Leipzig und seine Drogenpolitik. Es ist ein altes Thema. Es ist ein Thema, das sich scheinbar verschärft. Wer die täglichen Polizeimeldungen liest, bekommt den Eindruck, dass gewalttätige Überfälle zunehmen. Es könnte mit Drogen zu tun haben, deutete Leipzigs Polizeipräsident Horst Wawrzynski an. Am 19. Februar in der Bild-Zeitung.

Das hat weder in Leipzig noch in Sachsen tatsächlich jemanden interessiert. Denn Ähnliches stand in der großen Boulevardzeitung auch schon vorher des öfteren zu lesen. Mal im Zusammenhang mit dem Drogenbericht der Stadt (“Drogenhauptstadt!”), mal mit der Kriminalitätsstatistik. Stets mit einem krittelnden Unterton der Drogenpolitik der Stadt Leipzig gegenüber. Meist war sie der Hauspostille der Schlappenträger zu lasch, es wurde nicht genug durchgegriffen.

Ob Horst Wawrzynski in dem Interview der Zeitung tatsächlich alles so gesagt hat, wie es da zu lesen steht, wird er selbst wissen. Richtig Fahrt bekam die Geschichte erst, als auch andere Medien auf den Köder ansprangen – und dieselben Vorwürfe wiederholten.

Die Sirene war auch im MDR-Tonfall unüberhörbar: “Die Angst der Leipziger Ladenbesitzer vor Überfällen jedoch wächst. Die Zahl der Raubzüge hat mittlerweile eine besorgniserregende Dimension erreicht: seit Jahresbeginn weit über 100 Raubdelikte. Friseurläden, Textilgeschäfte, Tankstellen und Einkaufsmärkte waren Ziele der Räuber. Sie tauchen einzeln oder zu zweit auf, bedrohen die Angestellten mit Messern und mit pistolenartigen Gegenständen und verschwinden dann mit dem erbeuteten Bargeld.”

Da kann man nur fragen: Wer will jetzt eigentlich die Leser, Zuhörer und Zuschauer veräppeln? Wer hat ein Interesse daran, die Leipziger Situation zu dramatisieren?

Immerhin wies ja Horst Wawrzynski selbst im Bild-Interview darauf hin, dass nicht der Drogenkonsum die Hauptursache für Kriminalität in Leipzig ist. “Die Hauptursache sehe ich in der Sozialstruktur”, sagte er der Zeitung mit der ganz besonderen Weltsicht. “Wir haben viele Menschen, die am Existenzminimum leben. Ein Großteil der Täter ist drogenabhängig, kann sich die Sucht nicht finanzieren, begeht deshalb Straftaten.”

Da hakte die Zeitung nach. Ist ja eins ihrer Lieblingsthemen. “Sie sagen, dass auch die Drogenpolitik der Stadt daran Schuld trägt …”

Hat er im veröffentlichten Interview nicht gesagt. Vielleicht beim Plaudern mit der Redakteurin. Man stolpert also über einen erstaunlich schnellen Schluss. Der dann in die Antwort des Polizeipräsidenten mündet: “In Leipzig werden jährlich 2,3 Mio. Euro für Drogenberatung und Betreuung der Junkies ausgegeben, z.B. Spritzen kostenlos bereit gestellt. Gleich große Städte wie Nürnberg geben dafür nur 600.000 Euro aus.”

Womit dann scheinbar die Drogenpolitik der Stadt Leipzig schuld ist. Aber woran nur? Was bedeuten über 100 Raubüberfälle Anfang März für die Kriminalitätsstatistik der Stadt Leipzig?

Nur zur Erinnerung: Seit Jahren ist die Zahl aller Straftaten in Leipzig rückläufig. Besonders deutlich ist der Rückgang seit 2007 – von 64.855 auf 58.104 Straftaten im Jahr 2009. Die 2010er Zahl liegt noch nicht vor, könnte tatsächlich etwas höher liegen. Doch um so eine Zahl vergleichen zu können, muss man sie auf die Bevölkerungszahl umrechnen. Und auch die steigt. Was dann bedeutet, dass die so genannte Häufigkeitszahl ebenfalls sank.

Den größten Anteil aller Straftaten machen übrigens Diebstähle und diverse Vermögensdelikte aus.
Was den Polizeipräsidenten besorgt, ist das kontinuierliche Ansteigen der Raubüberfälle / räuberischen Erpressungen / Angriffe. Diese Zahlen stiegen auch in den Vorjahren bereits an, lagen auch im Jahr 2009 schon bei 594 Fällen im Jahr.

“Deutschlands Einbrecherhochburg ist Leipzig seit langem, jede 153. Wohnung in der Stadt ist bereits aufgebrochen worden. Werden wir jetzt auch noch die Hauptstadt der Räuber?”, hatte die Bildzeitung suggestiv gefragt. Und Horst Wawrzynski hat augenscheinlich geantwortet: “Leider ja. Bis heute gab es 98 Überfälle auf Senioren, Jugendliche, Läden und in Bussen und Straßenbahnen. Das sind zwei pro Tag! Schon 2009 hatten wir mehr Überfälle als München – und dort leben 2,3 Mio. Menschen. Das macht mir Sorgen.”

Kann er eigentlich nicht so im Zusammenhang gesagt haben. Denn Wohnungseinbrüche sind ein anderes Delikt als Raubüberfälle. Was stimmt, ist, dass auch die Zahl der Wohnungseinbrüche seit Jahren steigt – genauso gegen den Trend wie die Zahl der Raubüberfälle – von 1.427 Fällen im Jahr 2008 auf 1.670 im Jahr 2009.

Nur die Gleichsetzung mit drogenbestimmter Beschaffungskriminalität ist fragwürdig. Dazu reicht ebenfalls der Blick auf die Polizeistatistik der Jahre 2008 bis 2009: Die Zahl der – ebenfalls extra aufgeführten Rauschgiftdelikte – stieg zwar von 2005 bis 2006 von 1.247 Fällen auf 1.345, sank dann aber auf 1.147 im Jahr 2007 und 1.083 im Jahr 2009.

Woran aber weder Polizei noch Stadt etwas ändern können, ist die Tatsache, dass Leipzig aufgrund seiner für Mitteldeutschland nach wie vor verkehrstechnisch günstigen Lage der Hauptumschlagplatz für Drogen im mitteldeutschen Raum ist.

Die Zunahme der Raubüberfälle und Einbrüche korrespondiert also ganz eindeutig nicht mit der Entwicklung der Drogenkriminalität – auch wenn die dabei eine gehörige Rolle spielt. Aber sie korrespondiert mit der zunehmenden Armut vieler Leipziger und mit der selbst statistisch sich verschlechternden Einkommenssituation der Stadt. Entsprechend deutlich wies die Suchtbeauftragte der Stadt Leipzig, Sylke Lein, am Freitag, 4. März, darauf hin, dass der von den Medien beschworene Zusammenhang so nicht existiert.

“Die Zahl der Suchtkranken, die in den Leipziger Suchtberatungs- und Behandlungsstellen beraten und behandelt werden, ist in den letzten Jahren in etwa gleichbleibend”, stellte sie fest. Die Zahl der Opiatabhängigen war im Jahr 2010 sogar leicht rückläufig. Eine Zunahme von Klienten bzw. eine Sogwirkung der Beratungsangebote in Leipzig könne nicht bestätigt werden.

Und die Zahlen, die da in einem Vergleich mit Nürnberg kolportiert würden, hätten auch keine reale Grundlage.

Die Stadt Leipzig habe im Jahr 2010 für die Drogenprävention 1.653.510 Euro bereitgestellt. Die dazu im Vergleich zitierten Zahlen für Nürnberg (590.000 Euro) müssten – so die Suchtbeauftragte – um rund 1.965.000 Euro ergänzt werden, da im Freistaat Bayern, bedingt durch andere Strukturen, die Suchtberatungsstellen primär über das Sozialreferat des Bezirkes Mittelfranken finanziert werden. Dabei handele es sich ebenso um kommunale Mittel.

“Die Drogenpolitik der Stadt Leipzig unterscheidet sich nicht wesentlich von der anderer deutscher oder europäischer Städte. Sie orientiert sich an den Grundsätzen der Drogenpolitik der Bundesregierung und gründet auf den vier Säulen Prävention, Therapie und Beratung, Überlebenshilfen sowie Angebotsreduzierung und Repression. Diese sind bindend durch den Leipziger Stadtrat beschlossen”, so die Suchtbeauftragte. “Das Betreiben von Suchtberatungs- und Behandlungsstellen gehört zu den gesetzlichen Pflichtaufgaben der Kommunen.”

Und die Polizei ist in diese Arbeit eingebunden. “Die kommunale Drogenpolitik wird in interdisziplinärer Zusammenarbeit umgesetzt. Die Stadt Leipzig kooperiert mit den jeweiligen fachpolitischen Bereichen auf Bundesebene, des Freistaates Sachsen, mit der Landesdirektion, Krankenkassen, Rentenversicherungsträgern, mit Kliniken und niedergelassenen Ärzten, mit freien Trägern, Vereinen und Verbänden, der Polizeidirektion, Universitäten und Hochschulbereichen und anderen Institutionen.”Genauso sieht es auch die Stadträtin der Linken, Juliane Nagel: “Generell wirkt der von Horst Wawrzynski aufgemachte Zusammenhang zwischen qualifizierter Suchthilfepolitik, wie sie die Stadt Leipzig leistet, und den aktuell gestiegenen Einbruchs- und Raubstraftat-Zahlen hemdsärmlig. Dass 17 von 22 gefassten Einbrechern drogenabhängig sind, ist einerseits kein unbedingtes Beleg dafür, dass sie aus einem Drogen-Kontext kommen und es sich um drogenbezogene Beschaffungskriminalität handelt. Vielleicht sollte sich die Polizei lieber über die Entwicklung der sozialen Situation von Menschen in Leipzig Gedanken machen und im Problem wachsender Armut eine Ursache für Einbrüche und Raub ausmachen?”

Jürgen Kasek, Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Leipzig, verweist auf den Suchtbericht der Stadt Leipzig, an dem auch die Polizei mitschreibt. “Gerade vor dem Hintergrund des Berichts, den zum Teil die Polizeidirektion selber mit verfasst hat, ein solches Horrorszenario zu entwerfen, ist kaum nachvollziehbar”, betont Kasek. Auch im Bereich der Drogenpolitik gelte es, Prävention der Repression vorzuziehen. Es müsse verhindert werden, dass Menschen in die Sucht abrutschen. Dies gehe aber nur durch ein vernünftiges Netz aus Beratungsstellen und Präventionsangeboten. Leipzig arbeitet in diesem Bereich vernünftig.

Juliane Nagel weist auch darauf hin, dass Fälle der indirekten Beschaffungskriminalität, wie sie Einbrüche, Ladendiebstähle, Raubstraftaten oder auch Prostitution darstellen, von der Polizei nicht explizit erfasst werden. “Es existiert keine transparente und belastbare Statistik. Auch vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Äußerungen des Polizeipräsidenten in Zweifel zu ziehen.”

“Law and Order-Maßnahmen, wie sie Horst Wawrzynski massivst in die Debatte wirft, gehören längst in die Mottenkiste”, stellt die Stadträtin fest. “Es ist wissenschaftlich und praktisch erwiesen, dass eine einseitige Repressionspolitik gegenüber Süchtigen die Probleme keinesfalls löst, sondern im Gegenteil riskante Konsumformen fördert und die Betroffenen stärker in Beschaffungskriminalität und Untergrund zwingt, wo soziale und therapeutische Maßnahmen kaum noch greifen. Die gesellschaftlichen Folgekosten von Herrn Wawrzynskis repressiver Drogenbekämpfungspolitik wären in jedem Fall höher als die einer adäquaten Suchtkrankenhilfe: So summiert beispielsweise die Sächsische Landesstelle gegen die Suchtgefahren die jährlichen Folgekosten durch das Fehlen nur einer Fachkraft auf über 300.000 Euro.”

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Hilfreich ist die Kampagne tatsächlich nicht. Weder beleuchtet sie die Ursachen des Anstiegs der Zahl einiger auffälliger Deliktformen, noch ist auch nur ansatzweise eine Lösung des Problems sichtbar. Eine Lösung, die auch der Leipziger Polizeipräsident nicht hat, der von 60 neuen Beamten jetzt vier zusätzlich zur Bekämpfung der Drogenkriminalität einsetzen will. Sein Hauptproblem wird – wie in ganz Sachsen – der von der Politik gewollte Abbau der Polizeistärke werden. Er wird also auch in Leipzig mit weniger Polizisten einer steigenden Zahl sozial bedingter Straftaten gegenüber stehen.

Doch während all jene Politiker, die den Anstieg der Armutsdelikte eigentlich verursacht haben, dafür nie zur Verantwortung gezogen werden, steht der Leipziger Polizeipräsident im Fokus. Ihm werden steigende Fallzahlen gerade von jenen Politikern angekreidet, denen die Ursachen steigender Beschaffungskriminalität genauso herzlich egal sind wie die Finanzen der Stadt Leipzig.

Juliane Nagel: “Polizeipräsident Horst Wawrzynski muss aufhören, repressive Maßnahmen gegen Betreuungs- und Hilfeangebote auszuspielen! Im Suchtbericht der Stadt Leipzig aus 2010 bekennt sich die Polizeidirektion Leipzig selbst zu einer stärkeren Kooperation und Vernetzung beider Ansätze. Dieser Weg muss weiter beschritten werden.”

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