Das in Hannover ansässige Pestel-Institut versteht sich als Forschungsinstitut und Dienstleister für Kommunen, Unternehmen und Verbände und nimmt gern demografische Trends unter die Lupe. Vor einem Jahr erschreckte das Institut die Leipziger Wohnungswirtschaft mit der Prognose, es würden bis 2020 über 14.000 altengerechte Wohnungen in Leipzig fehlen. Nun hat es einen anderen Aspekt beleuchtet: die zunehmende Altersarmut.
Das Pestel-Institut prognostiziert eine erheblich zunehmende Altersarmut in Leipzig. Demnach werden im Jahr 2020 mehr als 11.200 Rentner in Leipzig auf die staatliche Grundsicherung im Alter angewiesen sein. Ihre Zahl würde damit noch in diesem Jahrzehnt dramatisch steigen – um nahezu 420 Prozent.
“Das soziale Netz wird die meisten 55- bis 65-Jährigen, die heute von Hartz IV leben, im Rentenalter auffangen müssen. Wir werden damit auch in Leipzig einen deutlichen Anstieg der Altersarmut erleben”, sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut. Immer mehr Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiografien gingen in Rente. Phasen von Arbeitslosigkeit, Niedriglöhne und dauerhaft geringfügige Beschäftigungen seien dabei für sinkende Rentenbezüge bei Neurentnern verantwortlich. Ebenso eine nur geringe oder keine Altersvorsorge bei vielen Selbstständigen. Auch dies führe zu einer wachsenden Altersarmut.
Gemessen am Bundesdurchschnitt stuft das Pestel-Institut die zu erwartende Altersarmut in Leipzig im Jahr 2020 als “erhöht” ein. Im Fokus der Berechnungen steht das bezahlbare Wohnen im Alter. Die Untersuchung erfolgte im Auftrag der Initiative “Impulse für den Wohnungsbau”. Darin haben sich die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) und die Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) zusammengeschlossen.
“Wenn die Altersarmut in Leipzig zunimmt, dann müssen wir über neue Wohnformen nachdenken. Das heißt konkret: kleinere, energieeffiziente und altengerechte Wohnungen für Senioren. Das spart Miete und Heizkosten”, meint Matthias Günther. Bezahlbar seien für viele ältere Menschen, die alleine lebten, nur noch Wohnungsgrößen zwischen 30 und 40 Quadratmetern.
Die Botschaft, die dann irgendwie zu den Auftraggebern passt: Um Leipzig auf das Senioren-Wohnen vorzubereiten, müsse in den kommenden Jahren in erheblichem Maße neu und umgebaut werden. Andernfalls drohe eine “graue Wohnungsnot” – und damit die soziale Ausgrenzung Älterer beim Wohnen. Immerhin werde die Zahl der Rentner in Leipzig bis 2020 um 5,6 Prozent auf dann rund 125.100 steigen.Schon nach der letzten Pestel-Studie zu fehlendem altersgerechten Wohnraum in Leipzig hatte es entsprechenden Protest aus der Leipziger Wohnungswirtschaft gegeben. Immerhin investieren derzeit fast alle Wohnungsgesellschaften in altersgerechten Wohnraum – und die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums für Zehntausende von Transfers abhängiger Mieter ist für Leipzigs Wohnungsanbieter auch kein neues Thema.
Ebenso wenig wie die Feststellung des Pestel-Instituts, dass ein Großteil der Senioren ein Interesse daran hat, möglichst lange in den eigenen vier Wänden zu wohnen.
“Es macht also Sinn, für Wohnformen zu sorgen, die es älteren Menschen erlauben, weitgehend selbstständig im Alltag klarzukommen”, sagt Matthias Günther. Hier seien Häuser mit kleinen Wohn-Appartements die ideale Lösung. “Die älteren Menschen können sich dabei gegenseitig im Alltag unterstützen und einen Teil ihrer Zeit gemeinsam verbringen – etwa in Gemeinschaftsräumen oder einer Gemeinschaftsküche.”
Dies sei eine gut umsetzbare Alternative zum Mehrgenerationenhaus. “Solche Gemeinschaftseinrichtungen beugen einer Vereinsamung im Alter vor. Und sie vermeiden, dass Ältere vorzeitig ins Heim müssen”, sagt Matthias Günther.
Auch deshalb rennt er in Leipzig eigentlich offene Türen ein. Das Problem ist nur eben – wie so oft – das fehlende Geld.
Deswegen fordert die Initiative “Impulse für den Wohnungsbau”, die die Studie in Auftrag gegeben hat, vom Bund dringend stärkere Anreize für das altersgerechte Sanieren und für den Neubau von barrierearmen Senioren-Wohnungen. Dazu müssten für das KfW-Programm “Altersgerecht Umbauen” in den kommenden Jahren mindestens 100 Millionen Euro jährlich zur Verfügung gestellt werden. Dieser Bedarf stehe jedoch im krassen Widerspruch zu dem, was die Bundesregierung derzeit plane. Die KfW-Mittel für diesen Bereich sollen nämlich noch in diesem Jahr auslaufen. “Dabei gibt es sie überhaupt erst seit gut zwei Jahren”, sagt Ronald Rast, Sprecher der Initiative “Impulse für den Wohnungsbau”.
Er kritisiert, dass der Bund sich auf den enormen Bedarf an Senioren-Wohnungen überhaupt noch nicht eingestellt habe. Die KfW-Mittel würden dringend gebraucht. “Einziger Haken an der Sache ist, dass in erster Linie nur zinsverbilligte Darlehen geboten werden – und das für Menschen, die 65 oder 70 Jahre alt sind. Wer bindet sich denn da noch an einen Kredit?”
Und da geht die Studie ebenfalls wieder ein klein wenig an der Leipziger Wirklichkeit vorbei: Nur über Investitionszuschüsse könne es gelingen, Senioren dazu zu bewegen, als Bauherren noch einmal privat zu investieren, meint Rast. Erst dann würden die Programme zum seniorengerechten Bauen greifen. “Nur mit einer festen Zusage für eine feste Summe lassen sich Ältere überzeugen, noch einmal in den altersgerechten Umbau zu investieren”, so der Sprecher der Initiative “Impulse für den Wohnungsbau”.
Wenn sie denn Wohnungseigentümer sind. Doch gerade die von Altersarmut Bedrohten sind es in der Regel nicht – und Geld, um eine Investition in den Wohnungsumbau zu tätigen, haben sie eher auch nicht.
Tatsächlich richtet sich das Förderprogramm an Besitzer von Ein- oder Zweifamilienhäusern, die im Haus Barrieren reduzieren wollen oder die ein frisch umgebautes Haus kaufen und mit Eigenmitteln altersgerecht umbauen wollen. Förderanträge nimmt die KfW-Bank dafür nur noch bis zum 16. Dezember entgegen. Und es ist wirklich nur ein Investitionszuschuss – wer schon jetzt kein Geld für die Altersvorsorge hat, ist nicht unbedingt der richtige Anwärter für diese Förderung.
Informationen zum Zuschuss “Altersgerecht Umbauen”: www.kfw.de
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