Was braucht es eigentlich, um ein Spielzeug für Kinder und Erwachsene auf den Markt zu bringen? Beim neuen sächsischen Holzspielzeug Ticayo reichten dazu ein mexikanischer Musikfan, ein Musiker, dessen WG-Kollege, Enthusiasmus und Mut. Endprodukt dieser Melange ist ein simples Holzspielzeug mit Suchtgarantie, hergestellt von Sachsen in Sachsen. Beim “Westpaket” und auf der “Modell-Hobby-Spiel” erlebbar in Leipzig.
Es passierte nach einem der zahlreichen Konzerte, die Tony Ramenda mit seiner Band auf der sechswöchigen Europatour spielte. Ein mexikanischer Fan kam nach dem Gig zur Band, man tauschte sich aus, erst über Musik, dann über das Holzspielzeug, das fast aus der Hosentasche des Mittelamerikaners fiel. Tony warf einen neugierigen Blick drauf, der Mexikaner ließ sich nicht lange bitten und fummelte den bunten Holzstab an dem eine Holzkugel mit einem Faden befestigt war, aus der Tasche. Er erklärte Tony noch kurz, dass er probieren muss, die baumelnde Kugel auf den Holzstab zu bekommen und dann legte der gebürtige Bischofswerdaer auch schon los, probierte und probierte, nur selten gelang es ihm. Trotzdem war er fasziniert. Am Ende des Abends tauschten die beiden CD gegen Spielzeug. Nach seiner Rückkehr nach Chemnitz interessierte Ramenda das Spielzeug allerdings herzlich wenig. Achtlos lag es in der neuen WG mit Matthias herum und fristete ein kümmerliches, einsames Dasein.
Eine simple Faschingsparty zu der alle im Hippiestyle kommen sollten, ebnete den Weg für seine Renaissance. “Ich habe einfach alles geschnappt, was bunt und schrill aussah und habe den ganzen Abend mit dem Ding gespielt. Es war der Partygag”, erinnert sich Tony. Erst jetzt befassten sich Tony und sein neuer Mitbewohner Matthias Meister intensiver mit dem geheimnisvollen Spielzeug aus “Fernwest” und finden heraus, dass es in Mittel- und Südamerika mal groß in Mode war, aber mittlerweile nur noch von wenigen Leuten gespielt wird. Weil gleichzeitig die “Spielsucht” in der WG um sich griff, baute Tony das Spielzeug kurzerhand aus einem alten Trommelstock und einem Stück Holzbalken von einem Hochbett nach damit auch Matthias sein eigenes bekam. Der Prototyp des Spielzeugs, das am Ende Ticayo – ein Kunstwort – heißen wird, war geboren.
Im Gegensatz zu dem traditionellen mexikanischen Spielzeug mit dem alles begann, konnte man hier die Kugel durch die Luft wirbeln und auf beiden Seiten des Trommelstabs aufsetzen lassen. Unfreiwillig hatten beide das Spiel weiterentwickelt. “Jetzt macht es aber noch mehr Spaß. Nachdem Tony das Ticayo gebaut hatte, wollten wir mehr davon und es auch an Freunde weitergeben”, erklärt Matthias. Die beiden damals 25-Jährigen stellten ihr Leben komplett um und widmeten sich fortan ihrem “Spiel(zeug)trieb”. Tony, der als Logopäde arbeitete, und Matthias, der gerade seinen Master in Geografie machte, kurvten zuerst ins Erzgebirge und suchten dort nach Firmen, die ihnen bei der Produktion helfen könnten.
“Familie, Freunde und auch Firmen haben uns am Anfang überhaupt nicht ernst genommen”, so Tony, doch den beiden war das egal. Mit viel Akribie und Enthusiasmus verfolgten sie ihren Plan und fanden schließlich in Seiffen einen Drechsler, der die Herstellung des Stabes und der Holzkugel übernahm. Nach mehreren Prototypen war das richtige Gewichtsverhältnis zwischen Kugel und Stab und die richtige Länge des Fadens gefunden. Auch eine Seilerei, die den Bindfaden liefert, trieben die beiden auf. Nur zusammenstecken mussten sie die ersten 1.000 Stück selbst. “Freunde haben wir regelmäßig zu Bastelpartys in einen alten Proberaum meiner Band eingeladen. Hier haben oft nachts bis zu zehn Leute Ticayos zusammengebastelt”, berichtet Tony.
Mittlerweile macht das die Lebenshilfe Chemnitz. Eine Behindertenwerkstatt. Dass nur Firmen oder Institutionen aus Sachsen an der Produktion beteiligt sind, ist kein Zufall. “Uns war es wichtig, dass wir ein regionales Produkt schaffen, dass nachhaltig produziert wird. Es soll nichts exportiert werden müssen. So ist unser Spielzeug einhundertprozentig sächsisch”, so Matthias. Die beiden hatten es ins Spielzeuggeschäft geschafft – mit einer Spielidee, die so simpel wie genial ist.
Nicht nur ist es nicht so einfach, diese baumelnde Kugel durch einen Impuls auf dem Holzstab zu balancieren, man kann auch irgendwann eine Reihe von Tricks mit dem Ticayo vollführen, den Holzstab in die Luft werfen, auffangen und dann die Kugel auffangen oder die Kugel aufgesetzt lassen und dann durch Impulse immer wieder freigeben und erneut fangen. Mehr als drei Quadratmeter Platz braucht man dafür nicht, das Ticayo ist handlich, es kann an der Haltestelle ausgepackt werden, im Park oder vor dem eigenen Schreibtisch, so wie es Tony macht. “Seitdem wir uns dem Geschäft komplett verschrieben haben, sitze ich viel am Schreibtisch. Wenn es mir reicht, stehe ich auf und tic(ke) ein wenig.” Tic(k)en ist das passende Verb zum Spielzeug. Es ist nicht nur abgeleitet von Ticayo, sondern auch in gewisser Weise eine Lautmalerei, denn jedes Mal wenn die Kugel auf dem Stab aufsitzt, gibt es ein kleines Tic(k)en.
Seit Mai läuft die Produktion, die ersten 1.000 Ticayos, die noch des nächtens entstanden waren, sind schon lange irgendwo in Deutschland unterwegs. Jetzt wollen sie nachlegen, machen das Spielzeug seit Mai auf Spielzeugmessen in Deutschland bekannt.
Für Kinder ab acht Jahren ist es geeignet, und auf den bisherigen Messen zeichnet sich schon ab, dass die Kids von heute, nicht nur am Computer Gefallen finden. “Die Kinder kommen und spielen und spielen und spielen. Wir haben aber auch schon von Vätern gehört, die es ihren Kindern gekauft hatten und dann lieber selbst spielten.”
Am Wochenende kommen beide mit einem Stand zum “Westpaket” in den Leipziger Westen, kommendes Wochenende dann zur “Modell-Hobby-Spiel”. “Wir haben unser Leben vollends auf das Spielzeug ausgerichtet. Etwas Schöneres als diese Arbeit gibt es im Moment nicht.”
Den Mexikaner hat Tony übrigens nie wieder gesehen.
Info:
Auf der “Modell-Hobby-Spiel” sind Tony Ramenda und Matthias Meister mit ihrem Spielzeug am Stand vom Spieleladen “Capito” in der Messehalle 2, M 23 zu finden.
Keine Kommentare bisher