Kurz vor dem Termin überlegte ich noch einmal kurz, ob ich wirklich hingehen sollte. Schließlich bin ich nachweislich aus dem Westen und wenn er die ganze Sache mit seinem berüchtigten "Schnauze, Wessi!" eröffnete, könnte ich ja gleich einpacken. Aber da Journalisten sich bekanntermaßen durch Wagemut, Unerschrockenheit und Abgebrühtheit auszeichnen, habe ich es doch gemacht.
Nämlich das Interview mit dem Leipziger Journalisten, Stern-Autoren und Erfinder der Kolumne, die höflicherweise “Bitte schweigen Sie, westdeutscher Bürger” heißen müsste. Aber nicht nur für Holger Witzel alias Hans Waal vertragen sich Wahrheit und Höflichkeit mitunter nicht gut. Gerade dann, wenn es um das immer noch nicht vollzogene Zusammenwachsen zweier deutscher Staaten und den damit verbundenen Befindlichkeiten und merkwürdigen Umständen geht. Also muss man auch mal als Wessi die Schnauze aufmachen und fragen:
Was soll das? “Schnauze, Wessi!” Das klingt beleidigend. Aber dennoch muss ich gestehen, dass ich Dein Buch mit großem Vergnügen gelesen habe.
“Tätsächlich?”
Ja, und beim Lesen ist mir aufgefallen, dass ich all das selber schon mal erlebt hatte und daran dachte, das mal aufzuschreiben. Natürlich aus “Westsicht”. Aber wie bist Du darauf gekommen?
Na ja, ich bin seit 1996 für den Stern tätig und war da eigentlich schon immer für die Ost-Themen zuständig. Mehr oder weniger zwangsläufig ist das geschehen, auch weil ich gerne wieder nach Leipizg zurückgekehrt bin. Aus Hamburger Sicht waren da die typischen Ost-Themen “Neonazis” und “Kindermorde” und all so was. Und dann wurde ich gefragt, ob ich dazu was machen könnte. Wir hatten dann 2009 sogar ein eigenes Sonderheft gemacht.
Und 2009 ging mir im Herbst diese ganze Jubiläumsorgie so auf die Nerven, dass sich da einfach eine Menge aufgestaut hatte. Das musste dann einfach mal raus. Es sollte eigentlich eine einmalige Sache sein für Stern.de. Aber es gab dann so heftige Kommentare, dass ich weiter machte, auch weil es Spaß gemacht hat.
Eigentlich gilt das Thema Ost-West doch als abgehakt.
Ja, stimmt, aber sobald ich das thematisierte, kochte die ganze Sache unweigerlich wieder hoch. Damit konterkariert sich das Ganze auf witzige Weise selbst.
Also ist das Ossi-Wessi-Thema noch lange nicht gegessen?
Auf keinen Fall. Ich habe noch jede Menge Stoff, den es zu verarbeiten gilt.
Welche Themen sind denn aktuell? Denn “Schnauze Wessi” ist ja mittlerweile zu so etwas wie einem Selbstläufer geworden.
Es ist ja nicht nur Klamauk, das kommt ja auch bei Rezensionen rüber. Es ist so eine Art Deckmantel, den ich mir überziehe, um auf gewisse Missstände in der Ost-West-Problematik hinzuweisen. Auf Sachen und Missstände, die einem aufstoßen. Und ich habe gemerkt, dass ich das unter diesem Label ganz gut verpacken kann. Da denken die meisten nur, das ist dieser Pöbler aus dem Osten und der fährt immer auf der selben Schiene. Da kann man sich auch Sachen erlauben, die woanders nicht gehen würden.
Auf der anderen Seite ist gut gepöbelt doch immer noch besser als schlecht kommentiert, oder?
Auf jeden Fall wird es wie verrückt angeklickt. Und nur das interessiert die Leute in Hamburg.
Man kann Dich ja auch durchaus verstehen. Wenn man sich in Leipzig umschaut, dann sitzen da doch immer noch Leute aus dem Westen in entscheidenden Positionen.
Das verstehe ich auch nicht. Man kann oder muss das auch nicht verstehen nach immerhin 22 Jahren. Man muss das auch bei den ganzen Gerichten nicht verstehen, dass da in den entscheidenden Positionen immer noch Wessis sitzen.
Worauf ist das zurückzuführen? Auf Netzwerke?
Die rutschen da rein durch alte Verbindungen. Es gibt da auch Forschung zu. Zum Beispiel hat der bekannte Soziologe Raj Kollmorgen eine Theorie vorgestellt, wie Eliten sich reproduzieren. Das hängt auch damit zusammen, dass alte Univerbindungen existieren. Schließlich gibt es nach 22 Jahren auch hier genug Menschen, die Jura studiert haben. Aber vielleicht rutschen die ja dann im Westen in die Positionen.
Also funktionieren die Westseilschaften mindestens so gut wie die ehemaligen Ostseilschaften?
Auf jeden Fall.
Wie kommt Dein Humor eigentlich bei den Wessis an?
Also die Westkollegen verstehen das nicht richtig. Die sagen dann immer, was willst Du eigentlich, Dir geht’s doch gut, Du hast doch alles, musst Du da jetzt noch motzen?
Also gibt es immer noch eine große Ignoranz, was den Osten betrifft?
Auf jeden Fall. Auf der anderen Seite interessiert mich auch nicht, was in Rheinland-Pfalz Tagespolitik ist oder wie die Leute leben.
Das Zweiländer-(Un)-Wesen ist immer noch vorhanden?
Mehr als man das in Jubelreden oder Ansprachen thematisieren oder wahrhaben will. Auf der anderen Seite gibt es da wieder diesen Gauck-Hype. Obwohl man immer wieder hört, ihr Ossis, was wollt ihr eigentlich, das ist doch alles Schnee von gestern. Und auf der anderen Seite ist es genau das, was einen Gauck zum Beispiel ausmacht. Heißt ja auch zwangsläufig, dass es im ganzen Westen scheinbar kein glaubwürdiges Personal gibt.
Und man muss auch sagen, dass es Gauck mit seiner ganzen Ostgeschichte und mit den damit verbundenen Befindlichkeiten ist, die ihn offenbar dazu befähigt, Bundespräsident zu werden.
Aber offenbar ist diese Ostbiografie immer noch mehr wert, als die desjenigen, der nun im Kloster ist.
Ja, im “Grüß-Augustiner-Kloster” wie ein Twitterer bösartigerweise anmerkte. Auf der anderen Seite ist es sicher nicht schwer im Moment, ein “Gauck” zu sein, bei der gegenwärtigen Personallage.
Ist Wulff eigentlich ein Opfer medialer Hetzjagd geworden?
Wie man’s nimmt. Das eigentlich Peinliche ist ja gerade, dass es sich um solche Kleinigkeiten gehandelt hat. Da hat man sich praktisch für den Bundespräsidenten fremd geschämt. Wenn er wenigstens so einen richtig großen Deal gemacht hätte, aber es ging ja immer um so kleinen spießigen Kram.
Das ist dann so etwas wie die Faszination des kleinen Grauens.
(Lacht) Ja, so in etwa. Vielleicht muss man sich auch mehr um Hannover kümmern. Bei meiner Buchpremiere gestern war auch jemand aus Hannover da. Der hat gesagt “da kommt das alles her, das Böse…. die Scorpions und alles”.
Kannst Du Dir auch eine Kolumne beziehungsweise ein Buch mit dem Titel “Schnauze, Ossi!” vorstellen?
Ich habe schon eine fertig, die heißt genau so “Schnauze, Ossi!”. Man muss auch einfach mal der Gerechtigkeit halber dem Ossi den Mund verbieten. Weil mich tatsächlich Larmoyanz nervt. Speziell was so meine Generation betrifft. Ich kann es bei älteren Menschen noch nachvollziehen. Es nervt mich auch, wenn die Ostkarte aus taktischen Gründen gespielt wird, wie zum Beispiel bei der PDS… äh, ich meine die Linke.Ich hab’s schon verstanden… Wie lange kann man auf so was rumreiten, so wie es die Linke macht?
Ich habe das immer nur für Trotz gehalten. Das ist vorübergehend. Ich finde es bizarr, dass die Masse immer noch dieselben Leute wie früher sind. Und es ist schon bizarr und komisch, das die Linke jetzt die einzige Friedenspartei ist.
Wen wählst Du?
Ich wähle nicht mehr.
Jammer-Ossi!
Nö, das ist eine bewusste Entscheidung. Ich wähle nicht mehr, seit die Grünen in den Krieg gezogen sind. Da war das mit Bündnis90 und den Grünen vorbei. Seitdem wähle ich nicht mehr.
Das heißt, Du hast niemanden mehr zum Wählen?
Nein, ich habe niemanden mehr zum Wählen. Womit wir wieder beim Jammer-Ossi wären. Aber ich finde auch das Wort Verbitterung nicht so schlimm. Denn was man sich vorgestellt hat von Demokratie, von Freiheit, von dem ganzen politischen System war schon anders, als das, was man jetzt nach und nach kennengelernt hat. Manche Westfreunde sagen auch “na, bist Du naiv, das ist eben so und so, und da geht es um bestimmte Interessen”.
Ich bin da immer noch ehrlich enttäuscht von solchen Sachen. Wie zum Beispiel, dass die Grünen in den Krieg ziehen oder von dem Hartz-IV-System, von der SPD. Da stimmt dann plötzlich alles nicht mehr, was man sich so vorgestellt hat. Und auch das System, in dem wir leben, gaukelt uns viel mehr Demokratie vor, als eigentlich vorhanden ist. Das macht auch Enttäuschung aus und sorgt dafür, dass man nicht wählt. Und da bin ich auch nicht alleine.
Glaubst Du eigentlich, dass es im Osten mehr Duckmäusertum gibt als im Westen?
Das hat schon was mit dem Selbstbewusstsein zu tun. Hier im Osten warst Du mehr Herdentier und da war es am besten, weder positiv noch negativ aufzufallen. Ich musste auch erst lernen, mich im Restaurant zu beschweren. Ob das nun Duckmäusertum ist, weiß ich nicht. Eher eine Zurückhaltung. So nach dem Motto “die Kellnerin kann ja auch nichts dafür”.
Aber dafür hat der Ostdeutsche eine gesunde Portion Selbstironie.
Die er auch braucht und die dem Wessi durchaus abgeht.
Können die Ossis immer noch über sich selbst lachen oder ärgern sie sich, wenn man über sie lacht?
Ich glaube, das sind sie gewöhnt. Vielleicht sind die Sachsen da auch anders als andere Ossis.
Du bist jetzt wieder seit zehn Jahren in Leipzig und arbeitest in fester Anstellung beim “Stern”?
Ja, das ist richtig.
Und über was beschwerst Du Dich dann? Du hast doch alles!
(Lacht) Persönlich beschwere ich mich eigentlich gar nicht. Ich habe einen guten Job und darf die dafür auch noch beschimpfen für die ich arbeite, eigentlich kann ich mich nicht beschweren. Also, das muss ich mal zugeben, bei aller Kritik am Westen, das hätte es im Osten nicht gegeben.
Vielen Dank für das Interview, war wirklich nett.
Schnauze, Wessi!
Leipzig liest. “Schnauze Wessi” – diesmal im Westen (von Leipzig)
Sonnabend, den 17.3.2012, 16 Uhr
Das Fundbuero – Wächterladen
Georg-Schwarz-Str. 14
04177 Leipzig
www.dasfundbuero.org
www.facebook.com/schnauze.wessi
Zur Buchrezension vom 1. März 2012 auf L-IZ.de
30 Kolumnen jetzt zum Einstecken und Verschenken für alle Besser-Dingsdas: Schnauze Wessi
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