"Der Holocaust war nicht weit weg, sondern auch in unmittelbarer Nachbarschaft", sagt Katrin Henzel. Deshalb engagiert sie sich in der Geschichtswerkstatt Flößberg. Die Initiative erinnert an das Leiden jüdischer Zwangsarbeiter in dem Lager südlich von Leipzig. Sie sollten für die Leipziger Firma HASAG Panzerfäuste für die Wehrmacht fertigen.
Es gibt Fernsehsendungen, die sendet das beitragsfinanzierte öffentlich-rechtliche Fernsehen zur Primetime. Und es gibt Sendungen, die werden in den Randzeiten des Programms platziert.
Die Dokumentation “KZ-Geschäfte. Buchenwald und die Außenlager” der Filmemacherin Dr. Ute Gebhardt strahlte das MDR Fernsehen am letzten Ewigkeitssonntag, 25. November 2012, um 23:45 Uhr aus.
“Am Ende des Krieges hatte Buchenwald 136 Außenlager, die das Land wie ein Spinnennetz überzogen”, hieß es in der Programmankündigung, “es gab kaum noch Regionen, in denen nicht ein oder mehrere vorhanden waren.”
Eine der Schlusssätze der Dokumentation lautete deshalb: Wegen der Anzahl und Dichte der Außenlager konnte das KZ-System keinem Zeitgenossen mehr verborgen bleiben. Dennoch wurde “Wir haben von all dem nichts gewusst” zur stereotypen Entlastungsfloskel vieler Deutscher in der Nachkriegszeit.
Dieser kollektiven Amnesie treten an vielen Orten in Deutschland engagierte Initiativen entgegen. Zu ihnen zählt seit 2005 die Geschichtswerkstatt Flößberg e.V. im Leipziger Südraum. Auch hier, im Weichbild der Stadt Frohburg, entstand im Oktober 1944 ein Außenlager des KZ Buchenwald.
“60 Jahre Befreiung und eine dahingehende Sensibilisierung sowie der Kontakt zu einem Überlebenden” nennt Katrin Henzel gegenüber L-IZ als Anstoß für die Flößberger Initiative. “Die Begegnungen und Gespräche mit Überlebenden und Angehörigen haben sehr geprägt und motiviert”, so Katrin Henzel weiter.Geplantes Werk für Panzerfäuste
“Buchenwald als Wirtschaftsfaktor” lautete der Untertitel besagter MDR-Dokumentation. Und genau darum sollte es auch in Flößberg gehen. Jüdische KZ-Häftlinge sollten hier als Zwangsarbeiter Panzerfäuste für die Leipziger Hugo Schneider AG, kurz HASAG, fertigen.
“Ende Februar [1945] erreicht die Häftlingszahl ihren Höhepunkt”, haben die Aktivisten der Geschichtswerkstatt herausgefunden, “insgesamt drängen sich nun 1450 Menschen in den acht Häftlingsbaracken.” Es handelt sich vor allem um Männer, die aus Polen und Ungarn in das Lager verschleppt worden waren.
Zu diesem Zeitpunkt war die Produktionshalle fertig gestellt. Doch ein alliierter Luftangriff am 5. März 1945 zerstörte sie umgehend. “Es bleibt unklar, ob jemals eine fertige Panzerfaust das Flößberger Lager verlassen hat”, haben die Recherchen ergeben. Am 13. April 1945 wurde das Lager von der SS geschlossen. Wenig später befreiten US-Soldaten die Gegend.
Nach Recherchen der Geschichtswerkstatt starben mindestens 235 Menschen im Flößberger Lager. Auf dem Leipziger Ostfriedhof fanden einige von ihnen ihre letzte Ruhestätte, andere beispielsweise auf einem Bornaer Friedhof.
Zu DDR-Zeiten wurde ein Gedenkstein mit der Aufschrift “Die Toten mahnen” auf dem Gelände errichtet. Die Geschichtswerkstatt hat den Opfern Namen und damit Individualität zurückgegeben.
Aktives Zeichen gegen Schlussstrichdebatte
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Mit den Bemühungen wolle man “gegen die so genannte Schlussstrichdebatte ein aktives Zeichen setzen”, sieht Katrin Henzel als das Motiv der Initiative. “Der Holocaust war nicht weit weg, sondern auch in unmittelbarer Nachbarschaft”, fügt sie an. Der Geschichtswerkstatt geht es um die regionale Bedeutung des authentischen Ortes.
Am diesjährigen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar stellte die Geschichtswerkstatt ihre Aktivitäten auf Einladung der Frohburger SPD vor. “In erster Linie möchte ich, dass den Bürgern der Stadt Frohburg bewusst wird, was in ihrer Nähe geschah”, begründet Sozialdemokrat Christopher Schramm die Entscheidung, den Gedenktag auf diese Weise zu begehen. “Des weiteren soll die Stadt Frohburg, als Eigentümer des Häftlingsfriedhofs, zur Instandhaltung dessen und zur Schaffung einer Gedenkstätte bewegt werden”, so Schramm weiter.
“Das Beeindruckendste an diesem Außenlager ist für mich die schnelle Errichtung des Lagers, aber auch das schnelle Verschwinden sämtlicher Bauten”, gibt Schramm seine Eindrücke wieder. Beklemmend wirken auf ihn die einzelnen Schicksale, die mit dem Leiden in dem Lager verbunden sind.
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