400 Kilogramm schwer, zwei Meter groß, 80 Jahre alt: Zwei durchaus attraktive Leipziger Mädchen wurden am Freitag, 6. Mai, feierlich wieder enthüllt. Oberbürgermeister Burkhard Jung und Laurentius A. Hegeman, Geschäftsführer der Kondor Wessels Bauentwicklung GmbH, legten Hand an. Kein leichtes Stück Arbeit. Doch nun strahlen die Schönen wieder.

Das haben sie seit 70 Jahren nicht getan. 1943 verloren sie ihren Job. Da wurde ihr Haus, Markt Nummer 2, in Schutt und Asche gelegt. In alten Leipziger Geschichten ist noch der Name des Hauses erhalten: das Jöchersche Haus. Der Name erinnert an den Leipziger Ratsherren dieses Namens, der das Haus dereinst besaß. Einige solcher Prachtgebäude standen um den Markt herum. Hier zeigte man seinen Reichtum. Auch durch die barocke Opulenz beim Bau.

Das Haus wurde 1695 in seiner barocken Pracht erbaut – samt einem präsentablen Portal, über dem ein Balkon ruhte – und darauf standen die beiden Damen – die eine mit einer Schriftrolle in der Hand. Oder ist es ein Fernrohr? – Die andere hat einen Habicht in der Rechten. Und ein Reiher beißt sie in den linken Oberschenkel. Das könnte man – so der Bildhauer Dirk Brüggemann – durchaus als Symbole der Fruchtbarkeit deuten. Vielleicht sind’s Dianen, die da einst einluden, in Jöchers Haus zu kommen.Brüggemann hat die beiden Sandsteinfiguren im vergangenen halben Jahr restauriert. Nicht nur den Ruß musste er entfernen von jener Bombennacht 1943. Die Statuen hatten sich auch voller Salz gesogen. Der Grund wahrscheinlich: Jahrzehntelang lagen sie, nachdem sie aus den Trümmern des zerstörten Gebäudes geborgen worden waren, auf dem Johannisfriedhof. Nicht einmal aufgebahrt. Sondern direkt auf der Erde. Da sogen sie sich Jahr um Jahr voll mit Salz, das jetzt in einem aufwändigen Verfahren wieder ausgewaschen werden musste.Seit 2000 lagen sie zumindest geschützt im Lager. Die Stadt wusste nicht, wohin damit. Ins Museum – eher nicht. Immerhin waren es nur Kopien der Originale von 1695. Die hatte in den 1930er Jahren der Leipziger Bildhauer Johannes Hartmann nach den Originalen angefertigt. Auch kein Unbekannter: Er war Schüler Max Klingers. Von ihm stammt die Schillerstatue in der Schillerstraße. 1914 hat er die geschaffen.

Als die Projektgesellschaft “Katharinum” mbH bei der Stadt anfragte, ob man solch historischen Gebäudeschmuck hätte, den man in das Katharinum integrieren könnte, war es das Kulturamt, das vorschlug, die beiden Plastiken vom Jöcherschen Portal zu nehmen. Eine glückliche Lösung. Denn zwar träumen auch Leipziger Architekten gern davon, die alte Häuserzeile gleich neben dem Alten Rathaus, wo eben das Jöchersche Haus die Nummer 2 war, wieder auferstehen zu lassen. Doch hier steht seit den 1950er Jahren der Wohnblock der LWB mit der Eisbar Pinguin. Hier ist an ein Revival der barocken Häuserfront nicht zu denken.

Nun bekamen die beiden Frauengestalten ihren neuen Standort also auf der Nordseite des neuen, seit 2009 erbauten Katharinums. Der erste Mieter zog hier zwar schon im September 2010 ein und 80 Prozent der Flächen sind schon vermietet, aber offiziell eröffnet wurde das ambitionierte Gebäude gestern. Mit Oberbürgermeister, Bürgermeistern, Stadträten, Architekten, Direktoren aller Art. Und mit Damenenthüllung. In lichter Höhe stehen die beiden wieder auf Säulen an jenem Teil des Katharinums, der die historischen Stile Leipziger Bürgerhäuser zitiert. Vier Zeitepochen werden im Katharinum architektonisch zitiert. Vier Architekturbüros waren hier am Werk. Das haben auch die Gutachter mehrfach positiv gewürdigt.

Das Wohn- und Geschäftshaus ist das erste in Leipzig mit der internationalen LEED-Zertifizierung. Stufe: Gold. Das ist die zweithöchste Stufe. Das bedeutet: Der Energieverbrauch liegt ein Drittel unter dem vergleichbarer Gebäude. “Und das wird jetzt immer wieder geprüft und geprüft”, sagt Leo W.A. de Man, Geschäftsführer der Projektgesellschaft “Katharinum” mbH, Tochtergesellschaft des holländischen Bauentwicklers Kondor Wessels. Zum Zertifikat kommt auch die regionale Herkunft der Materialien. Und das gesunde Leben und Arbeiten der Mieter. Ein Pilotprojekt. Noch so ein Gebäude in Leipzig bauen – für Leo W.A. de Man wäre das gut vorstellbar. Die Kontakte zur Stadt seien da.

Noch stünden zwar zwei Ladengeschäfte leer. “Aber für alle Flächen im Katharinum gibt es Interessenten”, sagt de Man. “Wir sind extrem stolz auf das Katharinum”, sagt er auch. Genauso, wie es wenig später Laurentius A. Hegeman sagt, nachdem er allen Mitwirkenden gedankt hat.

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Und nachdem Burkhard Jung erklärt hat, was es mit den gewichtigen Schönheiten auf sich hat, die da noch unter weißen Tüchern steckten, bevor es zum großen Akt der Enthüllung kam.

Und siehe da: Schön sind die beiden. Rätselhaft vielleicht auch, so lange kein Professor des Weges kommt und erklärt, was sie da oben nun wirklich tun, ob das etwas Anzügliches ist oder nur etwas Barockes. Ein neuer Ort in der Innenstadt, an dem den eiligen Passanten nun das Hochschauen empfohlen sei. Und sie werden staunen, wie leicht und zart die beiden Damen wirken, die jetzt zwar nicht überm Haupteingang thronen. Dafür direkt über der Glastür der Leipzig Information. Da hat man dann gleich jemanden, den man fragen kann, woher die beiden Schönen kommen.

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