Seit dem 28. August liegt die Auswertung des Online-Dialogs durch das Berliner Moderatoren-Team vor. In der Dienstberatung des OBM am Dienstag, 18. September, wurde jetzt auch die Informationsvorlage des Dezernats Kultur vorgestellt. Die bekommt der Stadtrat vorgelegt. Das Wesentliche hatte OBM Burkhard Jung in den letzten Wochen mehrfach betont: Keiner der drei Siegerentwürfe ist in dieser Form umsetzbar. Alle drei Künstler-Teams müssen nacharbeiten.
War nur die Frage: Wie aussagekräftig war jetzt eigentlich der Online-Dialog, der die Ausstellung aller 38 Denkmals-Entwürfe in der Unteren Wandelhalle des Neuen Rathauses begleitete? Was nehmen Verwaltung und Künstler mit?
“Es zeigte sich auch, dass es erwartungsgemäß sehr unterschiedliche Sichtweisen und Wahrnehmungen der Entwürfe zwischen den Generationen gibt. Wenngleich der 1. Preis wohl am nächsten an den Wünschen der Jugendwerkstatt liegt und die meiste Zustimmung durch die Gruppe der 40-49-jährigen fand, findet er bei den älteren Gruppen eine breite Ablehnung. Diese favorisiert wiederum das utopische Idyll des Apfelgartens des 3. Preises”, heißt es in der Informationsvorlage des Kulturdezernates.
Das ist deutlich. Und für eine Verwaltung regelrecht mutig. Immerhin hatten die drei Leipziger Künstlerinnen Anna Dilengite, Tina Bara und Alba d’Urbano von einem “utopisches Modell” gesprochen, “dem vor allem gemeinschaftliches und verantwortungsbewusstes Handeln obliegt”. Das hat mit Idyll erst einmal nichts zu tun. Den drei Künstlerinnen war da ganz bestimmt das Blochsche “Prinzip Hoffnung” wesentlich näher – der biblische Bezug von der “verbotenen Frucht” und der “Vertreibung aus dem Paradies” wohl auch.
Dass sich jetzt auf einmal das Wörtchen “Idyll” einschleicht, ist zumindest bedenkenswert.
Aber so fern liegend nicht. Denn wer sich die Auswertung des Online-Dialogs genauer anschaut, sieht die heftigen Zustimmungsspitzen für den 3. Preis zu Beginn der Diskussion, als sich die Leipziger Volkszeitung geradezu an den Apfelbäumen im Herzen der Stadt berauschte, den Entwurf zum “Sieger der Herzen” hochschrieb und damit die eigene Leserschaft augenscheinlich geradezu begeisterte.
Im Verlauf des Online-Dialogs flaute die Diskussion um den 3. Preis sichtlich ab. Zeitweise überwog die sehr kritische Diskussion des 1. Preises “70.000”. “Der 1. Preis (‘70.000’) wurde mehrheitlich abgelehnt (über 400 Ablehnungen und rund 40 Zustimmungen von ca. 760 abgegebenen Beiträgen)”, resümiert nun auch die Stadtverwaltung. “Kritisch wurde die unklare Symbolik, der mangelnde Bezug zu 1989 und die unterstellte fehlende Nachhaltigkeit des Denkmals gesehen. Positiv bewertet wurde z. B. die Farbigkeit des Entwurfes als Symbol für den Akt der Befreiung und der Freude, die Podeste als Symbol für die Suche nach Freiheit oder die Betonung der Stimmenvielzahl.”
Da wären jetzt eigentlich die Feinheiten dran. Wer hat diskutiert? Wieviele haben überhaupt diskutiert? Und auch die kleine, nicht ganz unwichtige Frage, die nun im September den Antrag der Linken ergab: Ging es im Online-Dialog nicht auch um den Bau des Denkmals an sich?
Da war zwar nicht Thema des Dialogs, wurde aber trotzdem diskutiert.
Die Moderatoren von Zebralog sahen das in ihrer Auswertung so: “Aus Teilnehmersicht würde die Bürgerbeteiligung zu spät stattfinden. Bereits bei der Grundsatzfrage, ob Leipzig ein Denkmal braucht oder nicht, hätte nach Meinung der Teilnehmenden eine Bürgerbeteiligung stattfinden sollen. Häufiges Argument dabei war, dass ausgerechnet der Prozess des Gedenkens an den Kampf für mehr Demokratie und Mitbestimmung nicht direktdemokratisch entschieden wurde.”
Die Stadt verweist in ihrer Auswertung darauf, dass der Online-Dialog keine Abstimmung war, sondern nur das Meinungsbild der Teilnehmer widerspiegele.
Und das waren am Ende doch wieder recht wenig, die wirklich mitdiskutierten.
“Die knapp 1.200 Kommentare ergeben sich aus ca. 760 Diskussionsbeiträgen also Beiträgen, die tatsächlich inhaltlich ausgewertet werden können”, stellt das federführende Kulturdezernat fest. “Der Rest (etwas mehr als 400 Beiträge sind Moderationsbeiträge, Verfasserbeiträge, Beträge der Stadt Leipzig, Kommunikation unter den Teilnehmern, Dopplungen und nicht kodierbare Beiträge).”
Aber Beiträge sind noch keine Teilnehmer. Wie viele Leipziger haben nun wirklich mitdiskutiert?”Hinter den ca. 760 Diskussionsbeiträgen stehen ca. 200 aktiv Teilnehmende des Onlinedialoges. Die aktive Teilnehmerzahl ergibt sich aus 113 registrierten Benutzern, die Beiträge geschrieben haben, und einer geschätzten Anzahl von Gästen, die sich aktiv mit Kommentaren beteiligt haben. Die Zahl der Gäste und die Besucherzahl des Onlinedialoges kann aufgrund des Datenschutzes nicht ermittelt werden.”
Heißt also: Der Online-Dialog funktionierte zwar – erfasste aber wieder nur eine kleine engagierte Minderheit der Leipziger. Und selbst hier zeigen sich über die Lebensalter hin fast unvereinbare Sichtweisen.
“Wie bei Online-Dialogen in Deutschland zu erwarten ist, gab es auch hier ein Übergewicht der Altersgruppen zwischen 40 und 70 Jahren”, erklärt das Kulturdezernat. “Insgesamt zeigt die Beteiligung der einzelnen Altersgruppen zu den verschiedenen Vorschlägen ein recht einheitliches Verhältnis.”
Ein Häuflein von 200 Leipzigern, das wirklich diskutierte. Gezählte Besuche auf der Seite gab es 9.299. Dabei wurden über 72.000 Seiten aufgerufen.
“Es fällt allerdings auf, dass sich die Gruppen der 40-49-Jährigen bzw. der 50-59-Jährigen überproportional stark zum 2. Entwurf äußerten, während die Gruppe der 70 Jahre und älteren sich stark auf den 3. Entwurf konzentrierte”, meint das Kulturdezernat. Hier könnte es spannend werden, denn hier steht die Frage, ob diese Bevorzugung einzelner Entwürfe mit der Schwerpunktsetzung einzelner Medien zu tun hat?
Das Beruhigende im Resümee der Stadt: Sie beharrt darauf, dass man so nicht über ein Denkmal abstimmen kann. Der Online-Dialog wurde gerade nach dieser Phase des Hoch und Nieder recht differenziert – die Künstler selbst diskutierten mit.
In der Meinungserfassung direkt in der Ausstellung gab es ein ähnliches Bild: 838 Besucher füllten einen Fragebogen aus, mit 296 Zustimmungen war der “Herbstgarten” etwas stärker gewichtet. Die unter 50-Jährigen bevorzugten aber die Erst- und Zweitplatzierten. Der “Herbstgarten” wurde zum Favoriten, weil die Gruppe der über älteren Leipziger überproportional an der Befragung teilnahm.
Aber der Online-Dialog zeigte eben auch, dass insgesamt die Ablehnung gegen alle drei Siegerentwürfe überwog. Die Lösungen entsprachen noch keineswegs den gehegten Erwartungen.
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Die Stadtverwaltung schlägt nun einen neuen Fahrplan vor, wie man vielleicht doch noch zu einem akzeptablen Ergebnis kommen kann.
Bis Oktober soll jetzt eine Aufgabenstellung für die Künstler erarbeitet werden, wie die drei Siegerentwürfe weiterzuentwickeln sind – hier sollen die Ergebnisse des Dialogs mit einfließen.
Bis Januar 2013 haben die Künstler dann Zeit, ihre Entwürfe weiterzuentwickeln. Die Zwischenergebnisse sollen im Februar oder März 2013 vorgestellt werden. Eine Stadtratsvorlage zum dann anschließenden Verhandlungsverfahren soll dann im April 2013 passieren, so dass im Mai 2013 – nach den Verhandlungen – klar ist, wen die Verwaltung mit dem Bau des Denkmals beauftragen möchte. Im Juni 2013 soll dann die Ratsvorlage mit der konkreten Baubeauftragung vorliegen.
www.denkmaldialog-leipzig.de
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