Ist das menschliche Leben berechenbar? Kann man alles planen? Irgendwie wohl nicht. Zumindest zeigt sich immer wieder, dass eine Gesellschaft für eine Planung auch nur übers Jahr hinaus viel zu komplex ist. Was Leipzig gerade beim Thema Kita-Plätze spürt. Am 13. März war das ein schönes Diskussionsthema in der Ratsversammlung, denn aktuell verzeichnet Leipzig etwas, was es seit dem Jahr 2000 nicht mehr gegeben hat: einbrechende Geburtenzahlen.
Und auf einmal weist auch die Belegungsstatistik für die Leipziger Kinderbetreuung immer größere Überhänge auf. Das hätte man doch schon vor drei Jahren sehen können, meinte in der Debatte CDU-Stadtrat Karsten Albrecht. Aber da wäre er wohl der einzige gewesen. So reagiert Politik nicht, hat sie auch noch nie reagiert.
Im fernen Jahr 2013, als klar war, dass Leipzigs Kinderzahlen in atemberaubendem Tempo wachsen, war es Karsten Albrecht, der im Jugendhilfeausschuss warnte: „Bauen wir nicht viel zu viele Kindertagesstätten?“ Jedenfalls erinnert sich SPD-Stadtrat Christopher Zenker so.
Es kommt nie gut an, wenn man sich am Rednerpult der Ratsversammlung hinstellt und so tut, als wüsste man alles besser. Denn mit der Wirklichkeit hat das selten etwas zu tun. Erst 2018 beschloss der Stadtrat dann das ambitionierte Kita-Bauprogramm, das endlich dafür sorgen sollte, dass alle Kinder in der Stadt auch einen Betreuungsplatz bekommen können.
Mehrere Jahre lang flossen die Hauptinvestitionen der Stadt in neue Kindertagesstätten. Und 2023 konnte das Jugenddezernat erstmals melden, dass es Leipzig geschafft hat, dass es endlich für alle zur Betreuung angemeldeten Kinder auch einen Betreuungsplatz gibt.
Noch nicht immer überall dort, wo die Betreuungsplätze wohnortnah gesucht werden, auch darauf wies Jugendbürgermeisterin Vicki Felthaus in ihrer Einführungsrede hin. In der erklärte sie, warum es nicht nur weiter eine solche Kita-Bedarfsplanung geben wird, sondern demnächst auch das nächste Maßnahmenprogramm für Kita-Investitionen.
Manche alte Kita wir jetzt geschlossen
Denn im Pool der mittlerweile 275 Kindertageseinrichtungen in Leipzig stecken noch immer viele alte, unsanierte und nicht anpassbare Einrichtungen, die die Stadt – so Felthaus – beibehalten hat, um einfach dem Mangel vorzubeugen und Kapazitäten zu sichern.
Erstmals ist die Stadt in der Lage, für einzelne Einrichtungen, die sich – wie die eine viel diskutierte in Leutzsch – in alten Villengebäuden befinden und auch bei höchstem Aufwand nicht kindgerecht umgebaut werden können, eine Beendigung der Mietverträge einzuleiten. Oft kommt bei diesen Villen-Kitas mit hinzu, dass sich diese Einrichtungen nicht dort befinden, wo der Bedarf ist. Und der ändert sich mit der wachsenden Stadt. Neue Quartiere entstehen, wo natürlich mit Kindern zu rechnen ist, während in anderen Ortsteilen der Bedarf einfach nachlässt.
Das heißt: Die neue Bedarfsplanung soll, so Felthaus, mehr Augenmerk auf wohnortnahe Angebote richten. Das ganze System wird also angepasst. Die Vorlage dazu soll den Stadtrat noch bis zu Sommer erreichen. Und diese Abstimmung soll künftig wieder – wie das in den heißen Zeiten des Kitaplatz-Mangels schon einmal war – an einem Runden Tisch geklärt werden. Mit allen Trägern zusammen. Und auch mit den Tageseltern, die jetzt als Erste richtige Probleme bekommen, noch genügend Kinder zur Betreuung zu bekommen.
Ein Appell an die Landesregierung
In den Hochzeiten des Kitaplatz-Mangels waren die Tageseltern die Rettung für viele Eltern. Also müssen sie auch in die Lösung einbezogen werden, forderte neben Grünen-Stadtrat Martin Meißner auch FDP-Stadtrat Sascha Matzke.
Der – wie auch Christopher Zenker – die Forderung an die CDU-dominierte sächsische Staatsregierung richtete, die von Kultusminister Christian Piwarz (CDU) ins Spiel gebrachte „demographische Rendite“ zu heben, das heißt: Die entstehenden Freiräume in den Kitas dazu zu nutzen, den Betreuungsschlüssel in Sachsen endlich zu senken.
Denn Sachsen ist Schlusslicht unter den Bundesländern. Nirgendwo sind so wenige Erzieherinnen und Erzieher für zahlenmäßig so viele betreute Kinder verantwortlich. Zur von Piwarz angesprochene Rendite gehört auch die Einführung eines verpflichtenden vorschulischen Jahres in den Kitas, was die Bildungschancen für viele Kinder deutlich erhöhen würde.
Aber wie Sascha Matzke anmerkte, war das wohl nur Gerede vom Kultusminister. Erwägen wolle das Piwarz frühestens nach der Landtagswahl, also 2025. Und da glaubt Matzke schlicht nicht daran, dass es dann noch kommt.
Warum versiegt der Kinderwunsch?
Die Gründe, warum in Leipzig immer weniger Kinder geboren wurden, sprach dann in seinem Redebeitrag Linke-Stadtrat Mathias Weber an. Denn ein wesentlicher Grund dafür, dass immer mehr junge Leute auf die Gründung einer Familie verzichten, könnte durchaus sein, dass es in Leipzig kaum noch bezahlbare Wohnungen für Familien mit Kindern gibt. Und im Umland auch nicht.
Noch grübelt auch das Amt für Statistik und Wahlen über diesem Problem. Aber es könnte tatsächlich einer der wesentlichen Gründe für die Geburtenzurückhaltung sein – nebst Gründen wie den aktuellen Krisen und Ängsten. Das ist die Stelle, an der man ahnt, wie viele Faktoren hineinspielen, wenn es um die Berechnung von Geburtenzahlen geht.
Und dass selbst Statistiker nicht alles vorhersagen können. Schon gar nicht die Folgen einer geradezu blinden Demografie-Politik auf Landes- und Bundesebene, wenn man allein an die wilden Schleuderkurse beim sozialen Wohnungsbau denkt.
So gesehen waren dann die Ausführungen von CDU-Stadtrat Karsten Albrecht schlicht zu schlicht. Auch er hätte dies Entwicklung vor drei Jahren nicht vorhersehen können.
Was bleibt, ist die belastbare Feststellung aus der Vorlage des Amtes für Jugend und Familie, dass Leipzig zahlenmäßig jetzt zwar mehr als genug Betreuungsplätze für Kleinkinder hat, dass man die Chance aber auch nutzen sollte, das Kita-System anzupassen. Und die Kapazitäten dorthin umzuschichten, wo die wohnortnahe Versorgung mit Kita-Plätzen noch nicht gewährleistet ist.
Es braucht also keine zusätzliche Berichterstattung, wie die CDU-Fraktion forderte, deren Antrag mit 22:32 Stimmen abgelehnt wurde. Den gemeinsamen Antrag von Linken, Grünen und SPD, die Abstimmung wieder über einen Runden Tisch zu organisieren, hatte OBM Burkhard Jung kurzerhand übernommen.
Auch Bürgermeisterin Vicki Felthaus findet das den richtigen Weg, zu einer gemeinsamen tragfähigen Lösung zu kommen und gemeinsam zu klären, wo alte Einrichtungen geschlossen und neue geschaffen werden.
Die Gesamtvorlage bekam dann die einhellige Zustimmung der Ratsversammlung.
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