Weiter geht es durch die Leipziger Randgebiete. Plaußig und Portitz rufen. Doch vorher gilt es, bei einem spontanen Angebot standhaft zu bleiben und weiter Ausschau nach Menschen zu halten. Davon gibt es zu wenige und das hat auch Effekte auf die Ortsteile ... Kaum habe ich Merkwitz verlassen und den Kurs wieder auf Leipzig gestellt, muss ich mich arg wundern. Ein angebissener Toast liegt mitten auf der Merkwitzer Landstraße.
Wohl achtlos auf die Straße geworfen. Ein Zeichen menschlichen Lebens zwischen Merkwitz und Plaußig? Mein Vorgänger? Ein Schüler, der kurz vor dem Eintrudeln bei Mutti sein Pausenbrot weggeworfen hat? Ich lasse den einsamen Toast unberührt, schaue mich um. Kein Mensch zu sehen. Doch plötzlich braust ein Mann in einem schwarzen Auto an mir vorbei, hält an, lässt die Scheibe herunter und macht nur ein Zeichen, bei dem er den Zeigefinger seiner Hand ausfährt und damit nach vorn zeigt. Dazu kommt sein fragender Blick. Nun gilt es, stark zu sein, Haltung zu wahren.
“Nein danke, ich bin zu Fuß unterwegs”, antworte ich auf seine nonverbale, eindeutige Frage. Er fährt den Zeigefinger ein, lässt die Hand herunter und die Scheibe nach oben und gibt Gas. Gut so. Gepaart mit dem wenig später im Gras liegenden Laib Brot eine ernste Warnung von höchster Stelle? Die Strecke von Merkwitz nach Plaußig eine Todesstrecke? Mitnichten.
Punkt 8 Uhr stehe ich wieder in Leipzig auf der Matte. Das Ortseingangsschild in Plaußig ist apfelbaumverhangen, der Fußweg endlich wieder befestigt und er gehört lange Zeit nur mir. Ja, man könnte sagen, Plaußig ist um die Zeit noch verschlafen. An der Alten Bäckerei sind die Tore verschlossen. Brot gibt es in der Ende des 19. Jahrhunderts eröffneten Bäckerei eh keins mehr oder nur als Beilage. Denn das hier ist nun ein Imbiss. Zwei Spiegeleier 1,50 Euro, Bockwurst 1,50 Euro, Schweineschnitzel 2,60 Euro.
Bis 1987 wurde die Bäckerei noch als Bäckerei genutzt, da standen um die Zeit die Türen offen. Jetzt wird der Familienbetrieb erst 17 Uhr geöffnet, so lange kann und will ich nicht warten und laufe die Plaußiger Dorfstraße bis zur Kirche entlang. Das Tor ist zu, warum auch immer die Kirche mit den angeblich ältesten Glocken des Leipziger Landes nicht offen ist.
Geschlossen hat auch das alte Ausflugslokal “Grüne Aue”. Von 1872 bis 1982 gingen hier Flanierende zum Sonntagstrunk, seitdem verfällt das Gebäude, wird vom Wäldchen überwachsen. Damals war Plaußig ein beliebtes Ausflugsziel der Stadtbevölkerung. Diese Stellung hat das Dorf verloren, warum, lässt sich nicht herausfinden. Menschen sind keine zu sehen.
Doch gerade als ich die Straße queren will, kommt er: Der erste Mensch auf der Straße seit Merkwitz. Er joggt, läuft – zumindest für eine kurze Zeit – aus Plaußig davon, direkt in das Wäldchen, das Plaußig und Portitz verbindet. Mit Kopfhörern im Ohr versteht er mich nicht, joggt achtlos an mir vorbei.
Selbst für das plötzlich auf dem Feld neben dem Wald auftauchende Reh hat er keinen Blick übrig. Wildes Plaußig, das seit der Eingemeindung 1996 mit Portitz einen gemeinsamen Leipziger Ortsteil bildet.
Dort ist erwartungsgemäß nicht viel mehr los, doch der gepflasterte Weg durch das Birkenwäldchen führt mich in ein kleines Idyll, den historischen Dorfkern von Portitz fernab von der Verbindungsstraße zwischen Thekla und Taucha. Hier passen keine zwei Autos aneinander vorbei, am Ende der Straße bin ich direkt am alten Portitzer “Bildungscampus”. Rechts die zwei kleinen Backstein-Schulgebäude, die auch gut in den oscargekrönten Film “Das weiße Band” gepasst hätten, vor mir die 1866 erbaute und vor kurzer Zeit sanierte, neugotische Portitzer Kirche.
Seit 1940 sind die Schulgebäude nicht mehr als solche in Benutzung, doch wohnen, so mein Eindruck, kann man hier gut. Ein Stück Garten gibt es dazu, der Hof ist mit dicken Mauern abgegrenzt. Der Autolärm auf der A14 oder auf der angesprochenen Taucher Straße ist hier nicht zu hören, die Gebäude an dieser Straße wurden erst bei der Ausdehnung des Dorfs mit Einsetzen der Industrialisierung gebaut.
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Hier hört man nur die Orgel der Kirche, das Gotteshaus ist aber ebenso verschlossen. Ein Jammer, denn von außen verspricht es so einiges.
Ein Jammer auch, dass ich diesen Kern von Portitz erst jetzt entdecke, ja, überhaupt erst jetzt entdecke, dass Portitz nicht nur ein Dorf auf dem Weg zwischen Mockau und Taucha ist.
Es ist 8:30 Uhr. 75 Minuten dauert es nur, um von Gottscheina nach Portitz zu laufen. Noch ein paar Meter und dann befinde ich mich innerhalb des Leipziger Autobahnrings. Hunger umtreibt mich. Aber ich habe ja bisher nicht mal Menschen auf der Straße gesehen, wo sollen da Geschäfte sein?
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