Feindbilder sind doch etwas fantastisches. Sie halten Gruppen zusammen und ermöglichen Abwertung von Fremden, Ausgrenzung und Frustablassen. Wenn eine Künstlerin - wie gerade Diana Wesser - nun genau das Gegenteil erarbeitet - PRO ist und testet, dann gibt dies zu Denken. Frau Wesser hat die Ausschreibung für den "Kunstraum[10].lindenau" gewonnen, den kunstbestückten Spagat am Lindenauer Markt, die Flächengestaltung am neuen Kaufland.

Hier das allererste Interview mit der Macherin, zu Konzept, zum Diskurs und zum ganzen was und warum:

Glückwunsch erstmal zum Durchkommen bei der Jury. Nun bist Du die Macherin beim Kunstprojekt “Kunstraum [10].lindenau” am Lindenauer Markt in den Flächen des Kaufland-Discounters. Worum geht’s? Was geschieht? Was sind Deine Ansätze?

Danke! Die Grundidee hinter meinem Projekt ?PROtest’ ist die Frage danach, wie man sich parasitär an das Einkaufszentrum am Lindenauer Markt andocken kann, um den kritischen Umgang damit praktisch zu erproben und um mit kreativem, produktivem Protest zur Mitgestaltung des umgebenden Stadtraums einzuladen. In Zusammenarbeit mit denjenigen, die am meisten davon profitieren können, sollen Vorschläge und Visionen aus möglichst vielen unterschiedlichen Perspektiven entwickelt werden, wie mit dem Gebäude des Discounters aber auch mit dem umgebenden Stadtraum umgegangen werden kann.

?PROtest’ will nicht provozieren, sondern einen produktiven, kritischen Diskurs in Gang setzen. Welche Ideen und Visionen könnten zum Beispiel von denjenigen kommen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht an öffentlichen Diskussionen teilhaben, wie z.B. Obdachlose? Wem gehört die Stadt? Wem gehört der Lindenauer Markt? Wem gehört Kaufland? Dabei ist es für mich wichtig, aus einer negativen, destruktiven Grundhaltung raus zu kommen und nach Ideen und Vorschlägen zu suchen, die es wert sind, ausprobiert zu werden. ?PROtest’ versteht sich gewissermaßen als Testlauf. Die Idee basiert auf drei Grundsätzen: Bessere Vorschläge machen, FÜR etwas eintreten und auch mal nur zuhören.

Und wie soll das praktisch funktionieren?

Ich werde einige Veranstaltungen anbieten, die sich mit dem Thema beschäftigen und ein Programm zusammenstellen, das in Zusammenarbeit mit Anliegern realisiert oder aber auch in Eigenverantwortung von diesen angeboten wird. Im Gespräch bin ich bisher zum Beispiel unter anderem mit der Buchhandlung Seitenblick, dem Optiker Weiss, dem LOFFT und der Galerie SagArt e.V. aber auch mit einigen Einzelpersonen.

Die Schaukästen selbst werden als Kommunikationsmedium benutzt. Einerseits wird es dort im Verlauf des Prozesses immer mehr Ideen und Meinungen zu sehen geben. Andererseits werden Veranstaltungen, die Bezug zum Projekt haben, auf den Scheiben angekündigt. Mit Klebeband werden Termine und zum Beispiel Ausstellungshinweise direkt auf die Scheiben der Kästen, aber auch der Veranstaltungsorte selbst geschrieben. Die Idee ist, dass die Wirkung nicht auf die Kästen beschränkt bleibt, sondern auf den umgebenden Stadtraum übergreift.
Du hast viel im Ausland gearbeitet – unter anderem in England. Wie ist da der Umgang mit Kunst im öffentlichen Raum, im sozialen Raum? Anders als in Old-Germany?

Ich arbeite kollaborativ mit der englischen Architektin Helen Stratford zusammen und habe dadurch vor allem viel in Großbritannien gearbeitet. Dort gibt es das ?Section 106 Agreement’. Vereinfacht beschrieben sieht diese Regelung vor, dass Bauherren ein Prozent ihres investierten Budgets in Projekte investieren müssen, die zum Ziel haben, negative Auswirkungen des Bauvorhabens auszugleichen. Zum Beispiel wäre der Bauherr eines Supermarktes verpflichtet, Geld in den Bau eines Spielplatzes oder in verkehrsberuhigende Maßnahmen im Umfeld des Neubaus zu investieren. Häufig wird dieses Geld auch in Kunst investiert.

Echt? Und das gibt es auch wirklich real?

In Cambridge hat sich vor einigen Jahren eine Initiative gebildet, die mit diesem Geld explizit Kunst im sozialen Raum fördert – aus der Haltung heraus, dass öffentliche Gelder auch der Gemeinschaft zu Gute kommen müssen. Da gibt es dann z. B. sogenannte Nachbarschaftskünstler, die über einen längeren Zeitraum während der Bauphase vor Ort gemeinsam mit Anwohnern an Projekten arbeiten. Eine Galeristin aus London sagte mir, dass man als Künstlerin eigentlich keine Chancen auf Förderung hat, wenn man nicht im sozialen Raum arbeitet, einen partizipatorischen Ansatz hat und möglichst Menschen integriert, die sonst keinen oder kaum Zugang zu Kunst haben. Man spricht auch von social art oder community based art. In Deutschland habe ich die Erfahrung gemacht, dass bei solchen Projekten die Frage gestellt wird: “Ist das überhaupt Kunst?” Das sagt eigentlich schon alles.

Als Künstlerin bist Du auch öffentlicher Mensch, musst Dich der Kritik aussetzen, ganz besonders auch bei diesem Projekt, welches ja von einigen “Koryphäen” mit dem Fegefeuer verglichen wird. Wie gehst Du mit solchen Aussagen um?

Ich habe lange überlegt, ob ich überhaupt etwas einreiche. Auch aus der Befürchtung heraus, von Kollegen angegriffen zu werden. Aber wer solche Kritik nicht aushält, sollte keine Kunst machen. Genau genommen habe ich mich genau deshalb entschieden, mich doch zu bewerben. Es ist leicht, etwas als ?das Böse’ zu bezeichnen, aber schwieriger, sich dem auch zu stellen. Als Künstlerin fände ich es andererseits auch unverantwortlich, etwas, dem ich kritisch gegenüberstehe, nicht zu bearbeiten.

Einen Supermarkt aber mit dem Fegefeuer zu vergleichen, gibt ihm für mein Gefühl zu viel Bedeutung. Eher interessiert mich die Frage, wie man sich parasitär an diese Einrichtung andocken kann. Ob ich damit “einen Pakt mit dem Teufel” eingegangen bin, wird sich zeigen. Beauftragt bin ich ja aber nicht von Kaufland, sondern vom Lindenauer Stadtteilverein. Bis jetzt hat sich mir gegenüber glücklicherweise noch niemand abfällig oder vorwurfsvoll geäußert. Für konstruktive Kritik bin ich jedoch sehr offen, letztlich geht es in meinem Projekt ja auch gerade darum.

Schaut sich der Kunstbeobachter derzeitige Produktionen und Interaktionen aus der Künstlerwelt an, fällt eine extrem destruktive Grundhaltung, eine, sagen wir mal: negative Kommunikation, auf. Siehst Du das auch so? Woran mag dies liegen?

Ich glaube nicht, dass man das so allgemein sagen kann. Davon abgesehen, dass es nicht EINE ?Künstlerwelt’ gibt, gibt es vielleicht auch keine allgemeine Grundhaltung. Da das Kunstschaffen aber häufig Gesellschaft abbildet, könnte man eventuell eher eine destruktive Grundhaltung im Allgemeinen beobachten. Und um wieder vom Allgemeinen zurück zu Leipzig im Speziellen zu kommen: ich habe den Eindruck, dass hier an einigen Stellen verhärtete Fronten immer weiter verhärten und dass es manchmal vor allem darum geht, ein Feindbild aufzubauen und zu verteidigen, aber weniger um konkrete, konstruktive Ansätze. Es wird auch viel geredet und diskutiert, was erst mal prinzipiell immer gut ist. Aber was kommt dann?

Woran das liegt, vermag ich nicht zu sagen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass eine Art Ohnmachtsgefühl oder Frustration der Motor sein könnte. Vielleicht auch ein fehlendes Vertrauen in die Macht oder die Möglichkeiten des Einzelnen und eben auch der Kunst. Vielleicht ist es aber auch viel einfacher, GEGEN etwas zu sein, die Arme zu verschränken und NEIN zu sagen als in einen konstruktiven Dialog zu gehen, indem man sich ja auch immer mit seinen eigenen Schwächen auseinandersetzen und Kompromisse eingehen muss. Ich will mich da jetzt gar nicht ausschließen.

Teil 2 des Interviews morgen an dieser Stelle.

www.dianawesser.de
http://protestlindenau.wordpress.com

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