"Da gibt es eigentlich gar nichts zu feiern", sagt Dr. Volker Rodekamp über das Leipziger Völkerschlacht-Doppeljubiläum. Stattdessen müsse es um Gedenken und Erinnern gehen, unterstrich der Leiter des Stadtgeschichtlichen Museums bei einem Gesprächsabend der evangelischen Thomasgemeinde. Die Bundesregierung ziert sich, offizielle Vertreter zu schicken.
Leipzig, seine Denkmäler und die Bundesregierung. Das ist so eine besondere Beziehungskiste. Für einen Zwilling des Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmals an der Pleiße gibt es Geld vom Bund. Aber die Umsetzung des Projektes in der Heldenstadt von 1989 zieht sich hin.
In die Sanierung des Leipziger Völkerschlachtdenkmals sind nach 1990 inzwischen etwa 26 Millionen Euro zumeist städtischen Geldes geflossen. Mit vielen Veranstaltungen wollen Leipzig, die angrenzenden Landkreise und der Freistaat Sachsen zwischen Mai und Oktober/ November 2013 “eine europäische Geschichte” erzählen. Los geht es, zeitlich nah an den diesjährigen Wagner-Feierlichkeiten, mit einem “Großen Jubiläumsbürgerfest am Völkerschlachtdenkmal” am 25. Mai 2013.
Von der Bundesregierung gibt es bislang keine Zusage auf Entsendung eines offiziellen Vertreters zu dem Jubiläumszyklus. Das hat Folgen. Denn für die internationale Diplomatie gelten strenge protokollarische Regeln. Ausländische Regierungsvertreter können nur von deutschen Regierungsvertretern eingeladen werden. Und die Leipziger Termine sind für diplomatische Terminabsprachen schon recht nahe.
So dürften die an der Schlacht im Oktober 1813 beteiligten Nationen maximal von ihren Botschaftern vertreten sein. Dass Tschechiens amtierender Außenminister Karel Schwarzenberg, der sich gerade um das Präsidentenamt in unserem südlichen Nachbarland bemüht, unbedingt kommen will, hat einzig familiengeschichtliche Gründe. Seine Vorfahr Karl Philipp zu Schwarzenberg befehligte 1813 während der Leipziger Schlacht die Truppen der anti-napoleonischen Allianz und verstarb allhier sieben Jahre darauf.
Diese, wenn man so will, offene Flanke des Jubiläumsgeschehens soll wohl dessen Schirmherr Martin Schulz abdecken. Der ist zum einen ein deutscher Politiker und zum anderen seit 2012 Präsident des Europäischen Parlaments. Ein Amt, das mit den letzten EU-Reformen weiter an diplomatischem Status gewonnen hat.
Doch das löst die folgende Frage nicht: nämlich die, ob oder inwieweit auf Bundesebene eine Idee davon vorhanden ist, wie Völkerschlacht und Denkmal in die nationale Erinnerungskultur aus heutiger Sicht integriert werden können.Das Grauen der Schlacht markieren
Genau diese Frage stellen jenseits aller Jubiläums-Marketingaktivitäten auch Menschen in Leipzig. Beispielsweise evangelische Christen der Thomasgemeinde im Stadtzentrum. Sie widmeten sich am Montag dieser Woche beim ihrem Offenen Gesprächsabend der Frage “200 Jahre Völkerschlacht – was soll gefeiert werden?”
“Da gibt es eigentlich gar nichts zu feiern, aber es gibt viel zu erinnern, was uns nachdenklich stimmen sollte”, stellte Gesprächspartner Dr. Volker Rodekamp klar. Man wolle stattdessen das Grauen der Schlacht markieren und auf deren schreckliche Folgen für die Stadt in den Wochen nach den Kämpfen hinweisen, betonte der Leiter des Stadtgeschichtlichen Museums. So starben zwei Drittel der Opfer der Schlacht erst nach Beendigung der Kämpfe, die Stadt sei ein einziges Totenlager gewesen.
“Eine nachdenkliche Stadt” wünscht sich Rodekamp zu den Tagen in diesem Oktober. Dies zu erreichen, nannte Rodekamp “eine große Herausforderung”. Leipzig und die Leipziger sollten “eine klare Haltung” einnehmen, die Leipzig auch rund um das Doppeljubiläum als Stadt der Friedlichen Revolution, als offene Stadt, als Stadt der Versöhnung erkennen lasse.
Das Denkmal demokratisch umarmenDas Jubiläumsprogramm, das nun vorliegt, betone diese reflektierende Sicht, unterstrich Rodekamp. Es gehe um gemeinsame Erinnerung in Europa und um die Botschaft des Friedens.
Rodekamp traf den Ton des Publikums im Gemeindesaal. Doch die öffentliche Werbung für das Jubiläum setze andere Zeichen, wurde kritisch angemerkt. “Ich bin ein Stück weit besorgt, dass die Leitidee so transportiert wird, dass sie verstanden wird”, räumte Rodekamp ein. Die Bemühungen, aus dem Jubiläum “ein marktfähiges Produkt” zu machen, hält er “für in Teilen pervers”.
Der kommunikative Mega-GAU wäre für ihn, wenn im Oktober “einige Glatzen vor dem Denkmal mit schwarz-weiß-roten Fahnen rumwedeln”.
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Doch an dem Denkmal komme man in Leipzig nun einmal nicht vorbei, befand der Museumsleiter. Der Koloss spiegele den hypertrophen Nationalismus der wilhelminischen Ära, die nur kurz nach der Denkmalsweihe in den Ersten Weltkrieg abgeglitten sei, hob der promovierte Historiker Rodekamp hervor.
Ganz bewusst habe das Denkmal eine Höhe von 81 Metern erhalten, so Rodekamp weiter. Damit überrage es nach seinen Worten die Freiheitsstatue vor New York um genau einen Meter. Jenes weltbekannte, 1886 eingeweihte Bauwerk hatte die Dritte Französische Republik den Vereinigten Staaten geschenkt.
Diesem Hinweis Rodekamps folgend, wird das Völkerschlachtdenkmal zur steinernen Gegenthese von Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit. Auf die Ideale von 1789 gründet das heutige Europa. Diese Ideale wurden 1989 auf den Straßen Leipzigs erfolgreich eingeklagt. So bleibt es in der Tat eine große Herausforderung, das Denkmal demokratisch zu umarmen, wie es Rodekamp formulierte.
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