Wie macht man Politik? - Man dreht ein paar Zahlen so, dass eine starke Botschaft herauskommt. Die verkündet man dann mit breiter Brust und geht einfach davon aus, dass die Presse den Quatsch dann genauso als Titelzeile verwendet. Etwa so: "Drogenkriminalität nimmt laut Polizeistatistik in Sachsen stark zu". Wie "LVZ online" titelte. Die Printausgabe der LVZ schwärmte am Mittwoch, 20. Februar, wieder von der "Kriminalitätshochburg Leipzig". Prima. Prima falsch.

Dabei bekommt man auch im Hause LVZ die täglichen Polizeimeldungen auf den Tisch und hat seit über einem Jahr jeden Tag mitlesen können, mit welchem Fleiß zum Beispiel Leipzigs Polizei Jagd auf die hiesige Drogenszene machte. Das ist ihr Job. Und normalerweise müsste ihr Vorgesetzter, der Innenminister Markus Ulbig (CDU), wissen, wie dieser Job die Zahlen beeinflusst. Ganoven und Polizisten leben ja nicht in verschiedenen Welten. Und die Fallzahlen steigen nicht nur, wenn die Gangster aktiver werden. Sie steigen auch dann, wenn der Polizeichef anweist, den Druck auf ein bestimmtes kriminelles Milieu zu erhöhen.

Und genau das hat Leipzigs Polizeipräsident Horst Wawrzynski vor über einem Jahr getan. Was dann schon im Frühjahr dazu führte, dass er nicht nur vermehrt Dealer und Konsumenten aus dem Rauschgiftmilieu auf seinen Wachen hatte, einkassiert bei diversen Großrazzien. Es hat auch binnen kürzester Frist zu einer Verknappung der Ware geführt. Denn jeder “Sensationsdrogenfund” der Polizei sorgt dafür, dass auf dem Leipziger Drogenmarkt die Rauschware knapper wird – damit teurer und unerschwinglicher. Logische Folge: Die Beschaffungskriminalität nimmt zu. Der Anstieg der von der Polizei registrierten Fallzahlen Rauschgiftkriminalität korrespondiert mit dem Anstieg der Zahlen bei Diebstahl, Einbruch und Betrug.

Und man kann eigentlich davon ausgehen, dass Markus Ulbig diese Zusammenhänge kennt. Und dass er am Dienstag, 27. Februar, mit Absicht von einem “alarmierenden Anstieg” sprach. Vielleicht, weil er endlich ein gutes Argument braucht, dem Finanzminister die geplante Kürzungsrunde bei der Polizei auszureden. Denn eine Polizei, die sich einem steigenden Kriminalitätslevel ausgesetzt sieht, kann man nicht gut eindampfen, so wie das mit der nächsten Polizeireform geplant ist.

“Sachsens Polizei hat 2011 eine starke Zunahme der Drogenkriminalität registriert”, plauderte denn “LVZ online” dem Innenminister hinterher. Vielleicht hat’s auch der Azubi geschrieben. Tatsächlich registrierte die Polizei nur einen Anstieg der aktenkundigen Fallzahlen.

Auch wenn es das Innenministerium in seiner Pressemitteilung ebenso lax formulierte: “Die Anzahl der Rauschgiftdelikte stieg um 15 Prozent auf 8.096 Fälle an. Die Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge erfasste die meisten Rauschgiftdelikte (1.636 Fälle), gefolgt von den Polizeidirektionen Leipzig (1.458 Fälle), der Polizeidirektion Oberes Elbtal-Osterzgebirge (1.209 Fälle) und Dresden (1.054 Fälle). Die wenigsten Rauschgiftdelikte registrierten die Polizeidirektionen Südwestsachsen (964 Fälle) und Westsachsen (736 Fälle). Im Jahr 2011 wurden im Freistaat 12 Rauschgifttodesfälle registriert, das Durchschnittsalter der Toten lag bei 31 Jahren, das jüngste Opfer war 24 Jahre alt. Im Jahr 2010 waren es 24 Rauschgifttote.”

Einfach mal den zugehörigen Wikipedia-Artikel “Drogenkriminalität” zitiert: “Die Strafverfolgung auf dem Gebiet der Drogenkriminalität wird wesentlich durch das Verhalten der Polizei bestimmt. Im Unterschied zu vielen anderen Deliktsbereichen handelt es sich nämlich bei Drogendelikten um sogenannte opferlose Straftaten, bei denen die Anzeigeerstattung durch Dritte eine nur sehr geringe Rolle spielt, so dass für die offizielle Registrierung und förmliche Sanktionierung dieser Delikte das proaktive Vorgehen der Kontrollinstanzen von ausschlaggebender Bedeutung ist.”

Proaktiv. So heißt das.Und wie liest sich so etwas im täglichen Polizeibericht? – So etwa, wie am gestrigen 29. Februar 2012:

“Gegen Betäubungsmittelgesetz verstoßen
Ort: Dieskaustraße, Kleinzschocher
Zeit: 28.02.2012, gegen 23:00 Uhr
Polizeibeamte auf Streife bemerkten gestern Abend einen polizeilich gesuchten jungen Mann (21), der auf einem Fahrrad auf ein Grundstück fuhr. Sie folgten ihm und sahen ihn dann in eine Wohnung eines Mehrfamilienhauses gehen. Auf ihr Klingeln öffnete ihnen offenbar der Mieter. Da sich in der Wohnung, außer dem 21-Jährigen, nicht nur insgesamt fünf Personen befanden, sondern daraus auch starker Cannabisgeruch drang, forderten die Beamten Verstärkung durch Kollegen an. Ein Betreten der Wohnung wurde ihnen jedoch verweigert, so dass dann auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Leipzig die Durchsuchung des Mietbereiches erfolgte. Die Polizisten kontrollierten daraufhin die Ausweise von einer Frau (21) und vier Männern (20, 23, 23, 33), von denen der 20-Jährige der Wohnungsinhaber ist. Es stellte sich heraus, dass der 33-Jährige zur Fahndung ausgeschrieben ist. Er und der 21-jährige Leipziger wurden vorläufig festgenommen und zum Polizeirevier gebracht. Die Beamten fanden zudem in der Wohnung ein Tabak-Cannabisgemisch. Gegen den Wohnungsinhaber sowie einen 23-jährigen Leipziger wird jetzt wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ermittelt.”

Es ist schon erstaunlich, wohin ein polizeilich gesuchter junger Mann auf dem Fahrrad die Leipziger Polizisten so alles führt. Und diese Art Meldungen gibt es in Leipzig praktisch jeden Tag.

Und genau diese Arbeit spiegelt sich in den Leipziger Kriminalitätszahlen und der Steigerung von 60.534 Fällen im Jahr 2010 auf 64.728. Von den 8.096 in Sachsen erfassten Fällen von Rauschgiftdelikten waren übrigens 6.307 so genannte allgemeine Verstöße, 1.172 mal ging es um illegalen Handel und Schmuggel, 56 mal um illegale Einfuhr.

Viel interessanter die Zahl der aufgeklärten Fälle. Denn die Zahl der aufgeklärten Fälle von Handel und Schmuggel stieg von 868 auf 1.087 und bei den illegalen Einfuhren von 37 auf 55. Das sind deutliche Steigerungen und gehen direkt auf die polizeilich verstärkte Arbeit zurück. Hier ist der Grund dafür zu suchen, warum die illegale Ware knapp und teuer wurde und eine richtige Welle von Beschaffungskriminalität ausgelöst hat. Süchtige werden ja nicht einfach “clean”, bloß weil die Polizei den Markt gereinigt hat.

Und so stieg in Leipzig 2011 die Zahl der Diebstähle in und aus Kfz um 621 (+ 17,0 % ), die Zahl der Ladendiebstähle um 567 (+ 14,1 %), die der Betrugsfälle um 1.624 (+ 13,8 %).

“Besonders interessant ist der Verweis des Innenministers auf den erheblichen Anstieg der Rauschgiftdelikte. Wenn wir dabei beachten, dass dies ein Kontrolldelikt ist und dieser Anstieg trotz weniger verfügbarer Polizeibeamter im Freistaat so gravierend ist, dann will ich nicht darüber nachdenken, wie die Kriminalstatistik aussähe, wenn wir ausreichend Polizistinnen und Polizisten auf der Straße hätten, die kontrollieren würden”, kommentierte Rico Gebhardt, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag, am Dienstag die Zahlen. Und interpretiert sie erstaunlicherweise falsch: Die Zahlen sähen nämlich genau so aus. Eben weil die Polizei hier nur zu Anzeigen kommt, wenn sie kontrolliert.

Wenn sie nicht kontrolliert oder nicht präsent ist, sinken die Zahlen logischerweise. Insofern ist Gebhardts Warnung vor dem Polizeiabbau berechtigt.

Denn jetzt muss beantwortet werden, wie sicher Sachsen künftig noch sein wird.

Markus Ulbig: “Die Kriminalität im vergangenen Jahr bewegt sich auf dem Niveau der Vorjahre. Hier nimmt Sachsen bundesweit einen der sichersten Plätze ein. Mein Dank richtet sich besonders an die sächsische Polizei, die durch ihre professionelle Arbeit an diesem Ergebnis maßgeblich Verdienst hatte.” Und genau diese professionelle Arbeit stellt er mit seiner undurchdachten Polizeireform völlig in Frage.

PKS 2011 Jahresüberblick: www.medienservice.sachsen.de

Die Grafiken zur Kriminalitätsstatistik als PDF zum download.

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