Was ist da schief gelaufen? Und was läuft da weiter schief? Denn irgendetwas ist ja schief gelaufen bei der Suche nach Leipzigs "Freiheits- und Einheitsdenkmal", auch wenn das Kulturamt am 6. August nur gute Zahlen berichten konnte, drei Tage nach dem Ende von Diskussion und Ausstellung.

Die Ausstellung im Neuen Rathaus zum Freiheits- und Einheitsdenkmal und das Online-Dialogforum konnten drei Wochen lang besucht und genutzt werden. Am 3. August endete das Onlineforum und am 5. August schloss die Ausstellung ihre Pforten.

Insgesamt fanden etwa 5.200 Besucher den Weg ins Neue Rathaus.

Rund 800 von ihnen kommentierten das Gesehene im Gästebuch oder auf den Meinungsbögen.

Für das Onlineforum “Dialog zum Denkmal” gab es über 72.000 Seitenaufrufe, über 9.400 Besucher informierten sich auf den Seiten, es wurden knapp 1.200 Beiträge geschrieben und die einzelnen Kommentare fast 2.200 Mal bewertet.

Und nun?

“Das Ergebnis des Wettbewerbsverfahrens und die Auswertung der Öffentlichkeitsbeteiligung incl. Ausstellung und Online-Dialogforum, werden im Herbst dem Stadtrat vorgestellt”, teilte das Kulturamt am 6. August mit.

Und? – Nutzt die Stadtverwaltung jetzt die Chance, sich des Prozesses zu vergewissern?

Es sieht nicht danach aus. Bei den Leipzigern wird sich der Eindruck verfestigen, dass der Zug von Anfang an auf einem Gleis ohne Weichen fuhr und die Bürgerbeteiligung nur eine Art Alibi war.

Der Stadtrat bekommt die Ergebnisse auf den Tisch. Und dann soll er entscheiden, wie er schon bei der Zustimmung zur Denkmalkür und zum Standort Wilhelm-Leuschner-Platz und zur Umbenennung des Wilhelm-Leuschner-Platzes entschieden hat. Das Kulturamt zur Rolle des Stadtrates im Herbst: “Dieser soll daraufhin die Verwaltung mit der Vorbereitung des Verhandlungsverfahrens mit den Preisträgern beauftragen.”

Es geht nicht mehr ums ob, sondern nur noch um die Frage: Welcher Vorschlag wird umgesetzt. Werden Kostenrahmen und Zeitbudget eingehalten? Ist alles rechtzeitig fertig, damit ehrwürdige Herren das Denkmal am 9. Oktober 2014 einweihen können?
Der eine oder andere Vorschlag aus der Online-Diskussion kann noch in die Gestaltung des zu bauenden Entwurfs einfließen.

“Ziel des späteren Verhandlungsverfahrens, in dem die vom Preisgericht gegebenen Hinweise und offenen Fragen für die Realisierung aller drei ausgezeichneten Entwürfe beurteilt werden, sowie bewertet wird, ob sich der Entwurf in der vorgegebenen Qualität, und dem Zeit- und Kostenrahmen mit den Entwurfsteam umsetzen lässt, ist es, einen der Preisträger mit den weiteren Leistungen zur Umsetzung seines Entwurfs zu beauftragen.”

Die Jury war fleißig. Sie hat gearbeitet, wie Jurys so arbeiten. Sie hat in der ersten Runde aus 325 eingereichten Bewerbungen 41 ausgewählt, die zur zweiten Runde antreten durften. Wer die Schau im Neuen Rathaus gesehen hat, weiß: Es waren eigentlich alles Architektenbüros. Leipzig hat 39 Platzgestaltungen bekommen. Für einen undefinierten Platz. Es war – zumindest so weit das bekannt wurde – der Einfall von Oberbürgermeister Burkhard Jung, es so zu machen. Er hat mit solchen Architektenwettbewerben keine schlechten Erfahrungen gemacht.

Nur war das Frappierende in der Ausstellung: Es war tatsächlich kein Denkmal dabei. Nichts zum Festhalten. Kein verblüffender Einfall. Viel Banales. Viel Simples. Viel Allerweltiges, wie es bei architektonischen Wettbewerben meist so ist.

Vielleicht enttäuscht das jetzt Viele. Im Denkmal-Forum jedenfalls zeigten sich Viele enttäuscht.

Das ist eine verpasste Chance.

Kann sein, dass sich auch am 9. Oktober 2014 wieder ein begeistertes Trüpplein findet und mitfeiert. Vielleicht besinnen sich auch die meisten Leipziger anders. Kann sein. Bei solchen Stadtbauten weiß man sie.

Jetzt aber fehlt etwas. Die Überzeugungskraft vielleicht, das Eindruckmachende, das Eindrucksvolle. Leipzig wollte sich – nach den Erfahrungen in Berlin – Peinlichkeiten ersparen.

Während das Kulturamt die Bürger quasi schon auslud, verheißt die Diskussionsseite www.denkmaldialog-leipzig.de noch ein bisschen Bewegung: “Die Vorschläge und Gedanken werden nun aufbereitet und fließen in das weitere Verfahren ein. Für die Preisträger bedeutet dies: Sie werden sich einer intensiven Phase der Weiterentwicklung stellen, in der sowohl die Bürgermeinungen eingearbeitet als auch technische Überlegungen einfließen werden. – Für den Herbst dieses Jahres ist, aufbauend auf diesen Zwischenergebnissen, die Fortführung der Bürgerbeteiligung geplant. Ihr Wort wird weiter gebraucht!”

Und Burkhard Jung bedankt sich dort: “Dieser Dialog und diese Auseinandersetzung hat uns allen gut getan – den Bürgern, der Verwaltung und den Künstlern. Ich danke allen Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Ideen eingebracht oder auch ihre ganz persönlichen Erfahrungen aus dem Herbst 89 geschildert haben!”

Unübersehbar ist im Jahr 2012 die Sehnsucht nach einem friedlichen Konsens. Die Jury sah sehr wohl die Schwierigkeiten des von ihr gekürten Entwurfs. Aber dann schrieb man sich den Sieger dennoch schön: “Der Aspekt, dass die Verantwortung des Einzelnen für ‘seinen Hocker’ und die Verantwortung der Gemeinschaft zur Pflege des Objekts und Weiterführung des Partizipationsgedankens die Verantwortung des Einzelnen und der Gemeinschaft, für Freiheit und Einheit einzustehen, widerspiegelt, macht den Entwurfsvorschlag ‘70.000’ zu einem wertvollen, alle Aspekte der Auslobung behandelnden, angenehm spielerischen und somit sich ‘an die nächste Generation’ wendenden Beitrag im Wettbewerb.”

Die Aspekte, die bewertet wurden: “Entwurfsidee/Leitgedanke, Künstlerische, gestalterische und stadträumliche Qualität, Inhaltliche Aussage des Denkmals, Technische und wirtschaftliche Realisierbarkeit, Wirtschaftlicher Betrieb und Unterhalt”.

Ja, so beurteilt man archtitektonische Stadtraumentwürfe.

Und das Schönste ist: Im Protokoll hat die Jury festgehalten, dass eigentlich nur eine Null-Lösung diesen Wettbewerb gewinnen konnte.

“Das Denkmal muss möglichst alle ansprechen können – und gerade auch die, die keine Zeitzeugen sind. Aber auch die allzu konkreten, bedeutungsschweren oder symbolträchtigen und plakativen Lösungen sind zweifelhaft, da sie keinen Beitrag zu einer der zentralen Fragen des Wettbewerbs leisten können: Wie kann ein deutsches Nationaldenkmal eine positive Aussage machen und zugleich Teil der kritischen reflektiven Denkmalkultur bleiben, welche dialogische Qualität als besonderes Merkmal der Memorialkunst sollte es haben – oder anders: Wie gelingt ein neuer Ansatz in der deutschen Freiheitstradition als Teil einer wohl erst noch zu leistenden europäischen Freiheitstradition.”

Übrig blieb zwangsläufig das un-konkrete Positive.

Mal ganz zu schweigen davon, dass in dieser Harmonie-Jury wieder mal ein Historiker gefehlt hat. Der Satz mit der “wohl erst noch zu leistenden europäischen Freiheitstradition” ist geradezu ignorant. Gerade in Leipzig, das zu seinen Lichtfesten mit Sinn und Absicht jene anderen europäischen Länder einlädt, ohne die die deutsche Freiheitstradition 1989 nicht den Pfennig wert gewesen wäre.

Erstaunlich, wie viele Leute diesen dummen Satz unterschrieben haben. Aber vielleicht wollten sie nach soviel Harmonie-Gedudel einfach nur alle nach Hause.

Und vielleicht muss genau so ein Ergebnis dabei herauskommen, wenn in einem solchen Verfahren von Anfang an keiner keinem wehtun will.

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