Zur Vermeidung von Altersarmut fordert das Diakonische Werk eine gesetzliche Mindestrente für Erwerbstätige, Pflegende und Erziehende. Diese Menschen erbrächten Leistungen für das Gemeinwohl und hätten Anspruch auf Gegenleistungen, sagt Oberkirchenrat Christian Schönfeld, Vorstandsvorsitzender der sächsischen Diakonie, im L-IZ-Interview.

Herr Oberkirchenrat Schönfeld, über Jahrzehnte schien die Altersarmut in Deutschland gebannt, nun lässt sich die Brisanz des Themas nicht länger leugnen. Wie spüren die Evangelische Kirche und das Diakonische Werk die wachsende Armutsgefährdung von Senioren in ihrer täglichen Arbeit?

Weltweit leben mehr als eine Milliarde Menschen am Rande des Existenzminimums; rund 30.000 Menschen sterben täglich an Ursachen, die mit Armut und Hunger in Verbindung gebracht werden. Im Vergleich dazu können arme Menschen in Deutschland in der Regel ihre Grundbedürfnisse befriedigen.

Doch rund 11,5 Millionen Menschen lebten im Jahr 2008 in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze, sagt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom Februar 2010 aus. Dies entspricht rund 14 Prozent der deutschen Bevölkerung.

In der Regel spürt die Gesellschaft das nicht, da eine der Folgen von Armut soziale Ausgrenzung ist. Es steht kein Geld für gesellschaftliche Begegnungen zur Verfügung wie Kaffeekränzchen, Konzert, Kino, Kollekte, so dass man sich von solchen Begegnungsmöglichkeiten zurückzieht. So wird Armut individualisiert, obwohl es doch in der Regel ein gesellschaftliches Problem ist.

Was sind die Folgen?

Wer sich zurückzieht, wird nicht wahrgenommen, nimmt Dienstleistungen nicht an, die ihm oder ihr zur Verfügung stehen. Selbst Rechtsansprüche gehen verloren, weil die Scham über die persönliche Situation größer ist als die Einforderung dieser Ansprüche. Weil wir in der Gesellschaft zu wenig spüren, müssen wir umso aufmerksamer sein.

In der diakonischen Arbeit spüren wir das Phänomen der Altersarmut immer dann, wenn Pflegeleistungen kaum noch bezahlt werden können, zunehmend auch ältere Menschen in der Schuldnerberatung oder in den Kirchenbezirkssozialarbeitsstellen auftauchen. Oder bei den Tafeln.
Inwieweit kann das Diakonische Werk mit seinen Möglichkeiten diese Entwicklung auffangen?

Wir würden uns als Diakonie maßlos überschätzen, wenn wir meinten, das Anwachsen der Altersarmut auffangen zu können. Was wir tun können – angemessene Vergütungen in der Diakonie; zusätzliche Altersvorsorge für Beschäftigte in der Diakonie – nehmen wir wahr.

Bei den politisch Verantwortlichen können wir dafür eintreten, dass die gesetzliche Rentenversicherung wieder auf gesunde Füße gestellt wird.

Die Diakonie in Deutschland fordert eine gesetzliche Mindestrente für Erwerbstätige, Pflegende und Erziehende. Warum ziehen Sie den Kreis der Anspruchsberechtigten so weit?

Die von Ihnen erwähnten Anspruchsberechtigten haben alle Leistungen für das Gemeinwohl erbracht und damit grundsätzlich einen Anspruch auf Gegenleistungen, wie diese im Einzelnen auch aussehen mögen. Leistungen für die Gesellschaft müssen zur Solidarität der Gesellschaft führen.

Wie soll Ihr Konzept umgesetzt werden?

Um eine gesetzliche Mindestrente einzuführen, muss es zur Zusammenarbeit zwischen Politik, Versicherungen und Gesellschaft kommen. Es muss ein breites Bündnis der Verständigung hergestellt werden, das wiederum ein gesellschaftliches Bewusstsein und ein Verständnis für die Situation alter Menschen erzeugt. In so einem großen Zusammenspiel lassen sich entsprechende Reformen umsetzen.

Was erwarten Sie beim Thema Altersarmut von der Politik?

Das deutsche Rentenmodell geht zurück auf Bismarck und hat sich über Jahrzehnte bewährt. Doch Lebensmuster haben sich verändert, demografische Entwicklungen ergeben, die zum Umdenken führen müssen.

Wir müssen dabei das Fahrrad nicht neu erfinden, sondern sollten uns auch Rentenmodelle anderer Staaten – zum Beispiel der Schweiz – genauer ansehen und Umsetzungen in Deutschland prüfen.

Ziel der Politik muss es sein, Menschen im Alter Lebensqualität zu geben. Doch die derzeitigen Diskussionen zu geringfügigen Beschäftigungen zeigen beispielhaft, wie weit der Weg noch ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

www.diakonie-sachsen.de

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