Man kennt die Täter noch nicht. Aber man kann sich vorstellen, wie sie stolz ihr Werk beschauten - irgendwann am letzten Wochenende in Lindenau: Mit grüner Farbe hatten sie die drei "Stolpersteine" vor dem Haus Lindenauer Markt 22 besprüht. Eine Tat, die sich einreiht in eine Serie.
Dieser Serie fiel in der Zeit zwischen dem 10. und 29. Januar die Gedenktafel zum Wegezeichen vor dem Gedenkort in der Kamenzer Straße 10 zum dritten Mal zum Opfer. “Geschändet”, schreibt Richard Gauch von der Gruppe “Gedenkmarsch” – Leipzig dazu. Aber vielleicht sollte man auf solche Worte langsam verzichten. Sie geben den Taten ein größeres Gewicht und mehr moralische Bedeutung, als sie wohl haben.
Unbekannte Täter hatten diesmal ein größeres Stück aus der Gedenktafel herausgebrochen und beseitigt. “Dies ist nun die 3. Schändung der Gedenktafel an der ehemaligen KZ-Außenstelle in der Kamenzer Straße 10 innerhalb von nur neun Monaten seit der Errichtung der Gedenkinstallation”, so Richard Gauch.
Große Worte. Vielleicht auch richtig – hätte das Vorgehen dieser meist nächtlichen Gestalten nicht eine so lange Vorgeschichte, die nicht erst ab 1989 begann und weder vor Gedenksteinen noch Grabsteinen halt machte. Erst wenn man der langen Liste dieser Vorgänge nachspürt, merkt man die Ohnmacht hinter den Taten, die Wut auf eine Gesellschaft, die Vielfalt lebt und die Opfer des Naziregimes mit seinen kleinstkarierten Machthabern überhaupt nicht bereit ist zu vergessen. Im Gegenteil: Immer wieder finden sich neue Spender, die das Verlegen neuer Gedenksteine für die Opfer des NS-Regimes ermöglichen. Steine zum Drüber-Stolpern.
Wo die einen angeregt werden zum Nachdenken, fühlen die anderen sich logischerweise in ihrem Verbunkertsein, in ihrer Angst vor allem Fremden und Anderen gemeint. Die Steine sind – auch wenn man nicht wirklich drüber stolpert – tatsächlich etwas, worüber mancher stolpert. Und wo er oder sie ihre Wut austoben. Wut auf genau das, was ihnen Angst macht: den Reichtum einer vielfältigen und toleranten Gesellschaft. Dass diese Steine genau so auch funktionieren, wissen die Mitstreiter der Gruppe Gedenkmarsch.
Sie wissen, dass die Stolpersteine, die an die Leipziger Opfer erinnern, welche vom Nazi-Regime verfolgt, deportiert und die schließlich zu Tode gekommen waren, gefährdet sind. In jeder Nacht, an jedem Tag. “Hunderte Leipziger BürgerInnen ehren seit mehreren Jahren, immer wieder zum 9. November, diese und somit auch alle anderen Opfer der NS-Diktatur mit einer Mahnwache an den Stolpersteinen, welche sie an diesem Gedenktag auch putzen”, erklärt Gauch. “Mit dieser Geste des Gedenkens werden symbolisch die Verbrechen der NS-Diktatur immer wieder sichtbar gemacht. So erinnern die Leipziger BürgerInnen an die vielen verschleppten Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, politisch und konfessionell Verfolgten, Homosexuellen und Euthanasieopfer. Im letzten Jahr wurde zum ersten Mal auch in Borna, Markkleeberg und Grimma an den dortigen Stolpersteinen, in dieser Form der Opfer würdevoll gedacht.”
Am Montag, 21. Februar, gegen 18:00 Uhr wurde nun nach einem Routinekontrollgang eines Mitstreiters der Gruppe Gedenkmarsch Leipzig bekannt, dass noch unbekannte Täter die Stolpersteine vor dem Sanitätshaus Koch am Lindenauer Markt Nr. 22, welche an die Familie Oelsner erinnern, beschmiert haben – mit grüner Farbe.
Das Ehepaar Oelsner wurde am 19.9.1942 nach Theresienstadt deportiert. Johanna Oelsner, 73 Jahre, kam am 10.12.1944 ums Leben und ihr Ehemann Richard Oelsner, 72 Jahre, am 10.5.1943. Ihr Sohn, Wilhelm Oelsner wurde am 11.11.1942 verhaftet. Am 16.1.1943 wurde er nach Auschwitz deportiert und am 1.3.1943 im Alter von 39 Jahren ermordet.
Und was haben sie verbrochen? – Sie betrieben ein Wäschegeschäft. Sie waren irgendwann aus Schlesien gekommen. Eines Nachts wurden sie einfach abgeholt und in ein so genanntes “Judenhaus” in der Färberstraße verschleppt, bevor sie in den Tod verschickt wurden, in den so systematisch und deutsch organisierten Tod.
Richard Gauch sagt, es ist “davon auszugehen, dass dies eine politisch motivierte Straftat mit rechtsextremistischem Hintergrund war.” Große Worte für eine kleine Tat. Und die Steine werden wieder geputzt und die Oelsners sind einfach nicht vergessen und ausgelöscht. Das ist wichtig.
Keine Kommentare bisher