Es sei die Zeit, grundsätzliche Fragen zu stellen, sagt der Journalist Christoph Ruf im L-IZ-Gespräch. In seinem jüngsten Buch "Was ist links?" plädiert er für einen echten Politikwechsel, der nur mit Rot-rot-grün möglich sei. Denn "Rote und Grüne haben sieben Jahre lang nachgewiesen, dass sie ein Korrektiv von links brauchen", so Ruf.
“Eineinhalb Jahre unter Linken sind anstrengend, keine Frage.” So das Fazit Ihrer Rundreise durch ein politisches Milieu. Mal ehrlich, wie schlimm war’s denn?
Danke der Nachfrage. Schlimm war es natürlich überhaupt nicht, im Rückblick sowieso schon mal nicht. Als schlimm habe ich allerdings manche Parteitage in Erinnerung. Mir war nicht klar, wie quälend lang so ein Wochenende sein kann. Ich bin allerdings auch ein furchtbar ungeduldiger Mensch.
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin verkündete in einem Interview zu Ostern, es gebe kein linkes Lebensgefühl. Welche Erfahrungen haben Sie seit Herbst 2009 gewonnen?
Die gegenteilige, und ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist. Denn Trittin spricht da als Volks-Partei-Funktionär, berauscht von der Wahl in Baden-Württemberg. Und in meinem Bundesland wurden die Grünen von vielen stockkonservativen Menschen gewählt – auch weil Kretschmann als Katholikenfunktionär, Verbindungsstudent und Schützenvereinsmitglied wirklich nicht viel linkes Lebensgefühl ausstrahlt.
Eine Stufe unterm Lebensgefühl sehe ich aber durchaus Verbindendes. Gehen Sie mal in ein bayrisches Dorf, in dem 70 Prozent CSU wählen. Diejenigen, die finden, dass es auch mal egal sein darf, was der Pfarrer oder der Nachbar denkt, sind die, die sich selbst als Linke sehen. Und die dann oft mit 18 wegziehen – dorthin, wo mehr Linke leben. Und selbst Trittin würde nicht bestreiten, dass das Leben am Connewitzer Kreuz nach anderen Regeln funktioniert als das in Altötting.
Welche Themen spielen bei den linken Frauen und welche bei den linken Männern ihrer Einschätzung nach eine Rolle, und welche werden es in Zukunft sein? Kurz: Schätzen die Geschlechter die politischen Lage und die Konsequenzen daraus unterschiedlich ein?
Puh, ich fürchte, dazu kann ich nichts Vernünftiges sagen, unter diesem Blickwinkel habe ich nicht recherchiert, was sicher eine Unterlassungssünde ist.
Welchen Kernunterschied sehen Sie perspektivisch im Unterschied Ost-West, oder wird es den Unterschied bald nicht mehr geben?
Den wird es noch sehr lange geben, nur Heuchler stellen in Abrede, dass Deutschland immer noch aus zwei Teilen besteht. Es ist immer wieder erbaulich zu sehen, welchen Überlebenswillen die wechselseitigen Klischeevorstellungen haben. Ich fühle mich im Osten bei politischen Diskussionen in bis dato unbekannten Runden deutlich wohler. Warum mir soziale Gerechtigkeit wichtig ist, brauche ich dort seltener zu begründen.
Andererseits ist spürbar, dass “68” im Westen gewirkt hat. Ich bin zum Beispiel immer wieder überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit viele Gleichaltrige berichten, dass sie als Kind immer wieder geschlagen wurden. Perspektivisch wird sich einiges angleichen. Ein Beispiel: Abgehängte Regionen gibt es längst auch im Westen. Und eine durch nichts gedeckte, rein subjektive Beobachtung: Leipzig, Jena oder Erfurt sind längst dynamischer und vielfältiger als Düsseldorf oder München.
Die Zeiten altbürgerlichen Hochgefühls und linker Depression, wie sei nach der letzten Bundestagswahl vielerorts zu greifen waren, scheinen vorbei. Das beständige Hoch der Grünen beschert in Umfragen seit langem stabile rot-grüne Mehrheiten auf Bundesebene. Wie fit wären denn aus Ihrer Sicht diese Partner personell und inhaltlich momentan auf ein gemeinsames Regieren vorbereitet?
Die Grünen verblüffen mich immer wieder durch ihren ungezügelten Willen zum Regieren. Auch in der zweiten Reihe finden sich dort allerdings viele kompetente Fachpolitiker. Intellektuell und fachlich sind die Grünen gut dabei. Warum dann Claudia Roth in der ersten Reihe ist, muss man, glaube ich, genau so wenig verstehen wie das Phänomen Klaus Ernst. Es wäre ja mal schön, wenn die Delegierten sich vor den Wahlen auch mal mit Nichtmitgliedern über die Außenwirkung ihrer Flügel-Heroen unterhielten.
Was die SPD angeht: Bitte fragen sie mich in einem halben Jahr noch mal, ich habe mich ja auch im Buch als unerschütterlicher Optimist gegeben, der an das Gute in den Parteien glaubt. Im Moment stehe ich noch zu sehr unter dem Sarrazin-Schock, der eigentlich ein Nahles-Gabriel-Schock ist. Aber wie gesagt: Noch halte ich selbst die SPD für therapierbar.
“Ein echter Politikwechsel kann nur mit Rot-Rot-Grün zustande kommen”, schreiben Sie in Ihrem Buch. Wie weit sehen Sie denn wichtige Fragen der Wirtschafts-, Sozial-, Umwelt- und Friedenspolitik von diesen potenziellen Partnern schon miteinander durchbuchstabiert?
Afghanistan? Es geht nur noch um das “wann” des Abzuges. Mindestlohn? Wollen alle drei flächendeckend. Atomausstieg? Dito, und zwar schon vor Fukushima. Mein Hauptargument, als jemand, der sich 1998 sehr über den hoch verdienten Renteneintritt von Kohl gefreut hat, ist aber die bittere Enttäuschung danach.
Vieles, was Rotgrün gemacht hat, hätte die CDU nie durchsetzen können, weil die Opposition dagegen mobilisiert hätte. Rote und Grüne haben sieben Jahre lang nachgewiesen, dass sie ein Korrektiv von links brauchen. Auch, weil es Zeit wird, grundsätzliche Fragen zu stellen. Solche nach der Weltwirtschaftsordnung zum Beispiel. Oder danach, ob es ein Primat der Politik oder eines der Wirtschaft gibt. Das Grundgesetz ist da jedenfalls eindeutig.
Überhaupt fehlt es in Deutschland noch an Beispielen für gemeinsames erfolgreiches Regieren dieser Dreierformation. Die Bildung der Landesregierungen in Berlin, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz kamen nie ohne Seitenhiebe auf den ausgeschlossenen Dritten aus. Auch im Leipziger Stadtrat ist die Distanz in den letzten Monaten hörbar größer geworden. Wie sollte Vertrauensbildung untereinander und gegenüber dem Publikum denn erfolgen?
Schön wäre es, wenn von Klaus Ernst bis Sigmar Gabriel die Herren mal aus dem Sandkasten herauskämen und ihren Kleinkrieg beenden würden. Es ist ja lächerlich mitanzusehen, wie die Linke die SPD dafür kritisiert, dass sie nicht die Linke ist und wie traumatisiert man beim linken Flügel der SPD ist, dass “Oskar” die Partei damals verraten habe. Tragisch allerdings, dass seither Andrea Nahles den linken Flügel repräsentiert. Aber ich schweife ab.
Also: Raus aus der Kita und mal an der Basis umhören. Jede Wette, dass in beiden Parteien acht von 10 Mitgliedern begrüßen würden, wenn man sich sachlich über die Unterschiede streitet – im Wissen, dass die geringer sind als die zu anderen Parteien.
Hauptsache Arbeit: Ein Ausstellungsbuch über ein Thema mit brisanten Zukunftsaussichten
Wird das Jahr 2011 auch ein Jahr voller Arbeit …
30 Jahre Politik unterm spitzen Stift: Slamas “Anekdoten der Macht”
Der Leipziger Militzke Verlag veröffentlicht …
Wie die Mauer in den Köpfen entsteht oder Die Ostdeutschen in den Medien
Es war der 9. November 1989 …
Welche Eindrücke haben Sie an der Basis der drei Parteien gewonnen?
Ich war jedenfalls sehr positiv überrascht, wie stark die Zusammenarbeit vielerorts auf Ortsvereinsebene schon ist. Und wie groß die Unzufriedenheit mit der jeweiligen Parteiführung ist. Und was die Praxiserprobung angeht: Ich habe bei den Recherchen vom pfälzischen Landau über Hamburg bis ins Vogtland unzählige Orte gesehen, wo sich Linke, SPDler und Grüne prächtig verstanden haben und nicht den geringsten Zweifel hatten bezüglich der Schnittmengen hatten.
Das waren allerdings meist Zusammentreffen von Menschen unter 40 – was mir aber im Sinne meiner These lieber ist, als wenn ich das bei den Seniorenorganisationen festgestellt hätte. Wobei ich finde, dass jeder Dissens offen angesprochen werden sollte. Es ist schon erklärungsbedürftig, warum so viele Mitglieder der stolzen deutschen Sozialdemokratie wider ihre Überzeugung Schröders Sozialpolitik mitgetragen haben. Und es ist mehr als verwunderlich, dass die Reformer bei den Linken Herrn Külow manche Aussagen zu seiner Vergangenheit durchgehen lassen.
Christoph Ruf: Was ist links? Reportagen aus einem politischen Milieu, Beck, München 2011.
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