Immer wieder war es Thema in der Ratsversammlung: Warum laufen in Leipzig die Kosten für die Hilfen zur Erziehung derart aus dem Ruder? Liegt das wirklich daran, dass Leipzig immer mehr „Problemjugendliche“ hat? Oder arbeitet der Allgemeine Sozialdienst (ASD) unkoordiniert, sodass der Stadt immer größere Millionenkosten entstehen? 2021 war das Thema im Leipziger Stadtrat. Und die damals gefundene Lösung scheint tatsächlich die richtige zu sein.
Denn ein ganz zentrales Problem war bis dahin immer, dass die „Fälle“ im ASD nicht durchgängig aus einer Hand betreut wurden. Viel Arbeit zersplitterte regelrecht. Und so wurde auch die Rückkehr der jungen Menschen, die der ASD in Betreuung genommen hatte, nicht zeitnah wieder organisiert. Obwohl auch den Betreuer/-innen klar war, dass die familiären Probleme, die dahinter standen, nur in einheitlicher Betreuung von Jugendlichen und Herkunftsfamilien zu lösen waren.
Im April 2021 beschloss der Stadtrat auf Initiative der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, bestehende Prozesse, Verfahrensabläufe sowie Fachstandards im Allgemeinen Sozialdienst, für den Bereich Hilfen zur Erziehung sowie angrenzende Leistungen im Amt für Jugend und Familie zu begutachten und notwendige Veränderungsprozesse einzuleiten. Zudem wurde beschlossen, die Fachstandards für Hilfen zur Erziehung zu überarbeiten.
Ein Management für die Rückkehr Jugendliche in die Familien
Eines der formulierten Ziele war obendrein, dass ein Rückführungsmanagement etabliert werden sollte, welches mit sehr viel stärkerem sozialpädagogischen Bezug darauf abzielt, die Voraussetzungen zu schaffen, um Kinder aus einer stationären Heimunterbringung wieder in ihre Familie zurückkehren zu lassen. Aber dann dauerte es doch noch eine Weile, denn der Stellenplan musste dafür geändert werden.
Mit dem Stellenplanbeschluss wurden dann auch im ASD drei Stellen für ein „Projekt Rückführung“ im ASD vom Stadtrat beschlossen, eine Umsetzung ließ jedoch bis 2023 auf sich warten. Eine erste Teilevaluation wurde im Dezember 2023 dem Jugendhilfeausschuss vorgestellt.
Doch es zeichnet sich inzwischen ab, dass die Entscheidung die richtige gewesen ist.
„Das Projekt ‚NeuStart‘ steht symbolisch für einen längst überfälligen Veränderungsprozess in der sozialen Arbeit des ASD“, sagt dazu Michael Schmidt, jugendpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion und stellvertretender Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses.
„Über viele Jahre hinweg wurden Kinder aus unterschiedlichsten Gründen aus ihren Familien in Obhut genommen und teils über Jahre in Heimunterbringung belassen. Ein häufig auf Dauer angelegter Zustand, der billigend in Kauf genommen wurde, um keine Doppelhilfen zuzulassen, statt sich um die Ursachen und deren Behebung zu bemühen.
Defizite in den Herkunftsfamilien wurden über Jahre außer Acht gelassen, statt eine Hilfestellung zur Wiederherstellung der Erziehungsgrundlage zu bieten. Das Projekt NeuStart steht exemplarisch für den Kulturwandel in der Arbeit des ASD, den der Jugendhilfeausschuss über Jahre eingefordert und der durch den Wechsel in der Amts- und Abteilungsleitung eingeleitet werden konnte.“
Unterstützungsangebote für die ganze Familie
Mit sozialpädagogischer Kinder- und Familiendiagnostik, einer gemeinsam mit der Familie erarbeiteten Strategie zur gelingenden Kindesrückführung unter Einbeziehung und Aktivierung sozialer und institutioneller Netzwerke und der gemeinsamen Erarbeitung von Lösungsideen und -strategien und im Zuge der Rückführung installierten Unterstützungsangeboten zur Nachsorge und Stabilisierung gelingen so immer mehr Zusammenführungen von Familien und ihren teils über Jahre in stationären Hilfen lebenden Kindern.
„Die Zahlen sprechen schon nach einem halben Jahr absolut für sich. Bis November konnten bereits 20 Kinder nach Hause entlassen werden, seitdem sind weitere dazu gekommen. All diese Fälle sparen der Stadt nicht nur Millionen Euro an Mehrausgaben im Bereich Hilfen zur Erziehung, sie sind allen voran alles Einzelschicksale, deren Herzenswunsch nach Wiederzusammenführung sich durch das Projekt endlich erfüllt“, äußert sich Michael Schmidt zuversichtlich.
„Die beiden Mitarbeitenden im Projekt stehen mit Herzblut genau für diesen Kulturwandel und Erfolg. Das Projekt zeigt schon nach wenigen Monaten sehr deutlich, wozu gute und akribische sozialpädagogische Arbeit imstande sein kann, wenn sie auf Augenhöhe mit den Familien stattfindet, wenn Familien im Fokus stehen, sie ernst genommen und ihnen Hilfe zur Selbsthilfe sowie Strategien zur Lösungsfindung an die Hand gegeben werden.
Und es zeigt auch – das muss man auch deutlich sagen – was möglich ist, wenn sich der ASD von den im Bereich Hilfen zur Erziehung tätigen Trägern emanzipiert. Viel zu lang nämlich wurde eine Nähe zwischen Hilfesteuerung und Leistungserbringung geduldet, obwohl eine professionelle Distanz essenziell ist, um eine unabhängige und professionelle Entscheidungen im Sinne von Kind und Familie zu gewährleisten.“
Wie weiter nach zwei Jahren Projektlaufzeit?
Auf Nachfrage erklärt nun das Jugenddezernat, dass das Projekt „NeuStart“ über die eigentlich geplante Projektlaufzeit von zwei Jahren hinaus nicht verlängert werden soll, sondern die Erkenntnisse und Erfahrungen in die alltägliche Arbeit des ASD einfließen und etabliert werden sollen. Hierzu sein unter anderem verpflichtende Weiterbildungen geplant.
Doch dem traut Michael Schmidt nicht so ganz.
„Das ist zwar nachvollziehbar, ich erwarte dennoch, dass diese Projektstruktur so lange arbeitsfähig und sichtbar bleibt, bis sich die sozialpädagogische Arbeit des ASD in allen Sozialbezirken in diesem Sinne etabliert und verstetigt hat“, sagt der Grünen-Stadtrat.
„Bis das Projekt beginnen konnte, hat es viel zu lang gedauert, nach wie vor sind nur zwei der drei Stellen tatsächlich besetzt und die Fallzahlen auf einem Niveau unterhalb der Auslastung. Noch immer ist es nicht selbstverständlich, dass bei einer Inobhutnahme vom ersten Tag an gemeinsam mit der Familie am Ziel der Ursachenbehebung und Kindesrückführung gearbeitet wird.
Hierzu ist auch die Überarbeitung der Fachstandards grundlegend notwendig, die uns seit mehreren Jahren angekündigt wird, und die im Laufe des Jahres 2024 beschlossen werden soll. Insofern erwarte ich auch, dass das Projekt schnellstmöglich voll arbeitsfähig wird und bis zumindest Ende 2026 fortgeführt wird.“
Da hat das Jugenddezernat also noch ein paar Aufgaben zu erledigen, bis die Erfahrungen aus „NeuStart“ tatsächlich auch zum routinierten Arbeitsablauf im ASD geworden sind. Vorzeitig abbrechen sollte man das Projekt also auf keinen Fall.
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