Johann Sebastian Bach fährt Straßenbahn. Seit Freitag, 8. Juni, fährt er als freundlich lächelnder Herr auf dem Straßenbahnwagen Nummer 1105 durch die Stadt. "Auf allen Linien", wie Ulf Middelberg, Geschäftsführer der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) betont. Es ist nicht das erste Mal, dass der berühmte Thomaskantor Straßenbahn fährt.

Nach ihm wurde gleich der erste Niederflurwagen NGT8 benannt, die Nummer 1101. Aber da sich nicht immer berechnen lässt, welcher Wagen nun gerade für eine Neubeklebung frei ist, ist es diesmal nicht die 1101, die pünktlich zum Bachfest 2012 als Werbe-Tram für Bachfest und Bachmuseum ins Netz ging. Übrigens nicht fürs Bachfest 2012. Der Aufkleber verrät: Hier sollen auch die Gäste des diesjährigen Bachfestes schon eingeladen werden fürs nächste, das vom 14. bis 23. Juni 2013 in Leipzig stattfindet.

Es ist der Niederflurwagen 1105, der in jetzt in leuchtendem Goldton durch die Stadt fährt. In unbeklebten Zeiten trägt er den Namen “Dieter Teich”.

Normalerweise ist es eher kein Fotoshooting wert, wenn ein neu mit Werbung beklebter Wagen der LVB ins Netz geht. Aber dieser hier ist natürlich ein besonderer. Allein hätte das Bach-Archiv, der Träger des Bachfestes, eine solche Beklebung nicht finanzieren können. Aber Bach ist ja nun einmal seit ein paar Jahren die Gallionsfigur im Marketing für die Musikstadt Leipzig. Das Bachfest wächst kontinuierlich und mausert sich nach und nach zu einem international wahrgenommenen Musikereignis.

Am Donnerstagabend zog das Eröffnungskonzert tausende Leipziger auf den Markt. Im Unterschied zum vorhergehenden Stadtfest ist das Bachfest eines, das tatsächlich zum Selbstbild der Stadt gehört und auf dem Spitzenniveau stattfindet, das Leipzig eigentlich braucht, um als besondere Stadt mit Flair wahrgenommen zu werden. Da gehört auch eine solche anspruchsvoll gestaltete Bahn dazu. Die auch im bunten Stadtverkehr auffällt. Beklebte Bahnen gibt es ja jede Menge. Aber solche, die auch stilvoll zum Hingucker werden, eher wenige, wie auch Steffen Jantz, Niederlassungsleiter Mitteldeutschland der Ströer Deutsche Städte Medien GmbH, feststellt.
“Wir haben zwar schon allerhand Straßenbahnen vermarktet”, sagt er. “Aber das hier ist nun wirklich eine ausgesprochen schöne Bahn.”

Drei Partner haben sich für das Projekt zusammengetan und ihre Mittel gebündelt – neben Ströer natürlich das Bach-Archiv und die LVB. “Über den Inhalt der Kooperation verraten wir aber nichts”, sagt Ulf Middelberg. “Nur so viel: Es ist eine Win-Win-Situation für alle drei.” Und auch die LVB hätten etwas davon, wenn ihre Bahnen auf diese Weise zum Hingucker würden. Das würde nicht nur wieder neue Unternehmen dazu animieren, selbst so eine Bahnwerbung zu buchen, es würde auch helfen, neue Fahrgäste zu gewinnen.

Für die Gestaltung wurde eine Leipziger Agentur gebucht, die sich mit Straßenbahn-Gestaltung schon auskennt: Methode21, ansässig im Musikviertel. Was ja wieder einmal passt wie die Faust aufs Auge, auch wenn die Sebastian-Bach-Straße selbst im benachbarten Bachviertel liegt. Aber mit Bahngestaltungen für den Flughafen Leipzig/Halle und Mitgas hat die Agentur schon für Hingucker im Leipziger Straßenbild gesorgt. Um Bachfest & Co. in Szene zu setzen, hat die Agentur drei Entwürfe vorgelegt.
“Entschieden hat man sich dann für den eher klassischen”, sagt Geschäftsführer Oliver Krause.

Was natürlich auch einen gewichtigen Grund hat: Die Bahn soll mit dieser Beklebung jetzt drei Jahre lang durchs Stadtbild rollen, also auch noch die Bachfeste 2014 und 2015 bewerben. Das Feld dafür ist extra so gestaltet, dass es leicht überklebt werden kann.

“Wir haben nur zwei Wochen gebraucht”, sagt Krause. Nach der Entscheidung der Auftraggeber ging’s nur noch um Feinabstimmungen.

Unübersehbar ist das Bachbildnis von Elias Gottlob Haußmann, dessen Original im Alten Rathaus hängt. Eine Kopie sieht man auch im Bachmuseum. Von dorther stammen auch die abgebildeten Instrumente aus dem 18. Jahrhundert und – man achte auf den goldenen Hintergrund – die abgebildeten Notenzeilen. Die stammen, wie Clemens Buchwald, Marketingreferent des Bach-Archivs, verrät, aus der Bach-Kantate BWV 8 “Liebster Gott, wenn werd ich sterben”. Entstanden 1724, erstaufgeführt am 24. September 1724. Sie basiert auf einem Choral von Caspar Neumann, entstanden um 1690/1700.

Es ist eine von rund 300 Kantaten, die Bach gleich nach seiner Ankunft in Leipzig 1723 zu komponieren begann – praktisch pro Woche eine. Das Autograph der abgebildeten Partitur befindet sich im Besitz des Bach-Archivs Leipzig.

“Inhaltliche Bezüge zu einer Straßenbahn sind dabei reiner Zufall…”, meint Clemens Buchwald. Die Eingangszeile hat auch wirklich nichts mit dem gefährlichen Leben im Leipziger Straßenverkehr zu tun. Mit den Fährnissen des Lebens auf Erden schon eher. Aber so mancher Leipziger, der mit der Straßenbahn flott durch die Stadt kommen will, ohne dass Verkehrsunfälle, Staus oder falsch geparkte Autos das verhindern, wird sich in einigen Zeilen des Neumann-Textes bestimmt wiederfinden. In dieser zum Beispiel:

“Doch weichet, ihr tollen, vergeblichen Sorgen! – Mich rufet mein Jesus, wer sollte nicht gehn?”

Spätestens wenn der Fahrer des falsch geparkten Autos wirklich nicht auftaucht, macht der Fahrer die Türen auf und dem Reisenden bleibt gar nichts anderes übrig, als den Rest der Strecke zu Fuß zu gehen …

Der Text der Kantate:
http://webdocs.cs.ualberta.ca/~wfb/cantatas/8.html

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