Dem unleugbar unwiderstehlichen Charme des Wave Gothic Treffens in Leipzig vermag sich niemand zu entziehen. Schon gar nicht die eingefleischten Anhänger der schwarz-romantischen Szene, aber auch nicht jene Zeitgenossen, die mit dem inzwischen schon legendären Leipziger Pfingst-Auftrieb rein innerlich eher weniger zu tun haben.
Also lockt das WGT nicht nur die Gothics und all ihre phantasievollen Begleiterscheinungen in die Messestadt, sondern auch Touristen, die einfach nur “gucken” wollen. Da sitzen sie dann auf den Freisitzen der Straßencafés, Kneipen und Restaurants, haben es sich bequem gemacht bei Kaffee, Kuchen, Eis oder Bier und halten die Kamera gezückt, um die vorbeischlendernden Paradiesvögel in Schwarz abzulichten. Die Reaktionen reichen von Be- bzw. Verwunderung, Lachen bis hin zu Kopfschütteln oder dem einen oder anderen maßregelnden Blick, dem manche Ehefrau ihrem Manne zuwirft, dessen Augen angesichts sehr erotischer Aufmachungen nur noch von den dicken Brillengläsern vor dem Herausfallen bewahrt werden.
Natürlich kann man es auch so machen, wie eine Horde “Landeier”, die mit gezückten Handys in der Fußgängerzone stehen und die unglaublichsten Botschaften nach Hause ins Leipziger Umland schicken: “Das gloobsde nisch, wie die hier rumloofen. Mid Schdrabbsn und nischd drundor…ey, isch geh grachen….”. So gesehen hat Leipzig also doch noch einige Millimeter bis zur Weltstadt zurückzulegen. Aber gerade das macht ja auch den unleugbaren Reiz dieses Treffens aus. Nämlich, dass hier tatsächlich Welten aufeinander prallen und es, ganz lokal begrenzt, doch hin und wieder einen “clash of cultures” – einen Zusammenprall der Kulturen – gibt.
Und dass diese Begegnungen der dritten Art immer friedlich, charmant, mit einem Lächeln und der Gelassenheit der Toleranz ablaufen, ist hauptsächlich den sogenannten Gruftis zu verdanken, deren offene Haltung und Höflichkeit einfach nur entwaffnend wirken. Das liegt aber auch an den Leipzigern, die, was Toleranz betrifft, schon eine gewisse Tradition pflegen. So war auch dieses WGT eines von vielen, und doch wieder etwas Besonderes. Das gilt vor allem auch dann, wenn man sieht, wie viele Nationen hier vorurteilslos einander begegnen und miteinander umgehen.
Ob Schweden, Holländer, Briten, Franzosen, Italiener, Russen oder Australier, in Leipzig wird praktische Völkerverständigung praktiziert. Das bewiesen wieder einmal mehr als 20.000 Gothics aus aller Welt, die so manchem verbohrten Politiker oder Lokalpatrioten vormachen, wie friedlicher und offener Umgang miteinander wirklich geht. Vielleicht sollten die hohen Politiker auch einmal einen auf Grufti machen und sich so von ihrer scheinbaren Seriosität lösen, damit sie mal wirklich locker werden. Angela Merkel, Philipp Rösler, Guido Westerwelle oder Siegmar Gabriel im Gruftioutfit und mit einem Glas Absinth in der Hand. Vielleicht ginge dann alles etwas leichter von der Hand.
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