Diana Eichhorn arbeitet seit elf Jahren für die Opferberatungsstelle der RAA. Die Sozialpädagogin betreut im Auftrag der RAA Sachsen Opfer von Straftaten rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt. Im Interview mit L-IZ.de spricht sie über die Arbeit der Opferberatungsstelle, das deutsche Strafrecht und die Gewalt, vor allem an Menschen mit Migrationshintergrund.
Im Auftrag der RAA Leipzig betreut sie Betroffene von Beleidigungen, Mobbing, Diskriminierung aus Motiven gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Konflikten und Gewalt im Bereich von Migration, Integrationskonflikten, interkulturell-religiösen Konflikten, Traumatisierung durch Flucht und Migration sowie häuslicher Gewalt in binationalen/bikulturellen und Migrantenfamilien. RAA steht dabei für “Regionale Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien”.
Wie ist die Opferberatungsstelle der RAA Leipzig entstanden?
Die Beratungsstelle ist 1999 im Rahmen eines Maßnahmenkatalogs zur Eindämmung politisch motivierter Jugendgewalt konzipiert worden, um insbesondere Opfer rechter Gewalt zu unterstützen. Darüber hinaus sind von Anfang an Migranten aus den verschiedensten Problemlagen heraus zu uns gekommen. Daraus haben sich die anderen Angebote dann mehr oder weniger entwickelt. Der Bereich “Beratung jugendlicher Opfer” hängt mit der spezifischen Förderung durch das Jugendamt zusammen und weil wir im Vergleich zu anderen Beratungsstellen auch aufsuchend arbeiten, das heißt, wir gehen auch in Schulen und erreichen dadurch Jugendliche, die sonst eher nicht den Weg in eine Beratungsstelle finden.
Sie sagten, dass der gesellschaftliche Fokus primär auf die Täter gerichtet ist?
Ja, so erlebe ich es. Letztendlich ist unser Strafrecht so konzipiert. Wir haben ein täterzentriertes Strafrecht. Der oberste Grundsatz ist, dass eine Verurteilung zweifelsfrei geschehen muss. Alle Motive, die Unsicherheiten bringen, sind zu Gunsten des Täters auszulegen. Für mich stellt sich das deutsche Strafrecht, wenn ich ganz emotional herangehe, als täterfreundliches Strafrecht heraus, weil die Rechte deutlich zu Gunsten der Täter verlagert sind. Ein Opfer ist nur ein Beweismittel.Was sollte sich Ihrer Meinung nach an dem täterzentrierten Strafrecht zu Gunsten der Opfer ändern?
Es hat sich schon vieles verbessert und es wäre viel getan, wenn sich diese Verbesserungen, die wir zum Beispiel seit dem 1. Oktober 2009 mit dem verbesserten Schutz von Opfern und Zeugen im Strafverfahren haben, konsequent umgesetzt werden würden. Es ist ein ganz normales Bedürfnis vieler Betroffener, dass sie nicht möchten, dass ihre persönlichen Daten den Tätern bekannt werden. In vielen Fällen ist das auch ein Gebot an die Sicherheit, weil es im Zusammenhang mit Anzeigeerstattung und Gerichtsverfahren auch zu Bedrohungen kommen kann. Das ist durch das neue Gesetz jetzt besser geregelt. Betroffene haben ein Recht darauf. Ich erlebe es aber immer wieder, dass es – obgleich es bei der Polizei gewünscht wird – nicht umgesetzt wird. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Opfer bereits bei der polizeilichen Vernehmung auf Unterstützungsangebote hingewiesen werden würden. Da ist viel in Bewegung und da gibt es auch sehr viele Polizisten, die das schon sehr gut umsetzen, aber es besteht noch viel Nachholbedarf.
Sachsens Justizminister Dr. Jürgen Martens (FDP) plädiert dafür, Strafrichtern die Möglichkeit zu bieten, Gewalttätern ein Distanzgebot zu ihren Opfern auferlegen zu können. Würde eine solche Regelung Gewaltopfern bei der Bewältigung ihrer psychischen Traumata unterstützen?
Ganz klar – ja.
Was können Sie den Betroffenen bieten, die sich an die Opferberatungsstelle wenden?Oberstes Prinzip ist, dass der Umfang der Unterstützungsleistung vom Betroffenen selbst bestimmt wird. Wir hatten schon Betroffene, die gesagt haben, sie bräuchten jemanden, der sie begleitet und ihnen hilft, ihren Lebensalltag wieder zu organisieren. Einen Schüler haben wir zum Beispiel jeden Tag von der Schule bis zur Straßenbahnhaltestelle gebracht, weil das der Ort war, wo sich die Taten abgespielt haben und der Weg für ihn immer noch mit Unsicherheiten verbunden war. Wir vermitteln kompetente Rechtsanwälte, organisieren finanzielle Hilfe, wir begleiten zu Gerichtsverhandlungen und wir bereiten die Verhandlungen mit den Betroffenen vor und nach. Unsere Aufgabe ist es, lebenspraktische Hilfe zu organisieren und die Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Behörden mit durchzusetzen. Wir sind behilflich, Tatzeugen zu finden.
Genügt das?
Vielen Betroffenen reicht die stabilisierende und zukunftsorientierte Unterstützung, die wir ihnen bieten können, nicht aus. Sie brauchen therapeutische oder spezielle traumatherapeutische Unterstützung. Dann sind wir behilflich, jemanden zu finden, der relativ schnell eine Therapie anbieten kann. Wir informieren, wie man Opferrechte und -ansprüche durchsetzen kann. Wir bieten Entlastung. Oftmals ist es wichtig, das soziale Umfeld mit einzubeziehen. Einerseits, weil es wichtig für die Unterstützung des Betroffenen ist, andererseits weil viele Angehörige und Freunde mitbetroffen und mitbelastet sind.
Darüber hinaus arbeiten wir präventiv im Umfeld von potentiell Betroffenen, indem wir dort Projekte und Informationsveranstaltungen anbieten. Weiterhin bieten wir Berufsgruppen, die mit Betroffenen arbeiten, Schulungen zu sozialen und rechtlichen Bedürfnissen von Opfern an.
Wir schulen Jura-Studenten und Rechtsreferendare, denn das werden die zukünftigen Rechtsanwälte, Staatsanwälte und Richter sein. Eine stärkere Konzentration auf die Bedürfnisse von Betroffenen und Opfern erreicht man nicht nur, indem man sie betreut, sondern indem man anfängt, die Leute zu sensibilisieren, die mit Opfern zu tun haben.
Wie sollte man sich verhalten, wenn man Opfer einer Gewalttat geworden ist?
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Man sollte sich Unterstützung suchen. Es ist immer gut, vorher zu diskutieren, was die klügsten Schritte sind. Wie gehe ich vor? Zum Beispiel bei einer Anzeigenerstattung: Setze ich mich auf irgendein Revier und warte oder verfasse ich meine Aussage schriftlich und gebe sie über einen Rechtsanwalt an die Staatsanwaltschaft? Im letzteren Fall habe ich die Garantie, dass alle Informationen, die ich geben möchte, nicht hinten runterfallen. Man sollte nach der Tat auch sofort an den Opferschutz denken.
Ich erlebe immer wieder, dass Betroffene falsche Vorstellungen oder zu viele Erwartungen von dem haben, was nach einer Anzeige passiert. An eine Anzeige sollte man immer bestimme Vorsichtsmaßnahmen knüpfen. Man sollte seine persönlichen Daten auf alle Fälle schützen lassen. Das ist, obwohl gesetzlich garantiert, immer noch schwierig durchzusetzen. Man muss überlegen, ob man dort, wo man wohnt, noch sicher ist. Viele der Leute, die zu uns kommen, müssen umziehen. Es ist darauf zu achten, dass Verletzungen und materielle Folgen dokumentiert werden. Es ist wichtig, auf Details zu achten, an die man als Laie nicht unbedingt denkt. Die eigene Sicherheit ist das Wichtigste. Von der Position aus müssen alle anderen Dinge geplant werden. Es ist gut, wenn man dabei jemanden an der Seite hat, der sagt, “Ich kümmere mich darum.”
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