Oststraße, Gottschedstraße, Haus des Buches - das Tanzarchiv Leipzig war schon an einigen Stellen beheimatet. Der jetzige Standort Ritterstraße war 2006 mit viel Geld hergerichtet worden, um ihm eine angemessene Dauerbleibe zu geben. Doch mit dem Übergang in die Universität droht das Aus.
Der Grund: die leidigen Finanzen. Die bisher nicht unüppige Förderung des Tanzarchiv Leipzig e.V. soll zurückgefahren werden. Als Alternative sind die Archive der Universität vorgesehen. Das Problem: Hier könnten die Bestände zwar gelagert werden, das Tanzarchiv aber wäre einer seiner Elementarfunktionen beraubt. Denn um es weiter öffentlich zugänglich zu machen, dafür fehlt das Geld. Oder besser: Dieses Geld soll eingespart werden.
Unterteilt ist diese heute noch lebendige Schatztruhe der deutschen und europäischen Tanzgeschichte in die Grundbereiche Schrift, Bild und Ton. Allein die Bibliothek ist mit 10.000 Werken gefüllt. Hier sind neben Büchern und Nachschlagewerken auch Musikalien und internationale Zeitschriften zum Thema Tanz gelistet.
Im Bildarchiv sind 9.000 Fotografien, 2.400 Dias, 1.200 Plakate, Skizzen und Zeichnungen sowie 4.500 Postkarten und 360 Kunstblattsammlungen zusammen gekommen. Auch das Tonarchiv ist von eindrucksvoller Statur: 3.000 Schallplatten, Kassetten, Tonbänder und CDs sind hier geordnet.
Besonders wertvoll ist das Filmarchiv, denn erst das laufende Bild hat es möglich gemacht, nicht nur die Tänzer, sondern auch die Bewegung als Kunstform festzuhalten. Kurt Petermann war der vielgereiste Mann, der in ganz Europa Tanz und Tanzkunst auf Zelluloid bannte und damit den Grundstein für die jetzige Sammlung legte. Sie umfasst heute 1.150 Filmrollen sowie 1.000 Videos und DVDs. Darunter auch Aufnahmen der Tanzpädagogen Jenny Gertz, Gret Palucca, Agrippina Waganowa und Jean Weidt.
Auch die Folklorebewegung der DDR ist dokumentiert. Wie sehr sie im Arbeiter- und Bauernstaat gefördert wurde, daran erinnert nur noch das Tanzarchiv.
Einstmals war die Sammlung ein Teil der Akademie der Bildenden Künste der DDR. Heute ist das Sächsische Ministerium für Wissenschaft und Kunst federführend. Hier wurde auch die Idee mit der Mittelkürzung erdacht. Wir wollten am 5. April wissen, was es aus Sicht des Kunstministeriums zu diesen Vorgängen zu sagen gibt.
Sprecherin Anett Hofmann schrieb am 6. April: “Die zwischen dem SMWK und der Universität abgeschlossene Vereinbarung sieht vor, dass die Universität einen neuen wissenschaftlichen Schwerpunkt entwickelt, zu dem auch das Institut für Theaterwissenschaft gehört, und dass die Universität das Tanzarchiv weiterführt. Damit wären auch die bisherigen in der Satzung festgelegten Aufgaben fortzuführen. Am Institut für Theaterwissenschaft gibt es neben Professuren für Theaterwissenschaft eine spezielle Professur für Tanzwissenschaft.”
Die Absprachen mit der Universität Leipzig beinhalteten, dass das Tanzarchiv als Einheit erhalten bleiben soll.
Hier kommt Patrick Primavesi ins Spiel. Er ist nicht nur Professor für Theaterwissenschaft an der Universität, sondern auch der ehrenamtliche Direktor des Tanzarchivs Leipzig. Sachlich nicht falsch, so seine Meinung dazu. Beim Interview mit der L-IZ am 11. April merkte er aber auch an, dass dies eben nur eine Seite der Medaille ist.
Primavesi: “Diese Vereinbarung ist nur zwei Seiten lang und sehr allgemein gehalten. Der in der Vereinbarung angekündigte Vertrag, in dem alles geregelt werden soll, ist bis heute nicht zustande gekommen. Obwohl offiziell diese Übernahme schon erfolgt ist – mit Jahresbeginn.” Man befinde sich also schon im Betriebsübergang – die eigene Förderung ist schon eingestellt worden. Erschwerend kommt aber hinzu: Die Universität ist zwar die neue Heimat – doch auch sie bekommt für die Pflege des neuen Schützlings kein Geld – eben das würde sich das Kunstministerium scheinbar gerne sparen.Die Krux an der Sache: “Gemäß Staatsvertrag über die Auflösung der Akademie der Künste der ehemaligen DDR vom 13. Dezember 1991, hier § 5 Abs. 3, bestimmt der Freistaat Sachsen, wie die Bestände des Tanzarchivs Leipzig künftig genutzt werden.” Dem Land steht es also frei, ob es das Archiv nur lagert oder Geld in die Hand nimmt, um es öffentlich zugänglich zu machen.
Einigung tut trotzdem Not – denn gibt es keine Lösung, droht dem Tanzarchiv die Zerschlagung. Denn jene Teile, die nach 1993 in seine Sammlung gewandert sind, sind nicht Eigentum des Freistaates, sondern des Tanzarchiv e.V. Dass der zum Beispiel den Nachlass von Uwe Scholz zum Wegschließen aus der Hand gibt, ist nicht zu erwarten. Das wiederum kollidiert mit der Vorgabe, dass das Archiv als Einheit erhalten bleiben soll.
Komplizierte Situation – mehr Erklärung aus Tanzarchiv-Sicht gibt es im Audio-Interview mit Patrick Primavesi. Neben dem Einblick in die Geschichte und die aktuelle Lage geht es auch um die Frage: Welche Verantwortung will der Freistaat für diesen kulturellen Schatz übernehmen?
Sammlung im Netz: www.tanzarchiv-leipzig.de
Keine Kommentare bisher