte Leben. Und sich selbst.

Wie es aussieht, kann sich jeder auf der Website anschauen, die die drei angelegt haben.

“Leipziger Bürgerinnen und Bürger diskutieren unverändert über das Einheitsdenkmal zur Friedlichen Revolution vom Herbst 1989. Die Würdigung dieses Gesellschaftsumbruchs – der historisch gesehen eine der wenigen gewaltfreien Staatsänderungen der Weltgeschichte ist – berührt die Lebensgeschichten aller Menschen des Landes, so auch die unsrigen”, sagt Gengelbach. “Leipzig steht für kreative Vielfalt wie auch kritische Offenheit. Die höchste Priorität bei der Entscheidungsfindung sollte ‘der Gedanke vom Herbst 1989’ haben: Die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt müssen dahinter stehen! Die Diskussion über Entwürfe für das geplante Einheitsdenkmal hat uns als Leipziger Bürger (und Nicht-Architekten) dazu bewegt, einen weiteren Vorschlag zu machen.”

Vielleicht sollte es tatsächlich so beginnen, wenn denn schon Oberbürgermeister Burkhard Jung immer wieder betont, dass ihm die Verankerung des Denkmals in der Bürgerschaft sehr wichtig ist. Nicht mit einer Werkstattphase mit geladenen Jugendlichen und ausgewählten Experten und dann einer Ausschreibung, die die Quadratur des Kreises zum künstlerischen Maßstab macht.

Vielleicht sollte es damit anfangen, dass Ideen gesammelt werden. Von Leipzigern, von Künstlern, die sich wirklich angestachelt fühlen, ein Denkmal zu schaffen, das wirklich die Sinne anspricht und die Herzen. Die wirklich ein Denkmal wollen, das es so nur in Leipzig geben kann.

Und wenn man weiß, was es für ein Denkmal werden könnte, dann kann man sich um den Platz kümmern.

Florian Mausbach, der im Januar mit einem Offenen Brief an OBM und Fraktionen (die allesamt bis heute nicht reagiert haben), den Leipziger Wettbewerb für gescheitert erklärt hat, war übrigens Mitglied der Expertenkommission, die den Rahmen für den Leipziger Wettbewerb definierte. Die Sache mit dem ausufernden Platz war da noch nicht im Paket, das wurde erst später hineingedichtet.

“Der Stadtrat soll voraussichtlich im Juli 2013 über die Beauftragung der Verwaltung mit dem Verhandlungsverfahren entscheiden, in dessen Ergebnis einer der Preisträger mit der Denkmalsrealisierung beauftragt werden soll”, heißt es derzeit noch auf der Seite der Stadtverwaltung. Die Vorfreude könnte nicht größer sein.

Die Informationen der Stadt zum Wettbewerb: www.leipzig.de/de/buerger/politik/denkmal/

Der Entwurf von Gengelmann und Brömme: www.einheitsdenkmal-leipzig.de

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