Die Ratsversammlung am 20. Juni stand schon ganz im Zeichen der nächsten fünf Jahre, in denen sich die Mehrheitsverhältnisse durch die Ergebnisse der Stadtratswahl vom 9. Juni deutlich verschieben. Und es drohen keine sehr kollegialen Jahre zu werden, stattdessen welche mit viel Gebrüll und Gelärme vor allem von der rechten Seite des Ratssaals. Einen Vorgeschmack gab es zu einer Vorlage, in der es eigentlich um Gleichstellung und Gleichberechtigung ging. Aber für Rechtsaußen ist das ein rotes Tuch.
Ganz zu schweigen davon, dass der eigentliche Inhalt der Vorlage „Dritter Gleichstellungsaktionsplan der Stadt Leipzig. Maßnahmenkatalog 2024 bis 2027“ die Rechtsaußenfraktion nicht die Bohne interessiert. Das machte die einzige Frau deutlich, die für die AfD im Stadtrat sitzt, Sylvia Deubel, die ihre Rede lieber dazu nutze, uralte Angstbilder aus dem AfD-Arsenal zur frühkindlichen Geschlechtererziehung der Kinder vorzutragen. Worum es in der Vorlage eher nicht ging (auch nicht im Punkt Diversitätssensibilität).
Die selbst verhängte Redezeitbegrenzung
Aber deutlich zeigte sich an diesem 20. Juni eben auch, wohin es führt, wenn sich der Stadtrat strikte Redezeitbegrenzungen verpasst, die vor allem dazu führen, dass aktive Fraktionen, die viele Anträge und Änderungsanträge stellen, die sie in der Ratsversammlung auch begründen wollen, bei solchen Marathonsitzungen ihr Redezeitbudget schnell aufgebraucht haben.
Während gerade AfD- und CDU-Fraktion, die kaum mit konstruktiven Anträgen aufgefallen sind in der vergangenen fünf Jahren, noch über üppiges Redezeitbudget verfügen und – wie man in der Aufzeichnung hört – sehr laut reagieren, wenn sie meinen, Redner/-innen von der linken Seite des Ratssaals würden unrechtmäßig zusätzliche Redezeit in Anspruch nehmen.
So wie Linke-Stadträtin Beate Ehms, die als Stadträtin eigentlich kein Redezeitbudget mehr hatte, aber als Vorsitzende des Gleichstellungsbeirats die Möglichkeit dennoch nutzen wollte, einiges klarzustellen, nachdem Sylvia Deubel (AfD) und Jessica Steiner (CDU) ihre Kritik an der Vorlage, die vor allem im Gleichstellungsbeirat entstanden ist, kund getan hatten.
Das Problem der Familienverträglichkeit von Stadtratsarbeit
Wobei Jessica Steiner als junge Mutter ein Problem ansprach, das ja in diesem Stadtrat mehrfach schon Thema war: die Vereinbarkeit von Familie und Stadtratsarbeit. Was etwa die Grünen-Stadträtin Sophia Kraft in ihrer Abschiedsrede im Mai 2022 als deutlichen Appell an den Oberbürgermeister formulierte, die Familienverträglichkeit der Stadtratsarbeit zu verbessern.
Wirklich gelungen ist das nicht. Und während Sophia Kraft ihrer Familie zuliebe lieber auf das Stadtratsmandat verzichtete, ist bei Jessica Steiner etwas anderes passiert: Sie konnte an den Sitzungen des Gleichstellungsbeirats nicht teilnehmen. Und deshalb auch auf die Vorlage keinen Einfluss nehmen. Stattdessen deutete sie an, die CDU-Fraktion hätte eine ganze Latte von Änderungsvorschlägen machen können, aber lieber darauf verzichtet.
Was soll das? An so einer Stelle wird die Stadtratsarbeit ad absurdum geführt. Und Beate Ehms hat recht, wenn sie sagt, dann hätte die CDU-Fraktion für eine Stellvertretung sorgen müssen. Was diese aber offensichtlich nicht getan hat.
Ergebnis: Eine durch eigenes Erleben hochkompetente Stadträtin nimmt nicht an den Sitzungen des Gleichstellungsbeirats teil. Die Vorlage trägt also wieder die Handschrift der Fraktionen, deren Vertreter/-innen sich in die Erarbeitung des Maßnahmenkatalogs eingebracht haben.
Und der geht natürlich deutlich über die beiden vorhergehenden Maßnahmenkataloge hinaus. Auch weil inzwischen viel klarer ist, dass Geschlechtergerechtigkeit auch in Politikfeldern Aufmerksamkeit verlangt, auf denen in der Vergangenheit einfach nur aus männlicher Petspektive geplant wurde – wie beim Thema Klima, bei Nachhaltigkeit, bei Stadtgestaltung, Sicherheit und Mobilität. Überall dort kommt die besondere Verletzlichkeit insbesondere von Frauen und Kindern zum Tragen.
Ein blinder Fleck
Dass das Unfug sei, wie Sylvia Deubel andeutete, kann man wohl nur in einem Kosmos behaupten, in dem Frauen brav am Herd bleiben und der öffentliche Raum allein den Männern überlassen. Sylvia Deubel betonte zwar am Ende der Diskussion, nachdem sich auch die lärmenden Männer in ihrer Fraktion beruhigt hatten, dass sie an einigen Sitzungen des Gleichstellungsbeirats teilgenommen habe, an etlichen aber wegen ihrer Arbeit als Verkäuferin im Schichtdienst verhindert gewesen sei.
Aber was sind das denn für Argumente, wenn nicht genau die, die bestätigen, dass die Stadtratsarbeit nach wie vor nicht familiengerecht ist und dass ihr Arbeitgeber augenscheinlich nicht viel hält von ihrer Arbeit als Stadträtin, sonst würde er sie ja wohl freistellen.
Und falsch war auch die Argumentation, dass die Vorlage politisch eindeutig ausgerichtet wäre. Denn sie fußt auf der Mitarbeit mehrerer Netzwerke in Leipzig, die sich seit Jahren intensiv mit den Themen Gleichstellung und Gleichberechtigung beschäftigen.
In der Vorlage heißt ex dazu: „Beteiligt an der Erarbeitung des Dritten Gleichstellungsaktionsplan wurden zahlreiche Ämter und Referate der Stadtverwaltung, die Kommunalpolitik (Beirat für Gleichstellung, Fraktionen des Stadtrates), lokale Netzwerke (z.B. Netzwerk Wissenschaft und Chancengleichheit, Koordinierungsgremium gegen häusliche Gewalt und Stalking), Vereine (z.B. Louise-Otto-Peters-Gesellschaft, Frauen für Frauen Leipzig e.V., Soziokulturelles Zentrum Frauenkultur, Lebenszeiten e.V.) sowie Leipziger Hochschulen (Universität Leipzig, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig).“
Stadtratsarbeit ist Arbeit
Die Vorlage derart abzubügeln, zeugt auch von eine gewissen Verachtung für all diese – oft genug von Frauen getragenen – Netzwerke, die die nach wie vor fehlende Gleichstellung von Frauen anmahnen. Ihren Frust über diese fehlende Kooperation von AfD und CDU brachte Beate Ehms deutlich auf den Punkt, als sie sagte: „Sie arbeiten nicht mit und sagen dann, alles ist Scheiße.“
Womit sie eben auch thematisierte, dass Stadtratsarbeit in Leipzig nun einmal fast ein Vollzeit-Job ist mit eng getakteten Ausschuss- und Fraktionssitzungen, die sich auch oft überschneiden. In die Vorlagen einarbeiten muss man sich auch, eigene Anträge schreiben und begründen. Das frisst – wenn man es wirklich ernst meint – eine Menge Zeit. Was man in der Ratsversammlung zu hören bekommt, ist dann nur noch das Ergebnis, auch wenn es manchmal noch zu ausführlichen Debatten kommt.
Aber Debatte und Gelärme sind zwei völlig verschiedene Dinge. Und in dieser Lautstärke war es auch für Leipzigs Ratsversammlung neu, wie gerade Stadträte der AfD versuchten, Beate Ehms mit Gebrüll am Reden zu hindern. Damit kündigt die rechtspopulistische Fraktion die Grundlage des respektvollen Miteinanders genau da auf, wo es genau um diesen respektvollen Umgang miteinander geht.
Es sind nicht nur die beiden rechten Parteien, die durch Wählerwillen in der Ratsversammlung sitzen. Auch die anderen vertreten den Willen ihrer Wählergruppe und natürlich deren Interessen. Was denn sonst?
Nicht-Gleichstellung hat eine Menge mit Gewalt zu tun
Und die Gleichstellung von Frau und Mann ist – anders als man nach diesem Tagungspunkt meinen könnte – kein „linkes“ Thema, sondern eins der gesamten Gesellschaft.
Und zu deren Umsetzung hat sich Leipzig verpflichtet. Auch das ist in der Vorlage nachzulesen: „Mit der Unterzeichnung der Europäischen Charta für Gleichstellung von Frau und Mann auf lokaler Ebene am 2. Juli 2012 durch den Oberbürgermeister verpflichtete sich die Stadt Leipzig einen Gleichstellungsaktionsplan innerhalb von zwei Jahren zu erstellen und diesen regelmäßig fortzuschreiben.“
Einige Punkte waren dann auch de rGrünen-Fraktion noch nicht deutlich genug formuliert, denn die Nicht-Gleichstellung von Frauen und queeren Menschen hat eben leider auch mit jeder Menge Gewalt im realen Leben und in digitalen Räumen zu tun, wie ja auch Jessica Steiner zu recht feststellte. Das hat nichts mit konservativen oder liberalen Familienbildern zu tun, sondern mit falschen (zumeist) männlichen Rollenbildern. Die Betroffenen brauchen deshalb mehr Hilfe auch durch die Kommune.
Weshalb die Grünen-Fraktion noch drei Maßnahmen beantragte, die insbesondere das Thema Häusliche Gewalt beleuchten.
Eine Interventionsstelle ist in Planung
Die Zahlen zu den polizeilich notwendig gewordenen Eingriffen der Polizei bei häuslicher Gewalt nannte Sozialbürgermeisterin Martina Münch in ihrer Einführungsrede. Und gerade seit sich die Gesellschaft mit dem Thema überhaupt ernsthaft beschäftigt, wird deutlich, wie sehr am Anfang man auch in Leipzig noch steht, sichere Orte für die von Gewalt betroffenen Menschen zu schaffen.
Einen Baustein will die Stadt mit dem Maßnahmenkatalog jetzt dazu tun: eine niedrigschwellige Interventionsstelle, die bei verschiedenen Formen von Gewalt Beratung, Unterstützung und Schutzmöglichkeiten vermitteln soll. Im Maßnahmenplan als noch aufzubauendes kommunales Gewaltschutzzentrum bezeichnet. Auch wenn dessen Struktur noch nicht feststeht, bleibt für Martina Münch maßgebend, dass die bewährte Beratungsstruktur freier Träger erhalten bleibt und gestärkt werden soll.
Und auch wenn es so aussah, als ginge es in dieser Debatte nur um unterschiedliche Frauen- und Familienbilder, die da aufeinander prallten, erzählt die Vorlage selbst etwas anderes: nämlich davon, dass gerade die Schwächeren in unserer Gesellschaft – und das sind nun einmal zuerst Frauen und Kinder – mehr Schutz vor Gewalt brauchen.
Da hilft kein gewaltiges Lärmen. Auch wenn zu befürchten ist, dass die nächsten fünf Jahre im Stadtrat voller Lärm sein werden. Ein Zustand, den Thomas Kumbernuß (Die PARTEI) schon jetzt für inakzeptabel und respektlos hält.
Der Änderungsantrag der Grünen-Fraktion bekam trotzdem die Zustimmung der Mehrheit mit 38:13 Stimmen. Und auch der „Dritte Gleichstellungsaktionsplan der Stadt Leipzig“ bekam mit 35:17 Stimmen die notwendige Mehrheit.
Keine Kommentare bisher
Hier geht es zu einem ganzen Stück um Lärm, der zu groß gewesen sei. Lärm von den beiden rechten (!) Parteien im Stadtrat, noch dazu von Männern.
Warum ignoriert man – mensch eigentlich, wie oft von linker oder grüner Seite in die Reden gebrüllt wird? Gerade mit Frauenstimmen, das ist immer wieder gut zu hören bei den übertragenen Stadtratssitzungen. Es muss nur um ein nicht genehmes Thema gehen.
Und in Zeiten, in denen die Stadt Leipzig doppelt gegendert einen “Diversitymanager/-in (m/w/d)” sucht (“die Vielfalt der Gesellschaft soll sich in den Ämtern abbilden” – ach das ging bisher nicht?), freue ich mich wenn das übergeschwungene Pendel langsam wieder zurück geholt wird.
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> “… kann man wohl nur in einem Kosmos behaupten, in dem Frauen brav am Herd bleiben und der öffentliche Raum allein den Männern überlassen. Sylvia Deubel betonte zwar am Ende der Diskussion […], dass sie an einigen Sitzungen des Gleichstellungsbeirats teilgenommen habe, an etlichen aber wegen ihrer Arbeit als Verkäuferin im Schichtdienst verhindert gewesen sei. ”
Ist das nicht ein Widerspruch? Eine direkt Betroffene (von der falschen Partei) äußert sich kritisch, wird dann in ihrer Kritik nicht ernst genommen wegen unterstelltem Herdkosmos, aber der trifft gar nicht zu, weil sie eigentlich in Schichten arbeiten geht.
Ab wann dürfte sie sich als Frau denn kritisch äußern und ohne so dreiste Unterstellungen wahrgenommen werden? Als lesbische Frau? Als nonbinäre Frau mit Kindern dunkler Hautfarbe?
Es ist wie beim Gendern. Große Mengen der Leute lehnen es ab, darunter große Mengen mündiger, selbstbewusster Frauen unterschiedlichen Alters, aber es ist egal. Gilt nichts. Müssen wir trotzdem weiter vorantreiben, ist resistent gegen Kritik aus den eigenen Reihen.
Aber zum Glück sind sooo viele Leute für ein Tempolimit auf Autobahnen. Bloß gut, da hat mal jemand ne Umfrage gemacht, auf die man sich berufen kann…