Die nach Corona so drastisch gesunkenen Geburtenzahlen auch in Leipzig haben ganz verschiedene Folgen für das Netz der Kindertagesstätten in der Stadt. Einige ältere, nicht mehr sanierungswürdige Einrichtungen können geschlossen werden, größere Einrichtungen können die Kinderzahl senken. Aber gleichzeitig taucht das Problem auf, dass das Kita-Personal nach Anzahl der betreuten Kinder finanziert wird. Und auf einmal zeigen sich auch finanzielle Löcher. Eine Diskussion im Stadtrat am 19. Juni machte das deutlicher.
Denn tatsächlich werden in Leipzig noch viel zu wenige Kinder in Kindertagesstätten oder Tagespflege betreut. Und zwar ausgerechnet Kinder aus Familien, für die ein Besuch in der Kita angeraten wäre, weil sie aus Familien mit Migrationshintergrund stammen und die Kita der beste Weg wäre, dass sie Zugang zu Sprache und Kultur finden.
Was aber nicht passiert, wenn die Kinder bis zum Schuleintritt in „Selbstbetreuung“ bleiben, wie das im Amtsdeutsch so schön heißt: Also von ihren Müttern zu Hause betreut werden und mit gleichaltrigen Kindern, von denen sie auch die deutsche Sprache lernen könnten, gar nicht in Kontakt kommen. Gerade in sozialen Brennpunkten betrifft das 25 Prozent der Kinder bis zu sechs Jahren. Das ist deutlich zu viel.
Weshalb sich die Fraktionen von Linken, SPD und Grünen im Stadtrat zusammengetan haben, um einen ganzen Antragskatalog an die Stadtverwaltung zu schreiben, um die Betreuungsqualität in den Leipziger Kitas zu verbessern und mehr Kinder ins System zu bekommen, die bis jetzt mit ihren enormen Lernnachteilen ohne vorherigen Kita-Besuch in die Schule kommen.
In der Kita beginnt die Integration
An einer Stelle wurde auch der nach wie vor im Deutschland-Vergleich schlechte Betreuungsschlüssel angesprochen, den die Landesregierung jetzt, wo auf einmal die Geburten zurückgehen, deutlich verbessern könnte. Was auch zur Folge hätte, dass die von den Erzieher/-innen betreuten Gruppen kleiner werden könnten, das pädagogische Personal sich also auch stärker um Kinder mit Integrationsproblemen kümmern könnte.
Signale aus der Regierungskoalition, diese „demografische Rendite“ auch zu nutzen, gibt es, aber noch keinen konkreten Vorschlag. Den es vielleicht sogar nicht geben wird, wenn auch die Landtagsabgeordneten der CDU so ticken wie der Leipziger CDU-Stadtrat Karsten Albrecht, der tatsächlich der Meinung ist, dass der Betreuungsschlüssel nicht der Schlüssel zur Lösung ist.
Doch genau das ist der Schlüssel, wenn man den Start auch ins spätere Schulleben für Kinder mit allen möglichen Integrationsnachteilen verbessern will. Das wurde ja in der Ratsversammlung in den vergangenen Jahren rauf und runter diskutiert: Kindertagesstätten sind für Kinder aus sozialen Brennpunkten der Integrationsfaktor Nr. 1. Und das braucht nun einmal pädagogisches Personal, das auch Zeit und Aufmerksamkeit für diese Kinder hat.
Förderangebote stärken
„Ein erster Schritt ist zunächst, dass die Kosten der ‚demografischen Rendite‘ ermittelt werden, sodass die Stadt sich in den entsprechenden Gremien wie dem Städte- und Gemeindetag für eine zeitnahe Ausfinanzierung einsetzen kann, denn nur so kann eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels erreicht werden“, so am 19. Juni SPD-Stadträtin Christina März, die neben Juliane Nagel aus der Linksfraktion und Michael Schmidt von den Grünen für den gemeinsamen Antrag des Parteientrios warb.
„Wir wollen die jetzige Situation nutzen, um die einerseits die integrative Betreuung von Kindern mit hohem heilpädagogischen Förderbedarf zu stärken. Dazu soll die Stadtverwaltung gemeinsam mit den Trägern bis zum 2. Quartal 2026 ein Konzept zur inklusiven Kinderbetreuung erarbeiten und bereits mit dem Beginn des Schuljahres 2025/26 ein Modellprojekt initiieren. Die Erfahrungen aus dem Modellprojekt sollen in die Konzeption einfließen.“
Das Amt für Jugend und Familie hatte den Antrag der drei Fraktionen zuvor vollumfänglich begrüßt und erläutert, dass all die aufgeführten Problemfelder jetzt Eingang finden sollen in ein Konzept, das deutlich mehr Kinder gerade mit Integrationsbedarf in die Leipziger Kindertagesstätten bringt, die nun ja deutlich aufnahmefähiger sind: „Das Konzept zur ‚Inklusiven Kindertagesbetreuung in Leipzig‘ wird dem Stadtrat zum Ende des II. Quartals 2026 vorgelegt.
Der Prüfauftrag zum Modellprojekt zur integrativen Betreuung von Kindern mit hohem heilpädagogischen Förderbedarf soll im Rahmen einer Steuerungsgruppe umgesetzt werden. Ziel ist, mit dem Schuljahr 2025/2026 das Modellprojekt zu realisieren.“
Es geht auch um die Fachkräfte der Zukunft
Aber die Finanzierungsfrage steht trotzdem. Und die muss der Freistaat klären, wenn er sachsenweit schon davon ausgeht, dass mit dem Rückgang der Kinderzahlen rund 28 Millionen Euro fehlen werden. Im Antrag von SPD, Linken und Grünen heißt es dazu: „Die Stadt Leipzig wird sich in den entsprechenden Gremiensitzungen (bspw. des Sächsischen Städte- und Gemeindetags) für eine zeitnahe Ausfinanzierung und Nutzung der demografischen Rendite und darüber hinaus für eine Verbesserung der Fachkraft-Kind-Relation einsetzen.“
Und zur simplen Wahrheit gehört nun einmal, dass es hier auch um künftige Arbeitskräfte geht – ausbildbare oder nicht ausbildbare. Genau hier entscheidet sich, ob Kinder einen guten Übergang in die Schule schaffen und dort einen erfolgreichen Bildungsweg durchlaufen, oder ob sie mit Sprachproblemen und sozialen Handicaps schon in der Grundschule scheitern. Die sächsische Staatsregierung täte schon im Angesicht der jetzigen Fachkräfteprobleme in allen Wirtschaftsbereichen gut daran, genau hier mehr Geld einzusetzen, um das pädagogische Personal in den Kitas zu halten und die Betreuungsquoten deutlich zu verbessern.
Dann greifen auch all die Maßnahmen, die die Ratsversammlung am 19. Juni mit der Mehrheit von Linken, Grünen und SPD beschlossen hat. Ihr Antrag bekam nämlich 36:10 Stimmen bei zehn Stimmenthaltungen.
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